BGE 143 III 157
 
25. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
 
4A_475/2016 vom 28. März 2017
 
Regeste
Art. 389 ff. ZPO; interne Schiedsgerichtsbarkeit; Rechtsmittelverzicht.
 
Aus den Erwägungen:
1.2.1 Die Parteien eines internen Schiedsverfahrens können - wie schon unter dem altrechtlichen Konkordat (BGE 110 Ia 131 E. 2a) - nicht zum Voraus auf die Anfechtung des Schiedsspruchs verzichten (Urteil 4A_254/2011 vom 5. Juli 2011 E. 3.1 mit Hinweisen; vgl. demgegenüber Art. 192 Abs. 1 IPRG [SR 291], der im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit für Parteien im Ausland die Möglichkeit eines Verzichts auf Rechtsmittel vorsieht). Während ein Verzicht auf ein Rechtsmittel gegen ein noch nicht ergangenes Urteil im Allgemeinen ungültig ist (vgl. BGE 141 III 596 E. 1), wird der freiwillige Verzicht auf ein Rechtsmittel in voller Kenntnis des Urteils grundsätzlich als zulässig angesehen (vgl. für das Strafrecht BGE 142 IV 307 E. 2.8 S. 313 sowie den Rückzug des Rechtsmittels Urteil 6B_790/2015 vom 6. November 2015 E. 3.4; für das Verwaltungsrecht BGE 86 I 150 E. 2 S. 153; Urteil 2C_277/2013 vom 7. Mai 2013 E. 1.4; für die Unfallversicherung Urteil U 139/02 vom 20. November 2002 E. 2.3). Die Ungültigkeit des Vorausverzichts besagt daher nicht, dass die Parteien auch nach Erlass des internen Schiedsentscheids nicht gültig auf die Einreichung des Rechtsmittels verzichten könnten; vielmehr können sie in Kenntnis des Entscheids nicht nur auf die Beschwerde verzichten, indem sie während der Frist kein Rechtsmittel ergreifen, sondern sie können schon während der Rechtsmittelfrist verbindlich und entsprechend unwiderruflich den Verzicht erklären, soweit dies freiwillig und ohne Willensmangel geschieht (vgl. BERGER/KELLERHALS, International and Domestic Arbitration in Switzerland, 3. Aufl. 2015, Rz. 1887 S. 665; THOMAS ROHNER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Bd. II, 2. Aufl. 2016, N. 7 zu Art. 389 ZPO; MARUGG/KELLER JUPITZ, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. III, 2014, N. 9 zu Art. 389 ZPO; TARKAN GÖKSU, Schiedsgerichtsbarkeit, 2014, Rz. 2220; MICHAEL MRÁZ, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 51 zu Art. 389 ZPO). Der Verzicht kann dem Schiedsgericht oder der Gegenpartei erklärt werden (vgl. Urteile 5A_811/2014 vom 29. Januar 2015 E. 3; 5C.10/2003 vom 18. Februar 2003 E. 2.1).
1.2.2 Die Verzichtserklärung einer Partei auf das Rechtsmittel ist eine Willenserklärung, die nach den anerkannten Grundsätzen auszulegen ist. Danach ist zuerst der tatsächliche Wille der erklärenden Person massgebend, sofern die Erklärung vom Adressaten übereinstimmend so verstanden wurde, wie sie gemeint war (BGE 142 III 239 E. 5.2.1; BGE 132 III 268 E. 2.3.2 mit Hinweisen). Für das tatsächliche Verständnis der Erklärung ist nicht allein der Wortlaut massgebend, vielmehr indizieren die gesamten Umstände, unter denen sie abgegeben wurde, den inneren Willen der erklärenden Partei (BGE 142 III 239 E. 5.2.1); namentlich kann auch aus dem nachträglichen Verhalten geschlossen werden, was die Partei mit ihrer Erklärung tatsächlich wollte (BGE 140 III 86 E. 4.1; BGE 132 III 626 E. 3.1; BGE 129 III 675 E. 2.3 S. 680). Wird die Erklärung von einem Vertreter abgegeben (Art. 32 Abs. 1 OR), ist auf dessen Willen abzustellen, der dem Vertretenen zugerechnet wird (BGE 140 III 86 E. 4.1 S. 91).
