BGE 129 III 60 |
10. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Y. (Nichtigkeitsbeschwerde) |
5C.148/2002 vom 25. Oktober 2002 |
Regeste |
Art. 137 und Art. 172 ff. ZGB; Massnahmen zur Regelung des Getrenntlebens. |
Sachverhalt |
Im Oktober/November 2001 ersuchte die Ehefrau um Eheschutz mit dem Antrag, ihr das Getrenntleben zu bewilligen und dessen Folgen zu regeln. Mit dringlicher Anordnung vom 18. März 2002 stellte das Amtsgericht Luzern-Stadt den Sohn der Parteien unter die elterliche Obhut der Kindsmutter und regelte das Besuchsrecht des Kindsvaters. Mit Eingaben vom 21. März 2002 erhob der Ehemann beim Bezirksgericht March Klage auf Scheidung und stellte ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen während des Scheidungsverfahrens. Am 10. April 2002 erklärte das Amtsgericht Luzern-Stadt das Eheschutzverfahren zufolge Gegenstandslosigkeit für erledigt. Den Rekurs der Ehefrau hiess das Obergericht des Kantons Luzern gut und hob den Erledigungsentscheid auf. Auf das Begehren der Ehefrau, die dringliche Anordnung vom 18. März 2002 zu vollstrecken, trat das Obergericht nicht ein.
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Der Ehemann hat gegen den obergerichtlichen Rekursentscheid Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt, die das Bundesgericht abweist, soweit darauf eingetreten werden kann.
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Aus den Erwägungen: |
2. Sobald das gemeinsame Scheidungsbegehren oder die Klage eines Ehegatten auf Scheidung beim zuständigen Gericht (Art. 135 ZGB) rechtshängig gemacht worden ist (Art. 136 ZGB), können Eheschutzmassnahmen im Sinne von Art. 172 ff. ZGB für die Zeit nach Eintritt der Rechtshängigkeit nicht mehr getroffen, sondern nur noch vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 137 Abs. 2 ZGB angeordnet werden. Anordnungen, die das Eheschutzgericht vor Eintritt der Rechtshängigkeit der Scheidung getroffen hat, bleiben während des Scheidungsverfahrens in Kraft, solange sie nicht durch vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 137 Abs. 2 ZGB abgeändert werden. Diese beiden Grundsätze, die das Bundesgericht vor der ZGB-Revision von 1998/2000 aufgestellt hat (vgl. namentlich BGE 101 II 1), gelten auch unter Herrschaft des aktuellen Scheidungsrechts (Basler Kommentar, 2002: GLOOR, N. 4 zu Art. 137 ZGB, und SCHWANDER, N. 15 zu Art. 180 ZGB; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 12, und LEUENBERGER, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, Basel 2000, N. 8, je zu Art. 137 ZGB, je mit weiteren Nachweisen).
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Es stellt sich die Frage, ob die bundesgerichtliche Rechtsprechung auch nach der ZGB-Revision von 1998/2000 beizubehalten ist. Mit der Marginalie "Vorsorgliche Massnahmen während des Scheidungsverfahrens" sieht Art. 137 Abs. 1 ZGB vor, dass jeder Ehegatte nach Eintritt der Rechtshängigkeit für die Dauer des Verfahrens den gemeinsamen Haushalt auflösen kann. Gemäss Abs. 2 derselben Bestimmung trifft das Gericht die nötigen Massnahmen (Satz 1), und zwar selbst dann, wenn die Ehe aufgelöst ist, das Verfahren über Scheidungsfolgen aber fortdauert (Satz 2); die Bestimmungen über die Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft sind sinngemäss anwendbar (Satz 3), und Unterhaltsbeiträge können für die Zukunft und für das Jahr vor Einreichung des Begehrens gefordert werden (Satz 4). Dieser letzte Satz ist erst im Nationalrat ergänzt worden, ohne dass darüber eine Diskussion stattgefunden hätte (AB 1997 N 2726). Der Ständerat hat "dieser redaktionellen Verdeutlichung bzw. Ergänzung" zugestimmt nach der Erläuterung des Berichterstatters, der Verweis auf Eheschutzmassnahmen führe über die Anwendung von Art. 173 i.V.m. Art. 176 ZGB zum genau gleichen Resultat (AB 1998 S 327 f.). In Satz 4 von Art. 137 Abs. 2 ZGB wird daher grundsätzlich die Regelung des Eheschutzverfahrens übernommen, wie das zuvor bereits die Rechtsprechung getan hat. Eine gesetzgeberische Absicht, an der bisherigen Abgrenzung der Zuständigkeiten etwas zu ändern, ist aus den Materialien nicht ersichtlich (vgl. auch die Botschaft, BBl 1996 I 1, S. 135 ff. Ziff. 234.3 und 234.4).
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Gleichwohl hat neu das Gericht gestützt auf die ausdrückliche Vorschrift in Art. 137 Abs. 2 letzter Satz ZGB die Möglichkeit, Unterhaltsbeiträge für das Jahr vor Einreichung des Begehrens zuzusprechen. Diese einjährige Rückwirkung gilt grundsätzlich auch für die Zeit vor Rechtshängigkeit der Scheidung und bietet keine besonderen Schwierigkeiten, wenn davor weder ein Eheschutzverfahren betreffend Unterhaltsbeiträge durchgeführt worden ist noch ein solches hängig ist. Trifft aber das eine oder das andere zu, besteht ein positiver Kompetenzkonflikt zwischen dem Eheschutz- und dem Scheidungsgericht. Dieser Konflikt ist unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung und der Entstehungsgeschichte von Art. 137 Abs. 2 letzter Satz ZGB zu lösen. Das bedeutet, dass die Rückwirkung die Zeit vor Rechtshängigkeit der Scheidung nicht erfasst, wenn ein Eheschutzverfahren durchgeführt worden ist oder noch hängig ist. In diesem Fall sind vorsorgliche Massnahmen für die Zeit vor Rechtshängigkeit der Scheidung nicht nötig (Art. 137 Abs. 2 erster Satz ZGB), weil diese das Eheschutzgericht entweder bereits getroffen hat oder noch treffen wird (vgl. zur Diskussion dieser Frage: GLOOR, a.a.O., N. 10 Abs. 2, SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O, N. 31, und LEUENBERGER, a.a.O., N. 10, je zu Art. 137 ZGB; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar, 1999, N. 6 zu Art. 180 ZGB, auch in N. 14a zu Art. 176 ZGB; ZR 101/2002 S. 92).
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4.2 Wie das Obergericht zu Recht festgehalten hat, bleibt das Amtsgericht Luzern-Stadt zuständig für die Unterhaltsfrage und die Regelung weiterer finanzieller Belange, soweit es um die Zeit vor dem 21. März 2002 geht. Diesbezüglich muss das Eheschutzverfahren noch zu Ende geführt werden (E. 3 hiervor). Um diese Fragen beantworten zu können, muss das Amtsgericht auch über die strittige Obhutszuteilung und als Folge davon über die Besuchsrechtsregelung betreffend den Sohn der Parteien sowie die Benützung der ehelichen Wohnung und des Hausrats entscheiden. Das Eheschutzgericht ist dabei zwar nur für die Zeit bis zur Rechtshängigkeit der Scheidungsklage zuständig, doch wirkt sein Entscheid darüber hinaus, bis der Scheidungsrichter etwas anderes verfügt hat.
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