BGE 141 III 281 |
41. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen Konkursmasse B. AG in Liquidation (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_552/2014 vom 22. Mai 2015 |
Regeste |
Art. 8a SchKG, Art. 160 ZPO; Recht des Nichtgläubigers auf Einsicht in die Konkursakten. |
Sachverhalt |
A.a Die A. AG ist die Revisionsstelle der B. AG. Am 29. April 2002 wurde über die B. AG der Konkurs eröffnet, und es wurde eine ausseramtliche (a.a.) Konkursverwaltung eingesetzt. Am 2. Oktober 2013 erhob die Konkursmasse B. AG in Liquidation gegen die A. AG Klage beim Handelsgericht des Kantons Zürich wegen Verantwortlichkeit (Revisionshaftung) im Umfang von rund 11 Mio. Fr. (mit Nachklagevorbehalt im Umfang von 114 Mio. Fr.). Wegen dieses Prozesses gelangte die A. AG am 28. November/3. Dezember 2013 an die Konkursmasse und verlangte Einsicht in die Konkursakten. Mit Verfügung vom 19. Dezember 2013 wies der a.a. Konkursverwalter das Gesuch um Einsicht ab.
|
A.b Gegen die Verfügung des a.a. Konkursverwalters gelangte die A. AG an das Bezirksgericht Bülach als untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen mit dem Antrag um Einsicht in die Konkursakten (Konkursprotokoll, Eingabeverzeichnis mit allen Eingaben, Kollokationsplan einschliesslich Neuauflage mit Nachträgen, Kollokationsverfügungen, Kollokations[quer]klagen und Erledigungen, Inventar mit Nachträgen, Hilfspersonenbericht und damaliger Vermögensstatus, Protokoll der Gläubigerversammlungen mit Beilagen, Gläubigerzirkulare mit Beilagen, Rechenschaftsberichte an das Konkursgericht, [Abschlags-]Verteilungslisten, spezielle Verfügungen und Details 1., 2. und 3. Klasse als Anhänge zu den Verteilungslisten, Unterlagen im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vergleichs mit C. plc).
|
A.c Mit Beschluss vom 12. Februar 2014 hiess die untere Aufsichtsbehörde die Beschwerde gut. Der a.a. Konkursverwalter wurde angewiesen, der Gesuchstellerin antragsgemäss Einsicht in die Konkursakten zu gewähren, unter Vorbehalt eines ausgewiesenen Geheimhaltungsinteresses der Konkursmasse oder von Drittpersonen.
|
B. Gegen den Entscheid der unteren Aufsichtsbehörde erhob der a.a. Konkursverwalter für die Konkursmasse Beschwerde, welche das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs am 25. Juni 2014 guthiess. Der erstinstanzliche Entscheid wurde aufgehoben und die Verfügung des a.a. Konkursverwalters vom 19. Dezember 2013 - d.h. die Verweigerung der Einsicht in die Konkursakten - bestätigt.
|
C. Mit Eingabe vom 7. Juli 2014 ist die A. AG mit Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht gelangt. Die Beschwerdeführerin verlangt die Aufhebung des Entscheides der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde. In der Sache beantragt sie Einsicht in die Konkursakten wie diese von der unteren Aufsichtsbehörde gewährt wurde. (...)
|
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
|
(Auszug)
|
Aus den Erwägungen: |
3. Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt das Gesuch der Beschwerdeführerin, Einsicht in die Konkursakten der Konkursmasse zu nehmen. Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin keine Gläubigerin im betreffenden Konkurs ist. Sie ist indes Beklagte im hängigen Verantwortlichkeitsprozess der Konkursmasse wegen Revisionshaftung. Grundsätzlich gilt, dass sich die Einsicht in bzw. die Herausgabe von Urkunden des öffentlichen Rechts nicht nach den Vorschriften der ZPO, sondern nach den massgeblichen öffentlichrechtlichen Vorschriften bestimmt (STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 18 Rz. 109). Streitfrage ist, ob die Beschwerdeführerin wegen dieses Zivilprozesses gestützt auf Art. 8a SchKG Einsicht in die Konkursakten - die Akten der Gegenpartei im hängigen Prozess - beanspruchen kann.
