BGE 133 III 57
 
5. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Y. (Berufung)
 
5C.77/2006 vom 14. Dezember 2006
 
Regeste
Nachehelicher Unterhalt; Finanzierung des Mankos (Art. 125 ZGB).
 
Sachverhalt
Mit Urteil vom 1. Februar 2005 schied das Gerichtspräsidium Bremgarten die Parteien auf gemeinsames Begehren, unter Genehmigung der von ihnen geschlossenen Konvention. Nicht einigen konnten sich die Parteien über die Behandlung der Schulden der Ehefrau gegenüber der Fürsorgebehörde aufgrund der Unterstützungsleistungen, die sie zwischen der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes und der Scheidung für sich und die Kinder erhalten hatte. Sie stellte diesbezüglich das Begehren, ihr Ehemann sei gestützt auf Art. 125 ZGB zu verpflichten, ab Oktober 2013 weiterhin Unterhaltsbeiträge bis zum Gesamtbetrag von Fr. 40'531.55 zu zahlen, soweit sie zur Rückzahlung der Sozialhilfeschulden von Fr. 81'063.10 angehalten werde oder sie diese freiwillig zurückzahle.
Das Gerichtspräsidium Bremgarten wies dieses Begehren im genannten Scheidungsurteil ab. Mit Urteil vom 24. Januar 2006 wies das Obergericht des Kantons Aargau die diesbezügliche Appellation der Ehefrau ebenfalls ab.
Gegen das obergerichtliche Urteil hat die Ehefrau Berufung erhoben mit dem Begehren um Verurteilung des Ehemannes zu Unterhaltsbeiträgen ab Oktober 2013 bis zur Höhe von Fr. 40'531.55, soweit sie zur Rückzahlung der Sozialhilfeschulden von Fr. 81'063.10 angehalten werde oder sie diese freiwillig zurückzahle. Sodann verlangt sie die unentgeltliche Rechtspflege. Es wurde keine Berufungsantwort eingeholt. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
 
