BGE 138 III 396
 
58. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Z. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
5A_816/2011 vom 23. April 2012
 
Regeste
Kompetenz der Kantone, die gewerbsmässige Vertretung der am Zwangsvollstreckungsverfahren Beteiligten zu regeln (Art. 27 SchKG).
 
Sachverhalt
Die X. AG, vertreten durch die Y. AG, ein Inkasso- und Treuhandunternehmen, ersuchte beim Einzelrichter des Bezirksgerichts Willisau in der gegen Z. angehobenen Betreibung um definitive bzw. provisorische Rechtsöffnung für ihre Forderungen. Der Einzelrichter hielt die Gläubigerin dazu an, innert bestimmter Frist entweder das Rechtsöffnungsbegehren selbst einzureichen oder von einem berechtigten Vertreter einreichen zu lassen. Die Y. AG beharrte auf ihrer Eingabe mit der Begründung, sie betrachte sich aufgrund der gesetzlichen Regelung des Kantons Luzern als berechtigt, Parteien im Rechtsöffnungsverfahren gewerbsmässig zu vertreten. Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Willisau schrieb das Verfahren ab; er hielt dafür, die X. AG habe innert gesetzter Frist keine neue Rechtsschrift eingereicht. Die Eingaben der nicht zugelassenen Parteivertreterin seien unbeachtlich.
Das Obergericht des Kantons Luzern wies die gegen den einzelrichterlichen Entscheid erhobene Beschwerde der X. AG ab.
Gegen diesen Entscheid hat die nunmehr anwaltlich verbeiständete X. AG (Beschwerdeführerin) beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie schliesst dahin, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Behandlung der Rechtsöffnungsgesuche an die Vorinstanz bzw. die erste Instanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 3
3.2 Art. 68 Abs. 2 lit. c ZPO ermächtigt die gewerbsmässigen Vertreterinnen und Vertreter gemäss Art. 27 SchKG dazu, die Parteien in den Angelegenheiten des summarischen Verfahrens nach Art. 251 ZPO berufsmässig vor den Gerichten zu vertreten. Trotz des Verweises auf Art. 27 SchKG sagt Art. 68 Abs. 2 lit. c ZPO entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin aber nichts darüber aus, ob und wie die Kantone die gewerbsmässige Vertretung organisieren bzw. ob und von welchen Bedingungen sie die gewerbsmässige Vertretung abhängig machen können. Auch wenn sich diese Bestimmung dazu nicht äussert, besagt dies noch keineswegs, dass die gewerbsmässige Vertretung nicht von gewissen Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf. Einschlägige Norm für diese Fragen ist Art. 27 Abs. 1 SchKG. Er gibt den Rahmen vor, in dem die Kantone Grundsätze über die gewerbsmässige Vertretung der an einer Schuldbetreibung Beteiligten schaffen können (BGE 135 I 106).
3.3 Gemäss Art. 27 Abs. 1 Satz 1 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (AS 11 529; BS 3 3) konnten die Kantone die gewerbsmässige Vertretung organisieren. Ihnen wurde insbesondere die Befugnis eingeräumt, die Ausübung dieses Berufes vom Nachweis persönlicher Tauglichkeit und Ehrenhaftigkeit abhängig zu machen. Obwohl diese Bestimmung hinsichtlich der von ihr betroffenen betreibungsrechtlichen Verfahren offen formuliert war, entschied das Bundesgericht, sie beziehe sich nur auf die eigentliche Betreibung, das Verfahren vor den Vollstreckungsbehörden (Betreibungs- und Konkursämter, Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs usw.). Die gerichtlichen Streitigkeiten, welche sich im Anschluss an die hängige Betreibung als Inzident derselben ergeben können, seien von ihr nicht betroffen. Zur Begründung dieser Rechtsauffassung hielt es dafür, im Gegensatz zur eigentlichen Schuldbetreibung sei der "Rechtsgang vor dem Richter" in solchen Streitigkeiten, so insbesondere auch "im summarischen Prozessverfahren betreffend Rechtsvorschläge und Konkursbegehren (Art. 25 Ziff. 2 SchKG)", nicht durch das Bundesrecht geregelt. Die Organisation dieser Verfahren sei vielmehr (gestützt auf Art. 25 Ziff. 2 SchKG) der kantonalen Gesetzgebung überlassen, welche auch die Bedingungen für die Vertretung der Parteien im Prozess regeln könne (BGE 59 I 197 E. 2 S. 200 f.). In späteren Entscheiden hat es diese Praxis bestätigt (BGE 95 I 330; BGE 103 Ia 47). Anlässlich der Revision von 1994 (Fassung gemäss Ziff. 