Kann der tatsächliche Wille der erklärenden Partei nicht festgestellt werden, so ist ihre Erklärung nach dem Vertrauensprinzip auszulegen. Die Partei hat danach ihre Erklärung so gelten zu lassen, wie sie von der Adressatin nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen nach Treu und Glauben verstanden werden durfte und musste (BGE 142 III 239 E. 5.2.1; BGE 142 V 466 E. 6.1; BGE 138 III 659 E. 4.2.1 S. 666).
    "Ich nehme Bezug auf die heutige Telephonkonferenz in der genannten Sache und bestätige Ihnen gerne, dass unsere Klientin A. AG - auch im Hinblick auf die erhaltene Information, dass Ihre Klientin B. AG gegen den Schiedsentscheid vom 24. Juni 2016 keine Beschwerde an das Bundesgericht erheben wird - sich entschieden hat, dagegen ebenfalls keine solche Beschwerde zu erheben."
Der Vertreter der Beschwerdegegnerin antwortete darauf ebenfalls mit E-Mail dem Vertreter der Beschwerdeführerin was folgt:
    "Besten Dank für Ihre Nachricht, welche ich - soweit sie den Rechtsmittelverzicht anbelangt - seitens meiner Mandantin gerne bestätige."
1.2.4 Der Wortlaut der Erklärung der Beschwerdeführerin erscheint auch ohne Verwendung des Wortes "Verzicht" klar: danach hat die Beschwerdeführerin entschieden, ebenfalls keine Beschwerde zu erheben, nachdem sie erfahren hatte, dass die Gegenpartei keine Beschwerde erheben werde. Die Beschwerdeführerin vertritt dagegen in der Replik den Standpunkt, sie habe (entgegen dem Wortlaut) nicht einen verbindlichen Rechtsmittelverzicht erklärt, sondern eine blosse Absicht geäussert. Sie beruft sich auf den Zusammenhang, in dem die Gespräche unter den Parteien stattgefunden hatten und bringt vor, die Parteien hätten schon vor Erlass des Schiedsentscheids Gespräche über dessen Kommunikation an die Öffentlichkeit aufgenommen und es sei in diesem Zusammenhang nach Erlass des Entscheids die Frage aufgekommen, ob eine oder beide Parteien beabsichtigten, gegen den Schiedsentscheid ein Rechtsmittel zu erheben. Die Beschwerdeführerin bestätigt das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, dass sie sich zu ihren Absichten hinsichtlich der Beschwerdeerhebung nicht auf Anhieb habe äussern können, da interne Diskussionen dazu noch andauerten. Sie hält jedoch dafür, es habe intern angesichts der laufenden Frist ohnehin entschieden werden müssen, ob eine Beschwerde ausgearbeitet würde und die Beschwerdegegnerin hätte angesichts der sofortigen Vollstreckbarkeit des Schiedsentscheids eine Kommunikation veranlassen können, unbesehen darum, ob ein Rechtsmittel ergriffen wurde.
