65. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X.Y. AG gegen A. (Berufung)
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4C.77/2007 vom 26. Juni 2007
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Regeste
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Art. 336 Abs. 2 lit. b OR; Kündigung gegenüber einem gewählten Arbeitnehmervertreter.
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Sachverhalt
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A. (Kläger) war vom 1. April 1989 bis zum 30. September 2001 als Projektleiter bei der B. tätig. Per 1. Oktober 2001 trat er in die im Rahmen der Entstehung der X. (beziehungsweise des Zusammenschlusses der B. mit anderen Unternehmen) gegründete X.Y. AG (Beklagte) über. Am 9. Juli 2004 kündigte diese das Anstellungsverhältnis mit dem Kläger auf den 31. Oktober 2004. Mit der Kündigung bot die Beklagte dem Kläger die vorzeitige Pensionierung nach einem im Zusammenhang mit der Entstehung der X. vereinbarten Sozialplan an, worauf der Kläger am 1. November 2004 pensioniert wurde. Der Kläger focht die Kündigung mit Blick auf Art. 336 Abs. 2 lit. b OR als missbräuchlich an, da er im Zeitpunkt der Kündigung Mitglied der Mitarbeitervertretung war. Ausserdem waren sich die Parteien uneinig über den Umfang der gemäss Sozialplan geschuldeten Leistungen.
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Der Kläger gelangte an das Arbeitsgericht Baden und verlangte von der Beklagten zusätzliche Leistungen mit Blick auf die vorzeitige Pensionierung und Fr. 54'366.- als Pönale wegen missbräuchlicher Kündigung. Das Obergericht des Kantons Aargau, an welches das Verfahren überwiesen wurde, hiess die Klage mit Bezug auf die gemäss Sozialplan geschuldeten Leistungen gut und wies die Klage im Übrigen ab. Nachdem die Beklagte dieses Urteil beim Bundesgericht mit Berufung angefochten hatte, erhob der Kläger Anschlussberufung und hielt an seiner Entschädigungsforderung wegen Missbräuchlichkeit der Kündigung fest.
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Das Bundesgericht weist die Anschlussberufung ab, soweit es darauf eintritt.
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Aus den Erwägungen:
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6.1 Nach Art. 336 Abs. 2 lit. b OR ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber missbräuchlich, wenn sie ausgesprochen wird, während der Arbeitnehmer gewählter Arbeitnehmervertreter in einer betrieblichen oder einer dem Unternehmen angeschlossenen Einrichtung ist, und der Arbeitgeber nicht beweisen kann, dass er einen begründeten Anlass zur Kündigung hatte. Diese Bestimmung erlaubt dem Arbeitgeber, einem gewählten Arbeitnehmervertreter nicht nur aus Gründen, die dieser selbst gesetzt hat, sondern auch aus rein objektiven Gründen zu kündigen. Der sachliche Kündigungsschutz gemäss Art. 336 ff. OR knüpft am Kündigungsmotiv an; er ist vom zeitlichen Kündigungsschutz gemäss Art. 336c f. OR zu unterscheiden. Art. 336 OR will im Gegensatz zu Art. 336c OR dem Arbeitgeber keine Sperrfristen auferlegen, sondern verhindern, dass aus Beweggründen gekündigt wird, welche nach Auffassung des Gesetzgebers verwerflich sind und deshalb die Kündigung als missbräuchlich erscheinen lassen. Art. 336 Abs. 2 lit. b OR richtet sich gegen Kündigungen, die auf blossem Missfallen des Arbeitgebers an der Tätigkeit beruhen, welche gewählte Arbeitnehmervertreter in Betriebskommissionen oder ähnlichen Einrichtungen entfalten. Die Umkehr der Beweislast verstärkt den Schutz, den das Gesetz dem gewählten Arbeitnehmervertreter gewährt, um ihm eine wirkungsvolle Vertretung von Arbeitnehmerinteressen zu ermöglichen. Die Vorschriften über den sachlichen Kündigungsschutz bezwecken keinen Bestandesschutz des Arbeitsverhältnisses während bestimmter Zeitspannen; sie belegen lediglich den Kündigungsmissbrauch, d.h. die Kündigung aus verwerflichen Beweggründen mit Sanktionen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4C.183/1994 vom 17. November 1994, E. 1 mit zahlreichen Hinweisen auf die unterschiedlichen Lehrmeinungen, publ. in: Jahrbuch des schweizerischen Arbeitsrechts [JAR] 1995 S. 154 ff.).
