BGE 134 III 420 |
69. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. Versicherungen AG gegen Y. Versicherungs-Gesellschaft (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_76/2008 vom 30. Mai 2008 |
Regeste |
Übereinkommen über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht; IPRG; Regress des Unfallversicherers der Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers. |
Sachverhalt |
A. Am 2. August 1992 fuhren A. und B. in Schottland auf der Strasse A835 von Inverness Richtung Ullapool. Auf dieser Strecke fuhr A. in einer langgezogenen Rechtskurve auf der falschen (rechten) Strassenseite, wo er mit einem korrekt entgegenkommenden Personenwagen kollidierte. A. starb noch auf der Unfallstelle. B. zog sich schwerste Verletzungen zu, die zur vollständigen Erwerbsunfähigkeit führten.
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A. war bei der Y. Versicherungs-Gesellschaft (Beklagte, Beschwerdegegnerin) haftpflichtversichert, B. bei der X. Versicherungen AG (Klägerin, Beschwerdeführerin) unfallversichert. Die Klägerin erbrachte in der Folge Leistungen für Heilungskosten, Taggelder, Invalidenrenten sowie Invaliditätskapital und -entschädigung gemäss UVG und VVG.
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B. Mit Klage vom 2. Juni 2004 beantragte die Klägerin dem Handelsgericht des Kantons Zürich, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr Fr. 1'685'760.20 zuzüglich 5 % Zins auf Fr. 150'000.- seit 1. April 1993, 5 % Zins auf Fr. 100'000.- seit 28. Dezember 1994 und 5 % Zins auf Fr. 1'435'760.20 seit Klageeinleitung zu bezahlen, wobei sie sich Mehrforderungen für künftigen Schaden vorbehielt (Ziff. 1). Weiter sei die Beklagte zu verpflichten, ihr die ab Klageeinleitung bis zum Urteilszeitpunkt an Frau B. ausbezahlten monatlichen IV-Komplementärrenten von Fr. 6'000.- zu ersetzen, wobei auch hier Mehrforderungen für Rentenleistungen nach dem Urteilszeitpunkt vorbehalten wurden (Ziff. 2).
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Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage mit Urteil vom 2. März 2007 ab. Es kam zum Schluss, dass der Geschädigten gestützt auf Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens vom 4. Mai 1971 über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (SR 0.741.31; im Folgenden: StVÜ) i.V.m. Art. 65 Abs. 1 SVG ein unmittelbares Forderungsrecht gegen den Haftpflichtversicherer zukomme. Der regressierende Versicherer könne sich aber auf dieses Privileg nicht berufen, da der Normzweck von Art. 9 Abs. 3 StVÜ ausschliesslich darin bestehe, den Geschädigten besser zu stellen.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 11. Februar 2008 beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 2. März 2007 sei aufzuheben (Ziff. 1). Weiter sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihr Fr. 1'685'760.20 zuzüglich 5 % Zins auf Fr. 150'000.- seit 1. April 1993, 5 % Zins auf Fr. 100'000.- seit 28. Dezember 1994 und 5 % Zins auf Fr. 1'435'760.20 seit Klageeinleitung zu bezahlen, unter Vorbehalt von Mehrforderungen für künftigen Schaden (Ziff. 2). Die Beschwerdegegnerin sei ausserdem zu verpflichten, ihr die ab Klageeinleitung bis zum Urteilszeitpunkt an Frau B. ausbezahlten monatlichen IV-Komplementärrenten von Fr. 6'000.- zu ersetzen, unter Vorbehalt von Mehrforderungen für Rentenleistungen nach dem Urteilszeitpunkt (Ziff. 3). Eventualiter sei das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 2. März 2007 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Handelsgericht zurückzuweisen (Ziff. 4). Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des IPRG sowie des StVÜ.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
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Aus den Erwägungen: |
Die Leistungen, für die die Beschwerdeführerin Regress nehmen will, wurden auf Grund eines Unfalls erbracht, der sich in Schottland ereignet hat. Der Anspruch der Geschädigten gegenüber dem Unfallverursacher bzw. der Beschwerdegegnerin, in den die Beschwerdeführerin eingetreten sein will, untersteht schottischem Recht (Art. 134 IPRG i.V.m. Art. 3 StVÜ). Die Aufteilung in eine erste "internationale" und eine zweite "rein inländische" Ebene verbietet sich damit von vorneherein. Im Übrigen kommt es für den Regress auf Sitz bzw. Wohnsitz oder Staatsangehörigkeit der Beteiligten gerade nicht an. Dem Eventualstandpunkt der Beschwerdeführerin kann nicht gefolgt werden. Der vorliegende Fall untersteht vielmehr den Bestimmungen des IPRG.
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3. Die Beschwerdeführerin verlangt von der Beschwerdegegnerin Ersatz für die der Geschädigten gestützt auf UVG (SR 832.20) und VVG (SR 221.229.1) erbrachten Leistungen. Sie rügt, das Handelsgericht habe in seinen Erwägungen verkannt, dass sie ihr Klagerecht gegen die Beschwerdeführerin nicht auf Art. 9 Abs. 3 StVÜ, sondern auf Art. 144 IPRG abstütze.
