98. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X.-Versicherung gegen Eidgenössische Invalidenversicherung (Beschwerde in Zivilsachen)
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4A_246/2008 vom 23. September 2008
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Regeste
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Art. 48quater Abs. 3 Satz 2 aAHVG; Art. 73 Abs. 3 Satz 2 ATSG; Quotenvorrecht/Befriedigungsvorrecht.
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Sachverhalt
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A.a Die 1990 in Solothurn geborene A. leidet als Folge von Komplikationen bei ihrer Geburt an schweren zerebralen Schädigungen sowie an einer schweren tetraspastischen Bewegungsstörung.
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A.b Am 16. Oktober 1998 erhoben die Eltern von A. beim Amtsgericht von Solothurn-Lebern eine Teilklage auf Leistung einer Genugtuung gegen Dr. med. W., der Mutter und Kind während der Geburt betreut hatte.
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Das Obergericht des Kantons Solothurn bejahte eine für den Gesundheitsschaden von A. rechtserhebliche Sorgfaltspflichtverletzung des Arztes und sprach der Mutter mit Urteil vom 12. Dezember 2006 eine Genugtuung von Fr. 50'000.- nebst Zins zu 5 % seit dem 29. Januar 1990 zu; die Klage des Vaters wies es infolge eingetretener Verjährung ab. Das Bundesgericht wies eine gegen dieses Urteil erhobene Berufung am 19. Mai 2003 ab.
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B.
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B.a Die Eidgenössische Invalidenversicherung (Beschwerdegegnerin), die bereits seit 1990 Leistungen für A. erbracht hatte, reichte in der Folge beim Richteramt Solothurn-Lebern Klage gegen Dr. W. ein. Die Beschwerdegegnerin beantragte, Dr. W. sei zu verpflichten, ihr unter Vorbehalt einer Mehrforderung Fr. 2'520'852.- zuzüglich Zins zu 5 %, ausmachend Fr. 392'902.- für die Zeit vom 29. Januar 1990 bis zum 31. Juli 2005 und auf Fr. 2'520'852.- ab dem 1. August 2005 zu bezahlen.
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Dr. W. liess seiner Berufshaftpflichtversicherung, der X.-Versicherung (Beschwerdeführerin), den Streit verkünden. Die Beschwerdeführerin leistete der Streitverkündigung Folge.
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Am 27. April 2006 schlossen die Beschwerdegegnerin, Dr. W. und die Beschwerdeführerin eine Prozessvereinbarung ab. Danach sollte die Beschwerdeführerin anstelle von Dr. W. in den Prozess eintreten und sie anerkannte im Rahmen der Versicherungssumme von Fr. 3 Mio. sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die geltend gemachte Regressforderung. Schliesslich sollte das Prozessthema auf die Frage des Befriedigungsvorrechts der geschädigten Person beschränkt werden, das die Beschwerdeführerin der Forderung der Beschwerdegegnerin nach wie vor entgegenhielt.
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Mit Verfügung vom 8. Mai 2006 stellte der Amtsgerichtspräsident fest, dass die Beschwerdeführerin anstelle von Dr. W. als Beklagte in den Prozess eintritt, und beschränkte das Prozessthema auf die Frage des Deckungs- bzw. Befriedigungsvorrechts.
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Mit Urteil vom 7. Dezember 2006 hiess das Amtsgericht von Solothurn-Lebern die Klage der Beschwerdegegnerin gut und verpflichtete die Beschwerdeführerin zur Zahlung von Fr. 2'520'852.- nebst Zins zu 5 % seit dem 1. August 2005 und Fr. 392'902.- Verzugszins für die Zeit vom 29. Januar 1990 bis 31. Juli 2005.
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B.b Auf Berufung der Beschwerdeführerin hin verpflichtete das Obergericht des Kantons Solothurn die Beschwerdeführerin mit Urteil vom 21. April 2008, der Beschwerdegegnerin den Betrag von Fr. 2'520'852.- nebst Schadenszins von Fr. 43'959.60 zu bezahlen.
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C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 21. Mai 2008 beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 21. April 2008 sei aufzuheben und die Klage sei unter Kosten- und Entschädigungsfolge in sämtlichen Instanzen zu Lasten der Beschwerdegegnerin abzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wird.