|
3.2 Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, die Frage, ob trotz des hängigen Prozesses - neben der zivilprozessualen Editionspflicht - ein Einsichtsrecht gemäss Art. 8a SchKG bestehe, habe sich bereits unter der Herrschaft des kantonalen Zivilprozessrechts gestellt, trifft dies zweifellos zu. Damit ist indessen die Frage, ob bzw. inwieweit sich die beiden - zivilverfahrens- bzw. vollstreckungsrechtlichen - Institute überlagern, nicht beantwortet. Unbehelflich ist jedenfalls, wenn die Beschwerdeführerin meint, die Möglichkeit des Einsichtsrechts gemäss Art. 8a SchKG im hängigen Zivilprozess sei durch eine fehlende ausdrückliche Regelung (d.h. "Anwendungsbeschränkung") entschieden worden und der Gesetzgeber habe die Anwendbarkeit bejaht: Es bestehen keine Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Schweigen (vgl. dazu BGE 115 II 97 E. 2b S. 99), d.h. für die Annahme, dass die ZPO die Frage der Anwendbarkeit von Art. 8a SchKG bewusst ungeregelt gelassen (und im Sinne von "Anwendbarkeit" entschieden) habe (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7221, 7316 Ziff. 5.10.2). Weiter wirft die Beschwerdeführerin der Vorinstanz eine unzulässige, vom Wortlaut von Art. 8a SchKG abweichende und zu restriktive Auslegung (bzw. teleologische Reduktion, vgl. dazu BGE 140 I 305 E. 6.2 S. 311) vor. Richtig an diesen Ausführungen ist jedenfalls der Ausgangspunkt, wonach sich die Gesetzesauslegung vom Gedanken leiten zu lassen hat, dass nicht schon der Wortlaut die Rechtsnorm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis (BGE 128 I 34 E. 3b S. 40 f.).
|
3.3.1 Das Betreibungsregister wird konsultiert, um u.a. die Kreditwürdigkeit vor Abschluss eines Vertrages zu beurteilen (vgl. Art. 8a Abs. 2 SchKG; BGE 121 III 81 S. 4a S. 83); die Einsicht in das Betreibungsprotokoll wie betreffend Pfändung soll Schlüsse über die Verheimlichung von Vermögen und die Prüfung eines Konkursbegehrens ohne vorgängige Betreibung (Art. 190 SchKG) erlauben (BGE 135 III 503 E. 3.5.4 S. 508; vgl. MUSTER, Les renseignements [article 8a LP], BlSchK 2014 S. 161). Nach der Praxis - welche die Beschwerdeführerin anruft - genügt die Tatsache, dass zwischen dem Gesuchsteller und der Person, in deren Akten Einsicht verlangt wird, "ein Prozess hängig" ist, um das Interesse darzutun (BGE 105 III 38 E. 1 S. 39; BGE 115 III 81 E. 2 S. 84; vgl. auch BGE 58 III 118 S. 119 f.). Die massgebenden Urteile beziehen sich indes auf die Einsicht in das Betreibungsregister im Falle eines Prozesses zwischen dem Gesuchsteller und der betreffenden Person ("un poursuivi inscrit dans les registres"; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 10 zu Art. 8a SchKG, S. 113), währenddem sich hier die Gesuchstellerin (Beschwerdeführerin) und die Konkursmasse - die "Person, in deren Akten Einsicht verlangt wird" - im Zivilprozess gegenüberstehen. Das Obergericht hat diesen Umstand als entscheiderheblich erachtet, weshalb der Zweck des Einsichtsrechts im Konkurs zu erörtern ist.
|
3.4.1 Die erwähnte Rechtsprechung (BGE 93 III 4 E. 1 S. 7, E. 2d S. 10), wonach ein Gesuchsteller, der unabhängig von der Gläubigerstellung den konkursbedingten Schaden gegenüber einem Dritten einklagen will, in die Konkursakten einsehen darf, um Beweise gegen den Dritten zu sammeln, ist auf Kritik gestossen. Anlass dafür gibt, dass die Beweislage des Klägers durch die Einsicht im Vergleich zu anderen Forderungsprozessen stark erleichtert wird, obschon seine Beweisnot nicht grösser scheint als sonst; die Privilegierung des im Konkurs zu Schaden gekommenen Klägers lasse sich deshalb nur schwer begründen (so HÄUSERMANN, Vertraulichkeit als Schranke von Informationsansprüchen, 2009, S. 328/329; kritisch auch CAMPONOVO/MARENCO, Das Recht auf Akteneinsicht und Auskunft im Konkurs- und Nachlassverfahren, Der Schweizer Treuhänder [ST] 1995 S. 488 ff.).