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3.2 Art. 9 StVÜ weicht insofern von Art. 2 Ziff. 5 StVÜ ab, als es das unmittelbare Forderungsrecht zugunsten des Geschädigten im Sinn einer Ausnahme wieder unter die Herrschaft des Übereinkommens zurückholt (VOLKEN, Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 128 zu Art. 134 IPRG; ADRIAN RUFENER, Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2007, N. 33 zu Art. 134 IPRG). Nach Abs. 1 der Norm ist bei der hier interessierenden Konstellation in erster Linie das innerstaatliche Recht des Staates massgebend, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat. Sieht dieses kein direktes Klagerecht vor, kann es gemäss Art. 9 Abs. 3 StVÜ dennoch ausgeübt werden, wenn es von dem Recht zugelassen ist, das auf den Versicherungsvertrag Anwendung findet. Die Bestimmung ist insofern eng auszulegen, als sie nur gerade die Frage der Zulässigkeit dieses unmittelbaren Forderungsrechts betrifft (VOLKEN, a.a.O., N. 134 zu Art. 134 IPRG; DUTOIT, Droit international privé suisse, Commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 4. Aufl. 2005, N. 20 zu Art. 134 IPRG). Sie wurde eingeführt, um dem Geschädigten so weit wie möglich ein direktes Vorgehen gegen den Versicherer zu erlauben und zu verhindern, dass ein solches Forderungsrecht wegen der im StVÜ vorgesehenen Anknüpfungen nicht geltend gemacht werden kann (ESSEN, a.a.O., S. 214). Dass die Norm darüber hinaus - wie die Vorinstanz vertritt - ausschliessen soll, dass sich ein regressierender Versicherer auf das dem Geschädigten zustehende Direktklagerecht berufen kann, ergibt sich weder aus ihrem Wortlaut noch aus den Erläuterungen des "rapport explicatif". Ein solches Verständnis steht auch im Widerspruch zu Art. 2 StVÜ, der den Regress des Versicherers ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausnimmt. Mit Bezug auf die Position des Versicherers lässt sich aus Art. 9 StVÜ nichts ableiten.
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3.3 Da das StVÜ Regress und Subrogation nicht regelt, kommen hierfür die Art. 144 und 145 IPRG zur Anwendung (VOLKEN, a.a.O., N. 49 zu Art. 134 IPRG; RUFENER, a.a.O., N. 17a zu Art. 134 IPRG; YVO GISLER, Die Stellung des Schweizerischen Haftpflicht-Versicherers im IPR der Strassenverkehrsunfälle, Diss. Basel 1993, S. 135; vgl. auch die Botschaft vom 24. Oktober 1984 betreffend das Haager Übereinkommen über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht [BBl BGE 1984 III 915 /922], die auf die Art. 139 und 140 des IPR-Entwurfes verweist). Gemäss Art. 144 Abs. 1 IPRG kann ein Schuldner auf einen anderen Schuldner durch Eintritt in die Rechtsstellung des Gläubigers insoweit Rückgriff nehmen, als es die Rechte zulassen, denen die entsprechenden Schulden unterstehen. Für die Zulässigkeit und den Umfang des Rückgriffs wird also eine kumulative Anknüpfung an das Recht, dem das Verhältnis zwischen Gläubiger und Rückgriffsberechtigtem untersteht (Kausalstatut), und an das Recht, dem der Anspruch des Gläubigers gegenüber dem Rückgriffsverpflichteten untersteht (Forderungsstatut), verlangt (BGE 128 III 295 E. 2d S. 302; BGE 118 II 502 E. 2c S. 505 f.). Es wird allerdings nicht vorausgesetzt, dass beide Rechtsordnungen dieselbe Art des Rückgriffs vorsehen, sondern nur, dass die beiden Rückgriffsformen vergleichbar sind (KELLER/GIRSBERGER, Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004, N. 16 zu Art. 144 IPRG). Die Durchführung des nach Abs. 1 zulässigen Rückgriffs erfolgt gemäss Abs. 2 der Norm grundsätzlich nach dem Forderungsstatut; darunter fällt insbesondere auch die Frage, ob ein unmittelbares Forderungsrecht des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer auf den Rückgriffsberechtigten übergeht (KELLER/GIRSBERGER, a.a.O., N. 24 zu Art. 144 IPRG; DASSER, Basler Kommentar, a.a.O., N. 10 zu Art. 144 IPRG; VISCHER/HUBER/OSER, Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl. 2000, Randnr. 1104; DUTOIT, a.a.O., N. 4 zu Art. 144 IPRG). Soweit der Rückgriff Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung betrifft, bestimmt sich die Frage, ob ein Rückgriffsrecht besteht, gemäss Art. 144 Abs. 3 IPRG nach dem Recht, das auf den Sozialversicherungsträger anwendbar ist (Kausalstatut); für die Zulässigkeit und die Durchführung des Rückgriffs gelten Art. 144 Abs. 1 und 2 IPRG.
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Nach Art. 144 Abs. 1 und 3 IPRG sind das schweizerische Recht als Kausalstatut und das schottische Recht als Forderungsstatut massgebend. Das schweizerische Recht lässt den Rückgriff der Beschwerdeführerin kraft Subrogation gestützt auf Art. 41 aUVG und Art. 72 VVG grundsätzlich zu; das direkte Forderungsrecht der Geschädigten geht als akzessorisches Nebenrecht auf die subrogierende Beschwerdeführerin über (BGE 119 II 289 E. 5b S. 294; BGE 124 III 222 E. 3 S. 225). Es bleibt zu prüfen, ob das schottische Recht eine vergleichbare Regelung kennt. Unter den Parteien besteht darüber keine Einigkeit. Das Handelsgericht hat in dieser Hinsicht keine Abklärungen vorgenommen. Da sich der Inhalt der massgebenden Normen des schottischen Rechts nicht ohne Weiterungen feststellen lässt, ist die Sache gestützt auf Art. 107 Abs. 2 BGG an die Vorinstanz zurückzuweisen (vgl. BGE 119 II 93 E. 2c/cc S. 95).
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