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6.2 Da Art. 336 Abs. 2 lit. b OR an das Motiv der Kündigung anknüpft, muss auch eine Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen grundsätzlich zulässig sein, soweit kein Zusammenhang mit der Tätigkeit als Arbeitnehmervertreter besteht (STAEHELIN, Zürcher Kommentar, N. 33 zu Art. 336 OR; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, in: Schweizerisches Privatrecht [SPR], Bd. VII/4, 3. Aufl., S. 244). Wenngleich in der Lehre häufig der schlechte Geschäftsgang oder Arbeitsmangel als Beispiel für eine zulässige, durch wirtschaftliche Gründe motivierte Entlassung genannt wird (vgl. REHBINDER, Berner Kommentar, N. 9 zu Art. 336 OR; STAEHELIN, a.a.O., N. 33 zu Art. 336 OR; STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, 6. Aufl., N. 12 zu Art. 336 OR), ist es entgegen der Auffassung des Klägers nicht notwendig, dass der Restrukturierungsbedarf durch die schlechte Geschäftslage klar erwiesen ist, da sonst dem Arbeitgeber verunmöglicht würde, durch frühzeitige Restrukturierungsmassnahmen schlechte Geschäftslagen zu vermeiden. Soweit in der Lehre wirtschaftliche Gründe zur Rechtfertigung der Kündigung eines Arbeitnehmervertreters abgelehnt werden (BRUNNER/BÜHLER/WAEBER/BRUCHEZ, Kommentar zum Arbeitsvertragsrecht, 3. Aufl., N. 10 zu Art. 336 OR), weil die Arbeitnehmer gerade in diesen Zeiten auf eine Arbeitnehmervertretung angewiesen seien, gilt es zu bedenken, dass sich ein überschiessender Schutz des Arbeitnehmervertreters zu Ungunsten der übrigen Arbeitnehmer auswirken kann, indem dem Arbeitgeber verunmöglicht würde, die effizientesten und sozialverträglichsten Massnahmen zu ergreifen, sofern diese den Arbeitnehmervertreter beträfen. Praktische Folge davon wäre, dass die Einsparungen an anderer Stelle durchgeführt würden und allenfalls weniger sozialverträglich wären oder mehr Personen davon betroffen würden. Um die Missbrauchsvermutung umzustossen, ist mithin nicht notwendig, dass der Arbeitgeber die Umstrukturierung zunächst zu Lasten anderer Arbeitnehmer vornimmt (vgl. die von STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 12 zu Art. 336 OR zitierte kantonale Rechtsprechung).
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6.3 Der Arbeitgeber darf Optimierungsmassnahmen treffen, ohne dass er einen schlechten Geschäftsgang abwarten müsste, und er darf die Lohnkosten dort einsparen, wo es sich als betriebswirtschaftlich besonders sinnvoll erweist oder am ehesten sozialverträglich abwickeln lässt, auch wenn Arbeitnehmervertreter davon betroffen sein sollten. In dieser Hinsicht besteht entgegen der Auffassung des Klägers kein Unterschied zu den übrigen Arbeitnehmern, da die Regelung grundsätzlich keinen absoluten Bestandesschutz bezweckt (VISCHER, a.a.O., S. 244). Freilich dürfen die wirtschaftlichen Gründe nicht bloss vorgeschoben werden, um den Arbeitnehmervertreter loszuwerden, beispielsweise indem die angeblich einzusparende Stelle durch eine neueingestellte Person wieder besetzt wird (vgl. AUBERT, Commentaire romand, N. 13 zu Art. 336 OR). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die durch die Arbeitnehmervertretung entstehende Zusatzbelastung die Arbeitsleistung beeinträchtigen kann. Ist die Kündigung auf durch die Arbeitnehmervertretung bedingten Leistungseinbussen zurückzuführen, ist der gesetzliche Missbrauchstatbestand erfüllt. Der Nachweis, dass die Stelle des Arbeitnehmervertreters für Einsparungen im Rahmen einer Rationalisierung objektiv besonders geeignet erscheint, vermag die Kündigung daher nur zu rechtfertigen, sofern diese besondere Eignung nicht ihrerseits Folge der mit der Arbeitnehmervertretung verbundenen Zusatzbelastung ist.
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(...)
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6.6 Die Tatsache, dass der Kläger als Arbeitnehmervertreter tätig war, lässt die Kündigung unter den gegebenen Umständen nicht als missbräuchlich erscheinen. Der Missbrauch könnte sich aber auch unabhängig von der Stellung des Klägers im Betrieb aus der Art der Kündigung ergeben, da den Feststellungen der Vorinstanz nicht zu entnehmen ist, dass die Beklagte vorgängig mit dem Kläger das Gespräch gesucht hätte, um allenfalls alternative Lösungen zu finden. Ein bloss unanständiges, einem geordneten Geschäftsverkehr unwürdiges Verhalten des Arbeitgebers genügt indessen nicht, um die Kündigung als missbräuchlich erscheinen zu lassen (BGE 132 III 115 E. 2.3 S. 118 mit Hinweisen). Immerhin kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers unter Umständen die Pflicht ergeben, nach alternativen Lösungen zu suchen (BGE 132 III 115). Im zu beurteilenden Fall ist indessen in Rechnung zu stellen, dass die Beklagte dem Kläger mit der Kündigung einen Sozialplan unterbreitete, und der Kläger diesen Vorschlag angenommen hat. Die Beklagte hat sich somit bemüht, die Härte der Kündigung in Absprache mit dem Kläger zu mildern. Wenn die Vorinstanz vor diesem Hintergrund eine Verletzung der Fürsorgepflicht und damit die Missbräuchlichkeit der Kündigung verneinte, verletzte sie kein Bundesrecht. Daher dringt der Kläger mit seiner Anschlussberufung nicht durch. Ob sich der Kläger missbräuchlich verhält, wenn er einerseits den von der Beklagten angebotenen Sozialplan annimmt und dennoch die Kündigung als missbräuchlich anficht, kann dahingestellt bleiben.
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