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1994, in Kraft seit 1. Januar 1997; AS 1995 1227, 1307; BBl 1991 III 1) wurde Art. 27 Abs. 1 SchKG durch den Zusatz "der am Zwangsvollstreckungsverfahren Beteiligten" ergänzt und mit Bezug auf den Katalog der möglichen Regelungen durch eine Aufgliederung in drei Ziffern neu gefasst. Am offenen Wortlaut von Art. 27 Abs. 1 Satz 1 SchKG mit Bezug auf die Verfahren und an der beschriebenen bundesgerichtlichen Rechtsauffassung hat sich durch die Revision nichts geändert (ROTH/WALTER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 5 zu Art. 27 SchKG; ERIC MUSTER, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 6 zu Art. 27 SchKG; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et faillite, Bd. I, 1999, N. 12 zu Art. 27 SchKG).
3.4 Durch die Einführung der ZPO am 1. Januar 2011 (AS 2010 1836) trat mit Art. 68 Abs. 2 lit. c ZPO eine Norm in Kraft, welche nunmehr die berufsmässige Vertretung in den (gerichtlichen) Summarverfahren gemäss Art. 251 ZPO durch die gewerbsmässigen Vertreterinnen und Vertreter gemäss Art. 27 SchKG von Bundesrechts wegen vorsieht; überdies verweist diese Norm auf Art. 27 SchKG. Gleichzeitig ist Art. 25 SchKG aufgehoben worden (AS 2010 Anhang 1 Ziff. 17 1847), aus welchem das Bundesgericht die kantonale Kompetenz zur Regelung der Bedingungen der gerichtlichen gewerbsmässigen Vertretung ableitete. Demgegenüber hat Art. 27 SchKG mit der Einführung der ZPO keine Änderung erfahren. Infolge dieser gesetzlichen Änderungen und unter Berücksichtigung der unverändert gebliebenen Fassung von Art. 27 Abs. 1 Satz 1 SchKG sind die Gründe weggefallen, die es rechtfertigten, Art. 27 SchKG nicht auf die gerichtlichen Inzidenzverfahren der Betreibung anzuwenden. Angesichts der geänderten Rechtslage lässt sich die bisherige Rechtsprechung zu Art. 27 SchKG nicht aufrechterhalten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Bestimmung nunmehr die Regelung der Voraussetzungen gewerbsmässiger Vertretung von Parteien in den gerichtlichen Summarverfahren gemäss Art. 251 ZPO mitumfasst. Dieser Schluss erscheint nicht zuletzt aufgrund des in Art. 68 Abs. 2 lit. c ZPO enthaltenen Verweises auf Art. 27 SchKG als zwingend (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur schweizerischen Zivilprozessordnung, BBI 2006 7279 Ziff. 5.5.2). Die von der Beschwerdeführerin vertretene gegenteilige Meinung, die für eine Beibehaltung der alten Rechtsprechung plädiert, hätte zur Folge, dass die Kompetenz der Kantone in diesen Belangen beschränkt würde; für eine derart einschneidende Einschränkung der kantonalen Befugnis zur Regelung der Voraussetzungen gewerbsmässiger Vertretung finden sich indes in den Materialien der ZPO keine Hinweise. Zudem trägt der Standpunkt der Beschwerdeführerin dem Umstand nicht Rechnung, dass Art. 27 Abs. 1 Satz 1 SchKG durch die Einführung der ZPO nicht abgeändert worden ist und somit seine mit Bezug auf die Verfahren offene Formulierung beibehalten hat. Kann der Kanton aber gestützt auf Art. 27 Abs. 1 SchKG sowohl für das Verfahren vor den Betreibungsbehörden als auch für die summarischen Verfahren nach Art. 251 ZPO organisatorische Vorschriften bezüglich der gewerbsmässigen Vertretung erlassen, bleibt es ihm unbenommen, nur für die summarischen Verfahren nach Art. 251 ZPO zu legiferieren.