BGE 142 III 626
 
79. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
4A_169/2016 vom 12. September 2016
 
Regeste
Verrechnungserklärung im Prozess.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 8
Die Vorinstanz erwog dazu, der Beschwerdeführer habe mit Eingabe vom 13. November 2013 im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner "Privatklage" erhoben und diese sei am 19. November 2013 bei der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft eingegangen. Spätestens am 19. November 2015 [recte: 19. November 2013] sei die "Privatklage" des Beschwerdeführers rechtshängig geworden. Am 23. Juni 2014 habe der Beschwerdeführer in der Klageantwort für den Fall, dass das Gericht eine Forderung des Beschwerdegegners zulasten des Beschwerdeführers erkennen würde, die Einrede der Verrechnung "im Umfang der vom Beschwerdegegner erhaltenen Fr. 76'954.-" erhoben. Da im Moment der Geltendmachung dieser Verrechnungseinrede die "Privatklage" des Beschwerdeführers im Strafverfahren schon rechtshängig gewesen sei, sei die Erstinstanz zufolge bereits bestehender Rechtshängigkeit zu Recht auf die Verrechnungseinrede des Beschwerdeführers nicht eingetreten.
Es gilt aber auch: Da die in einem Prozess erhobene Verrechnungseinrede nicht ihrerseits von der Rechtshängigkeit i.S. von Art. 62 ZPO erfasst wird, kann ihr folgerichtig die Rechtshängigkeit einer zuvor selbstständig eingeklagten Forderung nicht entgegengehalten werden. Durch die Rechtshängigkeit des Anspruchs in einem Verfahren wird die Geltendmachung des gleichen Anspruchs durch Verrechnungseinrede in einem anderen Prozess also nicht ausgeschlossen (SUTTER-SOMM/HEDINGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 11 zu Art. 64 ZPO; CORINNE ZELLWEGER-GUTKNECHT, in: Berner Kommentar, 2012, N. 174 ff. zu den Vorbemerkungen zu Art. 120-126 OR; zu den kantonalen Zivilprozessordnungen bzw. zum Gerichtsstandgesetz: KELLERHALS/GÜNGERICH, in: Gerichtsstandsgesetz, Kellerhals und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2005, N. 3 zu Art. 35 GestG; RUGGLE/TENCHIO-KUZMIC, in: Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen [GestG], Spühler und andere [Hrsg.], 2001, N. 16 zu Art. 35 GestG; LEUCH UND ANDERE, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Aufl. 2000, N. 6b zu Art. 160 ZPO/BE; MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 233 f.).
Aus prozessökonomischen Gründen und aufgrund der Gefahr widersprüchlicher Urteile ist aber in diesen Konstellationen im Rahmen der Prozessleitung eine Koordination der Verfahren in Betracht zu ziehen, was etwa durch eine Prozessüberweisung (Art. 127 Abs. 1 ZPO), eine Verfahrensvereinigung (Art. 125 lit. c ZPO) oder durch eine Sistierung (Art. 126 ZPO) geschehen kann (vgl. dazu BGE 141 III 549 E. 6.5 S. 553; so schon für eine Aussetzung eines Verfahrens: HERMANN BECKER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1941, N. 20 zu Art. 120 OR; VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3. Aufl. 1974, S. 197 f.; wohl auch: WOLFGANG PETER, Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 6. Aufl. 2015, N. 4 vor Art. 120-126 OR, nach welchem aber eine Aussetzung des Verfahrens nicht immer alle Probleme lösen dürfte).
Heisst das Bundesgericht die Beschwerde gut, so entscheidet es in der Sache selbst oder weist diese zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück (Art. 107 Abs. 2 BGG). Da die Vorinstanz (bzw. die Erstinstanz) auf die Verrechnungseinrede des Beschwerdeführers nicht eingetreten ist, fehlen dem Bundesgericht die tatsächlichen Grundlagen, um reformatorisch zu entscheiden. Die Sache ist daher an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Dabei hat sie insbesondere die oben erwähnten Koordinationsmöglichkeiten für die Verfahren in Betracht zu ziehen, wobei sie auch berücksichtigen kann, ob die Verrechnungseinrede allenfalls bloss zur (missbräuchlichen) Verschleppungstaktik erhoben wurde. (...)