BGE 131 III 448
 
57. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. Z. (SchKG-Beschwerde)
 
7B.31/2005 vom 15. Juni 2005
 
Regeste
Zustellung von Betreibungsurkunden ins Ausland (Art. 66 Abs. 3 SchKG).
 
Aus den Erwägungen:
2.2.1 Im internationalen Verhältnis bestimmt sich die Zustellung von Betreibungsurkunden im Allgemeinen nach dem Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (SR 0.274.131; BGE 122 III 395 E. 2a S. 396), das für Deutschland am 26. Juni 1979 und für die Schweiz am 1. Januar 1995 in Kraft trat. Darnach sind die Schriftstücke grundsätzlich durch Vermittlung der von jedem Vertragsstaat zu bestimmenden zentralen Behörde zuzustellen (Art. 2 bis 6). Unter dem Vorbehalt, dass der Bestimmungsstaat keinen Widerspruch erklärt, sieht Art. 10 des Übereinkommens freilich vor, dass gerichtliche Schriftstücke unter anderem auch unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen (lit. a). Wie die Schweiz (in Ziff. 5 ihrer Vorbehalte) hat Deutschland indessen (in Ziff. 4 Abs. 2 seiner Vorbehalte) ausdrücklich erklärt, dass eine Zustellung nach Art. 10 des Übereinkommens nicht stattfindet (dazu REINHOLD GEIMER, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl., Köln 2005, S. 640 Rz. 2084 und S. 677 Rz. 2176). Die strittige Zustellung der Konkursandrohung verstösst mithin gegen das einschlägige Haager Übereinkommen.
2.2.2 Angesichts des konkreten Bestimmungsortes drängt sich die Frage auf, ob die (direkte) postalische Zustellung allenfalls auf Grund eines der bezüglich Deutschland territorial begrenzten Staatsverträge zulässig gewesen sei. S. liegt im Bundesland Baden- Württemberg und gehörte früher zum Grossherzogtum Baden bzw. zum Land Baden, das seit 1952 Teil des neu gebildeten Landes Baden-Württemberg ist (dazu die Stellungnahme vom 16. Februar 1988 des Ministeriums für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten von Baden-Württemberg, [auszugsweise] wiedergegeben bei ERICH BÜRGI, Konkursrechtliche Staatsverträge der Schweiz, insbesondere mit den ehemaligen Königreichen Württemberg und Bayern sowie mit Frankreich, in: Festschrift 100 Jahre SchKG, Zürich 1989, S. 175 ff., insbes. S. 179, und in: BlSchK 1989 S. 81 ff., insbes. S. 86 f.).
Ein am 9. Juli 1808 vom Landammann der Schweiz namens der damaligen Kantone (mit Ausnahme von Schwyz und Glarus) mit dem Grossherzogtum Baden geschlossener Vertrag betreffend die Gleichstellung beiderseitiger Staatsbürger in Konkursfällen wurde auf Wunsch von Baden auf den 1. Januar 1903 ausser Kraft gesetzt (dazu LUCAS DAVID, In Vergessenheit geratene Staatsverträge, in: SJZ 69/1973 S. 84).
Zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Krone Württemberg wurde alsdann unter den Daten vom 12. Dezember 1825 und 13. Mai 1826 die Übereinkunft "betreffend die Konkursverhältnisse und gleiche Behandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen in Konkursfällen (Konkursvertrag)" geschlossen (abgedruckt bei HANS ULRICH WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs, 16. Aufl., Zürich 2002, S. 970 f.). Nach deren Art. I wurde gegenseitig die "Allgemeinheit des Konkursstandes in dem Wohnorte des Gemeinschuldners" anerkannt. Dass das Abkommen nach wie vor gilt, ist schweizerischerseits auch nach der Ablösung des Staatenbundes durch den Bundesstaat nie bezweifelt worden (vgl. DAVID, a.a.O., S. 85; PAUL VOLKEN, in: Zürcher Kommentar zum IPRG, Zürich 2004, Rz. 71 und 73 vor Art. 166-175). Ebenso ist das Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten von Baden-Württemberg in seiner bereits erwähnten Stellungnahme davon ausgegangen, die Übereinkunft stehe nach wie vor in Kraft. In territorialer Hinsicht hielt es allerdings dafür, dass es nur im Gebiet des früheren Königreichs Württemberg (mit Einschluss der ehemaligen Hohenzollerschen Lande) Anwendung finde, das den Vertrag abgeschlossen habe, und dass der Zusammenschluss der Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und (Süd-)Baden (in dem S. gelegen war) im Jahre 1952 nicht zu einer Ausdehnung des Geltungsbereichs geführt habe (vgl. BÜRGI, in: Festschrift 100 Jahre SchKG, S. 179, und in: BlSchK 1989 S. 86 f.).
2.2.3 Nach dem Gesagten bleibt es bei der Feststellung, dass die (direkte) postalische Zustellung der Konkursandrohung gegen staatsvertragliche Bestimmungen verstiess. Sie ist daher nichtig. Auf Grund der Erklärung vom 1./13. Dezember 1878 zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche betreffend den unmittelbaren Geschäftsverkehr zwischen den beiderseitigen Gerichtsbehörden (SR 0.274.181.361) und Art. 1 der Erklärung vom 30. April 1910 zwischen der Schweiz und Deutschland betreffend Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs (SR 0.274.181.362) hätte das Betreibungsamt B. (direkt) das für S. zuständige Amtsgericht Waldshut-Tiengen um die Zustellung der Konkursandrohung ersuchen müssen (vgl. BGE 107 III 11 E. 3 S. 13).