|
3.4.3 Weiter ist unbestritten, dass das Institut der prozessualen Edition nicht als Instrument der Informationsbeschaffung dienen kann, sondern nach der ZPO ein Mittel der Beweiserhebung darstellt, was substantiierte Tatsachenbehauptungen voraussetzt (GÄUMANN/MARGHITOLA, Editionspflichten nach der eidgenössischen Zivilprozessordnung, Jusletter 14. November 2011 Rz. 7). Das ist auch der Beschwerdeführerin bewusst, wenn sie mit Bezug auf den hängigen Prozess ausführt, "der Editionsanspruch nach Art. 8a SchKG diene blossen Informationszwecken" bzw. "der Abklärung des Sachverhalts und der Aufstellung eigener Behauptungen". Im Zivilprozess können die Parteien jedoch selber darüber entscheiden, welche Belege und wann sie diese vorlegen und somit der Einsichtnahme der Gegenpartei aussetzen wollen, sofern kein diesbezügliches Editionsbegehren gestellt wird (vgl. allgemein SPÜHLER/DOLGE/GEHRI, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2010, 10. Kap. Rz. 102). Dies hat die obere Aufsichtsbehörde zutreffend festgehalten, und in diesem Sinn lässt sich auch die Lehre verstehen, wonach für Zivilprozesse nach ZPO die Mitwirkungspflicht gemäss Art. 160 ZPO massgebend sein soll (JEANDIN, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 5 zu Art. 160 ZPO: "prévaut pour toute procédure à laquelle s'applique le CPC"). Die obere Aufsichtsbehörde hat zu Recht gefolgert, dass in der vorliegenden Konstellation einzig die Regeln der ZPO betreffend die prozessuale Edition anwendbar sind. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich die Beschwerdeführerin für das Einsichtsrecht gemäss Art. 8a SchKG auf ein schützenswertes Interesse berufen könnte. Daran ändert nichts, dass die Vorinstanz die Frage des Interesses "dahingestellt" hat. Sie hat mit ihrer Begründung vielmehr zu Recht das schützenswerte Interesse zur Einsicht in die Konkursakten verneint. Die Anwendung von Art. 8a SchKG in der vorliegenden Konstellation würde zur Verwirklichung von Interessen führen, die dieses Institut nicht schützen will, sondern durch die Regeln der ZPO geschützt werden. Das Ergebnis der Vorinstanz ist nicht zu beanstanden und stellt keine Rechtsverletzung dar.
|
3.5.2 Die kantonale Rechtsprechung verschiedener Aufsichtsbehörden, welche die Beschwerdeführerin zitiert, ist nicht genügend aussagekräftig. Zum einen sind in jenen Fällen die Gesuchsteller auch Konkursgläubiger (wie in BlSchK 1974 S. 171, Ziff. 2 [Basel-Stadt]; BlSchK 1997 S. 147, Ziff. 3b [Bern]; BlSchK 2003 S. 263, Ziff. 1 [Zürich]). Zum anderen geht es um vorprozessuale Abklärungen (wie in BlSchK 2011 S. 53, Ziff. 3.3 [Basel-Landschaft]), über welche im vorliegenden Fall jedoch nicht zu entscheiden ist. Es bleibt anzufügen, dass auch die basel-landschaftliche Praxis davon ausgeht, dass (falls vorprozessual keine Einsicht in die Konkursakten gewährt würde) im Verantwortlichkeitsprozess zwischen dem Verwaltungsrat als Nichtgläubiger und der Konkursmasse die Konkursakten nach Zivilprozessrecht zu edieren sind (BlSchK 2011 S. 53, Ziff. 3.3).
|