BGE 143 III 337 |
48. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Psychiatrische Klinik B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_255/2017 vom 18. Mai 2017 |
Regeste |
Fürsorgerische Unterbringung zwecks Behandlung einer psychischen Störung (Art. 426 Abs. 1 ZGB); Anordnung der Behandlung ohne Zustimmung (Art. 434 Abs. 1 ZGB); zum Begriff der Anordnung. |
Sachverhalt |
A. A. (Betroffene) wurde am 10. Januar 2017 auf Anordnung eines SOS Arztes wegen Selbst- und Fremdgefährdung vor dem Hintergrund einer bekannten paranoiden Schizophrenie fürsorgerisch in die Klinik B. eingewiesen. Die fürsorgerische Unterbringung ist später durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde U. (KESB) bestätigt worden. Laut Behandlungsplan vom 10. Januar 2017 ist die medizinische Behandlung der Betroffenen mit 400 mg Solian sowie einer Baldrianwurzel- und Pestwurz-Mischung vorgesehen.
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Da die Situation infolge eines Strangulationsversuchs eskalierte, wurde die Betroffene am Abend des 10. Januar 2017 geschlossen isoliert. Am 11. Januar 2017 lehnte sie die Behandlung mit 400 mg Solian ab, weshalb gleichentags eine Zwangsmedikation der Betroffenen erfolgte.
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Gemäss den obergerichtlichen Feststellungen verfügte Dr. med. D., Oberarzt der Klinik, am 12. Januar 2017 die Behandlung der Betroffenen ohne ihre Zustimmung. Der Verfügung lässt sich entnehmen, dass die Behandlung ab dem 11. Januar 2017 erfolgt, wobei eine Befristung der Massnahme nicht vermerkt ist. Auf dem Formular werden Massnahmegründe und -ziele, jedoch keine Massnahme erwähnt. Die besagte Verfügung ist am 13. Januar 2017 vom Oberarzt unterzeichnet worden.
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B. Mit Eingabe vom 16. Januar 2017 beantragte die Betroffene, es sei die Verabreichung von Psychopharmaka gegen ihren Willen zu untersagen. Ihr Rechtsbeistand legte der Eingabe die vom erwähnten Oberarzt am 13. Januar 2017 unterzeichnete Verfügung vom 12. Januar 2017 bei, welche ihm die Klinik gefaxt hatte. Mit Urteil vom 20. Januar 2017 erklärte das Einzelgericht des Bezirksgerichts Meilen die von der Klinik mit Entscheid vom 12. Januar 2017 angeordnete Massnahme als zulässig.
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Die Betroffene gelangte dagegen am 6. Februar 2017 an das Obergericht des Kantons Zürich mit dem Begehren, die Zwangsmedikation sei unverzüglich zu untersagen. Mit Beschluss vom 27. Februar 2017 trat das Obergericht auf die Beschwerde nicht ein.
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C. Die Betroffene (Beschwerdeführerin) hat am 2. April 2017 (Postaufgabe) beim Bundesgericht gegen den Beschluss des Obergerichts Beschwerde erhoben; sie beantragt, auf den Beschwerdeantrag vom 6. Februar 2017 betreffend Aufhebung der Zwangsbehandlung sei einzutreten. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Klinik ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Beschluss auf und weist die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurück.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 2 |
2.4 Im vorliegenden Fall ist strittig, ob eine Behandlung ohne Zustimmung angeordnet worden ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist nicht von Belang, ob die Beschwerdeführerin die Medikamente nunmehr freiwillig einnimmt, was abgesehen davon bestritten ist: Aus der Tatsache, dass jemand die Medikamente angeblich freiwillig einnimmt, kann nicht geschlossen werden, es sei keine Behandlung ohne Zustimmung angeordnet worden. Denn eine Anordnung der Behandlung ohne Zustimmung bedeutet nicht zwingend, dass diese auch vollstreckt werden muss. Die Frage der Anordnung der Behandlung ohne Zustimmung ist mit anderen Worten von jener der Vollstreckung der Anordnung zu unterscheiden. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, es lägen verschiedene, einer Verfügung gleichgestellte, anfechtbare Realakte vor. Im vorliegenden Fall steht indes die am 12. Januar 2017 ergangene Verfügung des Oberarztes im Raum. Im Folgenden ist daher in erster Linie die Rechtsfrage zu beantworten, ob diese Verfügung eine Anordnung der Behandlung ohne Zustimmung im Sinn von Art. 434 ZGB und damit eine anfechtbare Verfügung (Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB) darstellt. Dabei kann der Sachverhalt, soweit erforderlich, in Anwendung von Art. 105 Abs. 2 BGG ergänzt werden. Der Behandlungsplan vom 10. Januar 2017 ist in die Auslegung miteinzubeziehen.