Aus den Erwägungen:
2. Die Vorinstanzen haben erwogen, es liege kein Anwendungsfall von Art. 166 ZGB vor, weil die Sozialhilfeschulden während der Dauer des Getrenntlebens angefallen seien. Güterrechtlich würden sie, da im Zusammenhang mit dem Familienunterhalt stehend, die Errungenschaft belasten, wobei jeder Ehegatte einen Rückschlag selbst zu tragen habe. Nach Art. 125 ZGB habe ein Ehegatte Anspruch auf angemessenen Unterhalt, soweit er hierfür nicht selbst aufzukommen vermöge. Hingegen biete diese Norm keine Grundlage für den Ausgleich güter-, ehe- und obligationenrechtlicher Ersatz- bzw. Entschädigungs- oder Regressansprüche. Diese seien im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung zu regeln, deren Ergebnis sich nur insofern auf den nachehelichen Unterhalt auswirken könne, als es die wirtschaftliche Leistungs- und Eigenversorgungsfähigkeit der Ehegatten beeinflusse. Nicht angerufen werden könne schliesslich das Diskriminierungsverbot im Sinn von Art. 8 Abs. 3 BV, weil die Gerichte an die im ZGB abschliessend getroffene Regelung der unterhalts-, güter- und eherechtlichen Ansprüche gebunden seien und diese nicht auf ihre Verfassungsmässigkeit hin überprüfen könnten (Art. 191 BV). Eine allfällige Ungleichbehandlung wäre ohnehin nicht im vorliegenden Scheidungsurteil, sondern gegebenenfalls im seinerzeitigen Eheschutzentscheid zu erblicken, mit welchem der Ehefrau in Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Wahrung des Existenzminimums des Unterhaltsverpflichteten keine den Unterhaltsbedarf deckenden Unterhaltsbeiträge zugesprochen, sondern ihr das gesamte Manko überbunden worden sei.
Die Berufungsklägerin sieht darin eine rechtsungleiche Anwendung von Art. 125 ZGB, der nicht verfassungskonform (Art. 8 Abs. 3 BV) ausgelegt worden sei. Die Ehe sei aufgrund der Geburt des gemeinsamen Sohnes lebensprägend gewesen, und ohne Kind hätte sie auch zu keinem Zeitpunkt Sozialhilfe beziehen müssen; insofern seien die Schulden ehebedingt. Auch wenn sie nach dem 16. Lebensjahr des Kindes zu 100 % tätig sein werde, vermöge sie mit einem Einkommen zwischen Fr. 3'000.- und Fr. 3'500.- die Sozialhilfeschulden nicht aus eigener Kraft vollständig abzubauen. Nicht mit der an die Rückzahlung der Schulden gekoppelten zeitlichen Ausdehnung der Unterhaltspflicht, sondern im Gegenteil mit der alleinigen Schuldbelastung werde das Prinzip der nachehelichen Solidarität verletzt. Der angefochtene Entscheid führe aufgrund der traditionellen Rollenteilung und der Auswirkung, dass regelmässig die Mütter auf Sozialhilfebeiträge angewiesen seien, indirekt zu einer strukturellen Diskriminierung der Frauen bzw. der betreuenden Mütter.
3. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt in sämtlichen Bereichen des Familienrechts der Grundsatz, dass bei der Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen der zahlungspflichtigen Partei in jedem Fall das Existenzminimum zu belassen ist (insb. BGE 123 III 1; sodann BGE 121 I 97; BGE 121 III 301; BGE 126 III 353 E. 1a/aa S. 356; BGE 127 III 68 E. 2c S. 70). Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass der unterhaltsberechtigte Teil das Manko, das sich aus der Differenz zwischen den verfügbaren Mitteln und dem gesamthaften Unterhaltsbedarf ergibt, alleine zu tragen hat. Muss er hierfür die Sozialhilfe in Anspruch nehmen, so erwachsen ihm in der entsprechenden Höhe Schulden gegenüber den Fürsorgebehörden bzw. dem Gemeinwesen, die jedenfalls dann persönlich sind, wenn sie nach Aufnahme des Getrenntlebens begründet wurden, da ab diesem Zeitpunkt keine Vertretung der ehelichen Gemeinschaft für die laufenden Bedürfnisse der Familie im Sinn von Art. 166 ZGB mehr möglich ist und demnach die gesetzliche Vertretungsfiktion nicht mehr spielt. Wie die Vorinstanzen richtig erwogen haben, belasten solche Schulden - soweit sie vor der Scheidung begründet worden sind, d.h. soweit das Manko Unterhaltsbeiträge betrifft, die sich auf Art. 137 oder 176 ZGB stützen - in güterrechtlicher Hinsicht die Errungenschaft des betreffenden Ehegatten (Art. 209 Abs. 2 ZGB). Erwächst ihm hieraus bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung ein Rückschlag, so hat er diesen selbst zu tragen (Art. 210 Abs. 2 ZGB).
Dass weder aus gemeinsamer Verpflichtung nach Art. 166 ZGB noch unter güterrechtlichen Gesichtspunkten ein Anspruch auf hälftige Beteiligung an der Rückforderung der empfangenen Sozialhilfebeiträge begründet werden kann, stellt auch INGEBORG SCHWENZER in ihrer Kritik am angefochtenen Aargauer Urteil (in: FamPra.ch 2006 S. 730 f.) nicht in Frage. Hingegen befürwortet sie, dass im Rahmen von Art. 125 ZGB über das 16. Altersjahr des gemeinsamen Kindes hinausgehende Unterhaltsbeiträge für den Fall einer möglichen Rückzahlung der Sozialhilfebeiträge bedingt festgesetzt werden. Sie begründet dies damit, dass die Inanspruchnahme von Sozialhilfe sich als Massnahme zum Zweck des Unterhalts beider Ehegatten darstelle, auch wenn der gemeinsame Haushalt im Zeitpunkt des Bezugs der Sozialhilfe bereits aufgehoben gewesen sei. Die Aufnahme der Schuld habe insoweit nicht nur dem Interesse eines der beiden Ehegatten gedient, als die Ehefrau das gemeinsame Kind betreut und damit eine Pflicht erfüllt habe, die auch dem Vater oblegen habe.
Bei dieser Argumentation wird überspielt, dass als Folge der genannten Rechtsprechung die auf Art. 163 i.V.m. 137 oder 176 bzw. auf 125 ZGB gründende Unterhaltspflicht des Schuldners bei Mankofällen materiell auf die Differenz zwischen Einkommen und Existenzminimum beschränkt wird, was im Übrigen auch für den Kinderunterhalt gemäss Art. 285 ZGB gilt. Der Schuldner hat mit anderen Worten keine über diese Quote hinausgehenden finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem anderen Ehegatten oder seinen Kindern, und mithin hat er diese mit der Bezahlung der entsprechenden Ehegatten- und Kinderalimente vollständig erfüllt. Müsste er nun im Rahmen des nachehelichen Unterhalts anteilsmässig für Unterhaltslücken aufkommen, zu deren Deckung er während der Ehe materiell gar nicht verpflichtet war, würde der nacheheliche Unterhalt nicht nur weiter reichen als der eheliche, sondern würde dies implizit auf eine Korrektur des früheren rechtskräftigen Urteils hinauslaufen; dies würde sich im Übrigen nicht nur beim Ehegatten-, sondern auch beim Kinderunterhalt so verhalten. Dem schuldnerischen Teil im Nachhinein Zahlungen aufzuerlegen, zu denen er seinerzeit (wegen Belassung des vollen Existenzminimums) in einem rechtskräftigen Urteil ausdrücklich nicht verpflichtet worden ist, würde nicht nur den Rahmen von Art. 125 ZGB sprengen, sondern auch mit prozessrechtlichen Grundsätzen kollidieren. Ferner würde mit der Nachfinanzierung seinerzeitiger Unterhaltslücken der Gedanke der Periodizität der Unterhaltsleistungen strapaziert: Zum gebührenden Unterhalt im Sinn von Art. 125 ZGB gehören alle Ausgaben, die zur Aufrechterhaltung der während der Ehe gepflegten Lebenshaltung und somit für den laufenden Unterhalt notwendig sind. Damit geht aber einher, dass Schulden aus einer früheren Periode nicht in einer späteren Phase nachfinanziert werden können, auch wenn sie auf die Tatsache unzureichender Beiträge in jenem Zeitraum zurückzuführen sind, ebenso wenig wie sich voraussehbare Unterhaltslücken vorfinanzieren lassen (vgl. BGE 132 III 593 E. 7.3 S. 597).