BGE 141 III 241
 
34. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Versicherung B. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
 
4A_25/2015 vom 29. Mai 2015
 
Regeste
Art. 8 ZGB; Krankentaggeldversicherung; Schadensversicherung; Beweis des Erwerbsausfalls bei Arbeitslosigkeit.
 
Aus den Erwägungen:
3.1 Nach Art. 8 ZGB hat, wo es das Gesetz nicht anders bestimmt, derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Demgemäss hat die Partei, die einen Anspruch geltend macht, die rechtsbegründenden Tatsachen zu beweisen, während die Beweislast für die rechtsaufhebenden bzw. rechtsvernichtenden oder rechtshindernden Tatsachen bei der Partei liegt, die den Untergang des Anspruchs behauptet oder dessen Entstehung oder Durchsetzbarkeit bestreitet. Der Eintritt des Versicherungsfalls ist nach diesen Grundsätzen vom Anspruchsberechtigten zu beweisen (BGE 130 III 321 E. 3.1 S. 323). Ist eine Krankentaggeldversicherung als Schadensversicherung ausgestaltet, setzt der Eintritt des Versicherungsfalls einen Schaden - namentlich einen Erwerbsausfall - voraus. Dabei gilt das herabgesetzte Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 130 III 321 E. 3.3 S. 325; BGE 128 III 271 E. 2b/aa S. 276). Auch eine arbeitslose Person, die keinen Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung besitzt, kann einen Erwerbsausfall erleiden, der Anspruch auf Krankentaggelder verleiht. Voraussetzung für den Leistungsanspruch ist allerdings, dass die versicherte Person eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür nachweist, dass sie ohne Krankheit eine Erwerbstätigkeit ausüben würde (Urteile 4A_138/2013 vom 27. Juni 2013 E. 4.1; 9C_311/2010 vom 2. August 2010 E. 1.3 mit Hinweisen).
Die Vorinstanz hat somit Art. 8 ZGB nicht verletzt, indem sie die Beweislast für den Nachweis eines Erwerbsausfalls der Beschwerdeführerin auferlegt hat. Diese hat mithin (mit dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit) zu beweisen, dass sie eine Erwerbstätigkeit ausüben würde, wenn sie nicht krank wäre. Daran ändert entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nichts, dass die Beschwerdegegnerin zunächst Taggelder ausbezahlt hat. Ändern sich die relevanten Umstände, so hat die Beschwerdeführerin zu beweisen, dass sie (weiterhin) Anspruch auf Taggelder wegen Erwerbsausfalls hat. Die Rüge der bundesrechtswidrigen Beweislastverteilung erweist sich damit als unbegründet.
Verliert die versicherte Person ihre Stelle durch Kündigung zu einem Zeitpunkt, in welchem sie bereits zufolge Krankheit arbeitsunfähig ist, so gilt die Vermutung, dass sie - wie vor der Erkrankung - erwerbstätig wäre, wenn sie nicht erkrankt wäre. Erkrankt die versicherte Person demgegenüber erst, nachdem sie arbeitslos geworden ist, gilt nach der Rechtsprechung die Vermutung, dass die versicherte Person auch ohne Krankheit weiterhin keine Erwerbstätigkeit ausüben würde; diese Vermutung kann nach der Rechtsprechung durch den Nachweis widerlegt werden, dass die versicherte Person mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine konkret bezeichnete Stelle angetreten hätte, wenn sie nicht erkrankt wäre (Urteile 4A_138/2013 vom 27. Juni 2013 E. 4.1; 9C_311/2010 vom 2. August 2010 E. 1.3; 9C_332/2007 vom 29. Mai 2008 E. 2.1 und K 16/03 vom 8. Januar 2004 E. 2.3.2).
Vorliegend ist die zweite Fallkategorie einschlägig, da die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt ihrer Erkrankung bereits arbeitslos war. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die soeben dargelegte (tatsächliche) Vermutung, wonach die versicherte Person ohne Krankheit weiterhin keine Erwerbstätigkeit ausüben würde. Sie macht geltend, eine solche Vermutung verletze in verschiedener Hinsicht Bundesrecht.
3.2.2 Die beweisbelastete Partei kann den ihr obliegenden Beweis unter Berufung auf eine tatsächliche Vermutung erbringen, denn diese mildert ihre konkrete Beweisführungslast. Gelingt jedoch dem Vermutungsgegner der Gegenbeweis, so greift die tatsächliche Vermutung nicht mehr und der Beweis ist gescheitert. Es liegt Beweislosigkeit vor und deren Folgen treffen die beweisbelastete Partei (vgl. BGE 135 II 161 E. 3 S. 166; HANS PETER WALTER, in: Berner Kommentar, 2012, N. 474 und 476 zu Art. 8 ZGB). Die Vermutung, wonach die versicherte Person ohne Krankheit weiterhin keine Erwerbstätigkeit ausüben würde, ist somit missverständlich, da sie den Interessen der Versicherung dient und mithin zum falschen Schluss verleiten könnte, diese trage die Beweislast. Dies trifft indessen nicht zu; vielmehr trägt stets die versicherte Person die Beweislast für ihren Erwerbsausfall. Wenn zudem ausgeführt wird, die Vermutung könne durch den Nachweis widerlegt werden, dass die versicherte Person ohne Krankheit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine konkret bezeichnete Stelle angetreten hätte, so entspricht dies der ohnehin geltenden Grundregel (vgl. soeben E. 3.1: Die versicherte Person hat eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür nachzuweisen, dass sie ohne Krankheit eine Erwerbstätigkeit ausüben würde). Die Vermutung, wonach die versicherte Person ohne Krankheit weiterhin keine Erwerbstätigkeit ausüben würde, hat somit jedenfalls im Anwendungsbereich der Verhandlungsmaxime keinen Zweck und kann ersatzlos gestrichen werden.
3.2.4 Damit erübrigt sich eine nähere Prüfung der einzelnen Rügen der Beschwerdeführerin, die sich gegen die (aufgehobene) Vermutung richten.