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2.4.2 Im vorliegenden Fall sieht der Behandlungsplan der Klinik vom 10. Januar 2017 für die Beschwerdeführerin eine medikamentöse Behandlung ihrer paranoiden Schizophrenie mit Solian 400 mg sowie mit einer Baldrian- und Pestwurz-Mischung vor. In der in den Akten enthaltenen Anordnung einer medizinischen Massnahme ohne Zustimmung (Zwangsmassnahmen-Entscheid) vom 12. Januar 2017, die sich ausdrücklich auf Art. 434 Abs. 1 ZGB stützt, werden für die Beschwerdeführerin medizinische Massnahmen ohne Zustimmung ab dem 11. Januar 2017 für eine unbestimmte Dauer verfügt. Der Entscheid ist am 13. Januar 2017 von Oberarzt Dr. med. D. unterzeichnet worden. Auch wenn nach dem Wortlaut des Gesetzes (Art. 434 Abs. 1 ZGB) nur die Chefärztin oder der Chefarzt der Abteilung die Behandlung ohne Zustimmung schriftlich anordnen kann, darf der entsprechende Entscheid auch von einer leitenden Ärztin bzw. von einem leitenden Arzt stellvertretend getroffen werden (vgl. dazu: Votum Stähelin, AB 2007 S 838). Entsprechendes ist vorliegend geschehen, hat doch ein Oberarzt die Verfügung unterzeichnet.
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Zwar trifft zu, dass sich die Verfügung insbesondere nicht zur Art der gegen den Willen der Beschwerdeführerin angeordneten Massnahme äussert. Das ist indes nicht von Bedeutung, sind doch mit der Anordnung der Behandlung der betroffenen Person ohne Zustimmung von Gesetzes wegen die im Behandlungsplan vorgesehenen medizinischen Massnahmen gemeint (Art. 434 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 433 Abs. 1 ZGB). Vorliegend kann demnach nur die medizinische Behandlung der Beschwerdeführerin mit den im Behandlungsplan vorgesehenen Medikamenten angeordnet werden und in Tat und Wahrheit angeordnet worden sein. Für eine andere Massnahme ist die Anordnung von Art. 434 ZGB von Gesetzes wegen nicht vorgesehen.
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2.4.3 Nun fällt auf, dass die angeordnete Behandlung ab dem 11. Januar 2017 unbefristet verfügt worden ist. Das Gesetz äussert sich nicht ausdrücklich zur Frage, ob die Anordnung der Behandlung ohne Zustimmung sich immer nur auf einen einzelnen Behandlungsschritt bezieht oder ob auch eine über längere Zeit andauernde, aus mehreren Eingriffen bestehende Behandlung als Ganzes angeordnet werden kann. Soweit ersichtlich wurde diese Frage auch im Gesetzgebungsverfahren nicht diskutiert. Die Behandlung stellt ein Ganzes dar. Der Umstand, dass die Anordnung aufgrund des Behandlungsplanes erfolgt, spricht dafür, dass auch eine Behandlung, die über längere Zeit verschiedene Interventionen vorsieht, mit einem einzigen Entscheid angeordnet werden kann. Es erschiene zwecklos und unpraktikabel, immer nur einzelne Teile anzuordnen (dazu ausführlich und überzeugend: GEISER/ETZENSBERGER, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014, N. 27 zu Art. 434/435 ZGB). Im vorliegenden Fall ist eine Behandlung mit Medikamenten vorgesehen. Die Unterbringung in der Einrichtung zur Behandlung der psychischen Störung (Art. 426 ZGB) ist aufzuheben, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind (vgl. Art. 426 Abs. 3 ZGB). Die Behandlung in der Klinik wird fortgeführt, solange sie nötig ist. Von daher vermag nicht einzuleuchten, weshalb hier mehrere Anordnungen erforderlich wären.
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2.6 Im Lichte dieser tatsächlichen durch die Akten belegten Umstände und unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben steht somit fest, dass das zuständige Organ für die Beschwerdeführerin ab dem 11. Januar 2017 für unbestimmte Zeit eine Behandlung ohne ihre Zustimmung mit Medikamenten (Art. 434 ZGB) angeordnet hat. Diese Massnahme unterliegt der Vollstreckung, falls die verordneten Medikamente nicht freiwillig eingenommen werden. Damit weist der Zwangsmassnahmen-Entscheid vom 12. Januar 2017 sämtliche Merkmale einer Verfügung auf, wie sie vom Verwaltungsrecht aufgestellt worden sind (dazu: BGE 130 V 388 E. 2.3 S. 391). Die Vorinstanz hat demnach zu Unrecht die gegenteilige Rechtsauffassung vertreten. Ihr Entscheid, auf das Begehren um Aufhebung der Behandlung ohne Zustimmung nicht einzutreten, erweist sich damit als bundesrechtswidrig.
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2.7 Zum gleichen Ergebnis führt die Auffassung der Beschwerdeführerin, mangels schriftlicher Verfügung liege ein sogenannter Realakt vor. Dieser wird zwar grundsätzlich nicht als Anfechtungsobjekt betrachtet, unterliegt aber dennoch einer gerichtlichen Überprüfung, wenn er in geschützte Rechtspositionen eingreift (vgl. dazu: BGE 130 I 369 E. 6.1 S. 377 ff.; BGE 128 II 156 E. 4b S. 165). Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdeführerin im abgeschlossenen "Viertel" untergebracht und muss mit einer Verlegung in das Isolierzimmer rechnen, falls sie die verordneten Medikamente nicht freiwillig einnimmt. Im Ergebnis liegt damit eine Zwangsbehandlung als Realakt vor, der in die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin eingreift und somit der gerichtlichen Überprüfung im Sinn von Art. 439 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB unterliegt (zum Begriff der Zwangsbehandlung: Urteile 5A_666/2013 vom 7. Oktober 2013 E. 3.2; 5P.366/2002 vom 26. November 2002 E. 3). (...)
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