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Aus den Erwägungen:
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Die Vorinstanz hielt unter anderem dafür, dass das Befriedigungsvorrecht eine Benachteiligung des Geschädigten verhindern solle und auf dem Gedanken beruhe, dass der Versicherer seinen Versicherten unter anderem Schutz gegen Zahlungsunfähigkeit des Haftpflichtigen zu bieten habe. Dieser Normzweck stehe nicht in Frage, wenn dem Geschädigten lediglich eine nicht gegen den Willen des Schuldners durchsetzbare, verjährte Forderung zustehe und der Haftpflichtige die Einrede der Verjährung tatsächlich erhebe. Die Vorinstanz erwog weiter, dass es beim Befriedigungsvorrecht des Geschädigten um die Reihenfolge unter mehreren Gläubigern gehe, die durchsetzbare Ansprüche auf dasselbe Haftungssubstrat erheben können. Die Frage der Rangfolge stelle sich jedoch gar nicht, wenn der Geschädigte keine erzwingbare Forderung mehr erheben könne. Insoweit verhalte es sich gleich wie bei privilegierten Forderungen im Konkursverfahren, die nicht angemeldet oder abgewiesen werden, womit die darauf entfallende Konkursdividende den nachfolgenden Gläubigern und nicht dem Schuldner zugute käme. Im Übrigen würde es zu einer vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Privilegierung des insolventen und ungenügend versicherten Haftpflichtigen führen, wenn sich der Haftpflichtige und sein Versicherer in der vorliegenden Situation auf das Befriedigungsvorrecht berufen könnten, da sie diesfalls weder die verjährte Schadenersatzforderung des Geschädigten noch die Regressforderung der Sozialversicherung erfüllen müssten, wogegen ein solventer und ausreichend versicherter Haftpflichtiger die Regressforderung allemal zu begleichen hätte. Der Zweck des Befriedigungsvorrechts sei darin zu sehen, eine Benachteiligung des Geschädigten zu verhindern. Da die Geschädigte keinerlei Nachteil erleide, wenn die Beschwerdegegnerin ihre Regressforderung durchsetze, könne sich die Beschwerdeführerin nicht auf das Befriedigungsvorrecht berufen.
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Erwägung 1.3
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Das in Art. 48quater aAHVG vorgesehene Quotenvorrecht des Geschädigten (siehe nunmehr Art. 73 ATSG) kann als Verteilungsvorrecht (Abs. 1) oder als Befriedigungs- bzw. Deckungsvorrecht (Abs. 3 Satz 2) zum Tragen kommen (zur Unterscheidung ROLAND SCHAER, Grundzüge des Zusammenwirkens von Schadenausgleichsystemen, Basel/Frankfurt a.M. 1984, Rz. 942). Während das Verteilungsvorrecht dann zum Zug kommt, wenn dem Geschädigten aus rechtlichen Gründen (insbesondere bei blosser Teilhaftung des Haftpflichtigen wegen Selbstverschuldens) nicht die volle Befriedigung zukommt, findet das Befriedigungsvorrecht Anwendung, wenn der Haftpflichtige aus tatsächlichen Gründen (Insolvenz bzw. mangelnde Versicherungsdeckung) nicht in der Lage ist, beide gegen ihn gerichteten Forderungen zu befriedigen (dazu PETER BECK, Zusammenwirken von Schadenausgleichsystemen, in: Münch/Geiser [Hrsg.], Schaden - Haftung - Versicherung, Basel 1999, Rz. 6.138 ff.).
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Bereits der Umstand, dass dem Quotenvorrecht nur im Rahmen der Leistungskoordination Bedeutung zukommt, lässt es als fragwürdig erscheinen, ein "fiktives Quotenvorrecht" auch für den Fall anzuerkennen, dass der Geschädigte seinen Schadenersatzanspruch infolge Verjährung gar nicht mehr durchsetzen kann. Es ist fraglich, ob in einer solchen Konstellation von einer Konkurrenz des Direktanspruchs des Geschädigten mit dem Subrogationsanspruch des Versicherers gesprochen werden kann, weshalb sich womöglich auch die Frage nach der Rangfolge dieser Ansprüche erübrigt. Wie es sich damit in Bezug auf das Verteilungsvorrecht nach Art. 48quater Abs. 1 aAHVG (bzw. nunmehr Art. 73 Abs. 1 ATSG) verhält, kann vorliegend offen bleiben, da der haftpflichtige Arzt unbestritten für den gesamten Schaden aufzukommen hat und ein Quotenvorrecht im Sinne des Verteilungsvorrechts ausser Betracht steht.