1.2.5 Der Kontext, in dem die Beschwerdeführerin ihre Erklärung abgab, vermag entgegen ihrer Ansicht deren Inhalt nicht zu verändern; die Beschwerdeführerin hat erklärt, sie habe den Entscheid gefällt, keine Beschwerde zu erheben, sie hat nicht bloss die Absicht geäussert, keine Beschwerde zu erheben. Es trifft zu, dass während laufender Beschwerdefrist ohnehin entschieden werden muss, ob eine Rechtsmitteleingabe vorbereitet werden solle; dies beeinflusst den Gehalt der Erklärung nicht. Auch wenn eine Kommunikation des angefochtenen Entscheids ohne Weiteres erfolgen kann, wird regelmässig beigefügt werden, ob dieser rechtskräftig geworden ist oder nicht. Dass im Übrigen der gültig bevollmächtigte Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Erklärung am 21. Juli 2016 selbst der Auffassung war, dass seine Mandantin entschieden habe, kein Rechtsmittel zu ergreifen, ergibt sich aus der Sachdarstellung in der Replik. Danach waren der Erklärung eingehende Konsultationen zwischen den befassten internen Rechtsberatern der Beschwerdeführerin und ihren externen Rechtsvertretern vorausgegangen und es war allen Beteiligten nicht bewusst, dass der Entscheid der eigentlich zuständigen Organe noch nicht gefallen war. Dies wurde danach erst bemerkt, als auch diese Organe in die Vorbereitungen zur Publikation des Schiedsentscheids miteinbezogen wurden und darauf entschieden, es solle Beschwerde erhoben werden; dass die Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin in der Folge die Beschwerdegegnerin ersuchten, von entsprechenden Einwendungen im Verfahren vor Bundesgericht abzusehen, bestätigt die Beschwerdeführerin.
1.2.6 Die Beschwerdeführerin beruft sich zu Recht nicht auf einen Willensmangel, der die Erklärung ihres gültig bevollmächtigten Vertreters (Art. 32 Abs. 1 OR) vom 21. Juli 2016 (vgl. BGE 140 III 86 E. 4.1 S. 91) in Frage stellen könnte. Ob diese Erklärung angesichts der internen Willensbildung im Zeitpunkt der Erklärung ihrem tatsächlichen Willen entsprach, lässt sich nicht abschliessend feststellen und kann offenbleiben. Denn es steht fest, dass die Beschwerdegegnerin diese Erklärung als Beschwerdeverzicht verstanden hat. Dies behauptet sie nicht nur in ihren Rechtsschriften an das Bundesgericht, sondern sie hat "den Rechtsmittelverzicht" in ihrer Antwort vom selben Tag bestätigt. Sie hat auch ihrerseits keine Beschwerde erhoben, obwohl sie mit einem Teil ihrer Anträge ebenfalls unterlegen ist. Die Beschwerdegegnerin hat aber die Erklärung der Beschwerdeführerin nicht nur tatsächlich als Verzicht auf die Einreichung des Rechtsmittels verstanden, sie durfte sie nach den Umständen auch so verstehen. Gerade wenn die Parteien über die Art der Publikation der Sanktion - die in Ziffer 4 des Entscheids der Sanktionskommission angeordnet und im Schiedsentscheid bestätigt wurde - Gespräche führten, bildete dessen Rechtskraft ersichtlich ein Element. Denn es ist notorisch, dass Mitteilungen über Justizentscheide die Information umfassen, ob sie rechtskräftig sind oder noch ein Rechtsmittel offensteht und dass diese Information von Interesse ist. Wenn unter diesen Umständen die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin mitteilte, sie habe entschieden, keine Beschwerde zu erheben und diese Erklärung nur an den Vorbehalt knüpfte, dass auch die Beschwerdegegnerin ihrerseits auf das Rechtsmittel verzichte ("im Hinblick auf die erhaltene Information, dass Ihre Klientin [...] keine Beschwerde an das Bundesgericht erheben wird"), dann durfte die Beschwerdegegnerin die Erklärung nach Treu und Glauben als Beschwerdeverzicht verstehen.
1.2.7 Die Beschwerdeführerin hat in Kenntnis des Schiedsentscheids vom 22. März 2016, der am 24. Juni 2016 begründet eröffnet wurde, mit E-Mail vom 21. Juli 2016 gegenüber der Beschwerdegegnerin verbindlich erklärt, auf die Erhebung der Beschwerde an das Bundesgericht zu verzichten. Dieser gültig erklärte Verzicht ist unwiderruflich. Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. (...)