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1.3.2 Die Beschwerdeführerin hält dem Regressanspruch der Beschwerdegegnerin einzig das Befriedigungsvorrecht der Geschädigten (Art. 48 quater Abs. 3 Satz 2 aAHVG) entgegen. Danach sind, falls nur ein Teil des vom Haftpflichtigen geschuldeten Ersatzes eingebracht werden kann, daraus zuerst die Ansprüche des Versicherten und seiner Hinterlassenen zu befriedigen.
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Die Beschwerdeführerin beruft sich vergeblich auf das Befriedigungsvorrecht. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin wird die Subrogation bei ungenügendem Haftungssubstrat nicht etwa beschränkt; vielmehr tritt der Sozialversicherer im Umfang der von ihm erbrachten Leistungen vollständig in die Schadenersatzforderung der geschädigten Person ein. Macht der Geschädigte bei ungenügendem Vermögen des Haftpflichtigen seine Ersatzansprüche nicht geltend oder lässt er sie verjähren, so stellt sich die Frage einer Rangordnung zwischen Sozialversicherer und Geschädigtem hinsichtlich der Vermögenswerte des Haftpflichtigen gar nicht. Wie die Beschwerdegegnerin zutreffend vorbringt, ist eine Rangordnung nur dann nötig, wenn mehrere Gläubiger auf ungenügendes Haftungssubstrat greifen können. Kann der Geschädigte seinen Anspruch aufgrund des Eintritts der Verjährung nicht mehr durchsetzen oder macht er seinen Anspruch aus anderen Gründen nicht geltend, so bleibt für eine Rangordnung für den Zugriff auf das Haftungssubstrat kein Raum (im Ergebnis ebenso GHISLAINE FRÉSARD-FELLAY, Le recours subrogatoire de l'assurance-accidents sociale contre le tiers responsable ou son assureur, Diss. Freiburg 2007, Rz. 1121 ff.; FRANÇOIS KOLLY, Le droit préférentiel du lésé, en l'absence de prétention directe de celui-ci - application du droit préférentiel abstrait ou concret?, in: HAVE 2004 S. 305, die allerdings beide zu diesem Schluss kommen, ohne zwischen dem Befriedigungsvorrecht und dem - im vorliegenden Verfahren nicht in Frage stehenden - Quotenvorrecht im Sinne des Verteilungsvorrechts nach Art. 48quater Abs. 1 aAHVG bzw. Art. 73 Abs. 1 ATSG zu differenzieren).
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Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, spricht der Wortlaut von Art. 48 quater Abs. 3 Satz 2 aAHVG dagegen, dass zum geschuldeten Ersatz, der nur teilweise "eingebracht" werden kann, auch Ersatzansprüche des Versicherten bzw. seiner Hinterlassenen gezählt werden, die verjährt sind, zumal der letzte Satzteil der Bestimmung voraussetzt, dass das verfügbare Haftungssubstrat zur Auszahlung gelangt und die Ansprüche tatsächlich erfüllt werden. Muss der Ersatzpflichtige demgegenüber nicht mehr leisten, weil er dem Geschädigten die Verjährungseinrede entgegenhält, so kann von einem nur teilweise "eingebrachten" Ersatz nicht die Rede sein und dem Haftpflichtigen ist es verwehrt, sich auf eine (fiktive) vorgängige Befriedigung des Versicherten zu berufen. Dass einem Schädiger gegenüber dem Geschädigten Ansprüche in auch nur annähernd gleicher Höhe zustehen und der Geschädigte daher die verjährten Schadenersatzansprüche zur Verrechnung bringen kann (Art. 120 Abs. 3 OR), ist zwar ein denkbarer, aber kein Ausnahmefall, mit dem ernsthaft zu rechnen ist. Der betreffende Einwand der Beschwerdeführerin verfängt daher nicht.
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Das Befriedigungsvorrecht des Geschädigten beruht auf dem Gedanken, dass der Versicherer seinen Versicherten unter anderem Schutz gegen Zahlungsunfähigkeit des Haftpflichtigen zu bieten hat (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I: Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Zürich 1995, § 11 Rz. 201; FRÉSARD-FELLAY, a.a.O., Rz. 1076; SCHAER, a.a.O., Rz. 794). Kann die Direktforderung gegenüber dem Haftpflichtigen nicht mehr durchgesetzt werden, da dieser ihr die Verjährungseinrede entgegenhält, so erübrigt sich ein Schutz des Geschädigten gegen Insolvenz und es steht der Durchsetzung des Regressanspruchs des Sozialversicherers nichts entgegen. Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die Klage der Beschwerdegegnerin gutgeheissen hat.
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