BGE 143 III 344 |
49. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Pensionskasse B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_703/2016 vom 24. Mai 2017 |
Regeste |
Art. 271 Abs. 2 OR; Begründung der Kündigung eines Mietvertrags wegen Umbau- oder Renovationsarbeiten. |
Sachverhalt |
Die Pensionskasse B. ist Eigentümerin einer Überbauung, die über hundert Wohnungen umfasst. Eine davon vermietete sie an A. Sie kündigte diesen Mietvertrag ordentlich und begründete dies mit dringenden Sanierungsarbeiten an den Gipsdecken in sämtlichen Wohnungen, die nicht in Anwesenheit von Mietparteien durchgeführt werden könnten. A. focht die Kündigung als gegen Treu und Glauben verstossend an. Die Treuwidrigkeit der Kündigung soll sich primär aus ihrer Begründung ergeben, die A. als unvollständig und ungenau erachtet. Das Bundesgericht weist die von A. erhobene Beschwerde in Zivilsachen ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
Das Gesetz bestimmt nicht, bis wann die Gründe für eine ordentliche Kündigung vorgebracht werden können. Insbesondere schreibt es nicht vor, dass dies innert einer bestimmten Frist nach dem Ersuchen der Mieterschaft um Begründung oder spätestens im Schlichtungsverfahren erfolgen müsste. Das Bundesgericht kam daher unter anderem mit Blick auf die prozessrechtlichen Bestimmungen zum Novenrecht zum Schluss, die Kündigungsgründe könnten grundsätzlich auch noch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren vorgebracht werden. Weiter hielt es fest, unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauchsverbots schliesse das Gesetz selbst ein späteres Nachschieben zusätzlicher Gründe nicht aus. Ein solches Nachschieben könne allerdings ein Indiz zu Ungunsten der kündigenden Partei sein oder Kostenfolgen nach sich ziehen. Die Ergänzung oder Präzisierung schon vorgebrachter Gründe sei schliesslich an sich ohne Weiteres zulässig (BGE 138 III 59 E. 2.3 S. 65).
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Spezifisch zu Kündigungen, die im Hinblick auf Sanierungs- und Umbauarbeiten erfolgten, hielt das Bundesgericht demgegenüber fest, ohne hinreichend genaue Auskünfte sei die Mieterschaft nicht in der Lage, den Realitätsbezug des Projekts und die Belastung einzuschätzen, die ihre Anwesenheit für die Durchführung der beabsichtigten Arbeiten haben würde. Die Mieterschaft habe das Recht, von der Vermieterschaft eine Begründung zu erhalten (Art. 271 Abs. 2 OR), die es ihr - innert der gesetzlichen Frist von 30 Tagen nach Empfang der Kündigung (Art. 273 Abs. 1 OR) - erlaube, die Chancen einer Anfechtung der Kündigung abzuschätzen (BGE 142 III 91 E. 3.2.1 S. 93; BGE 140 III 496 E. 4.2.2 S. 499 f.; ferner auch Urteil 4A_625/2014 vom 25. Juni 2015 E. 4 und 5).
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Die Formulierungen in BGE 142 III 91 und BGE 140 III 496, die auf die Begründung abzustellen und diese letztlich zu einem Gültigkeitserfordernis zu erheben scheinen, erweisen sich daher als missverständlich, zumal aus rechtlicher Sicht die Begründung der Kündigung in beiden Fällen gar nicht entscheidwesentlich war (dahingehend auch URBAN HULLIGER, Sanierungskündigung, MRA 2016 S. 102). Die Kündigungen erwiesen sich nämlich nicht aufgrund "unzureichender" Begründungen als treuwidrig, sondern weil im massgeblichen Zeitpunkt der Kündigungen (noch) keine genügend konkreten, umsetzbaren und realitätsnahen Projekte bestanden, aufgrund deren überhaupt hätte beurteilt werden können, ob und inwiefern die Arbeiten durch die Anwesenheit der Mieterschaft tangiert würden (vgl. dazu nicht publ. E. 4.2). Deutlich zeigt sich dies in den zwei letzten Absätzen von E. 4.2.2 von BGE 140 III 496 und auch in der zusammenfassenden E. 3.2.3 von BGE 142 III 91 wird einzig auf den Stand des Projekts abgestellt, nicht auf die Begründung. Die Kündigungen erfolgten somit jeweils auf Vorrat und damit verfrüht, weshalb an ihnen, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, kein schutzwürdiges Interesse bestand - deshalb waren sie treuwidrig. Selbst wenn nun die angedachten, sich aber im entscheidenden Moment noch nicht in einem realitätsnahen Projekt konkretisierten Sanierungs- und Umbauarbeiten in der Kündigungsbegründung detaillierter umschrieben worden wären, die Begründung also "besser" gewesen wäre, hätte sich hieran nichts geändert; die Kündigung wäre nach wie vor verfrüht und daher treuwidrig gewesen.
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5.3.4 Hervorzuheben ist allerdings gleichzeitig, dass der Begründung auf faktischer Ebene, d.h. im Rahmen der Beweiswürdigung, eine erhebliche Bedeutung zukommen kann, auch wenn es sich bei ihr aus rechtlicher Sicht bloss um eine Obliegenheit der kündigenden Partei handelt. Spezifisch bei Sanierungs- oder Umbaukündigungen verhält es sich so, dass wenn die Vermieterschaft im Zeitpunkt der Kündigung über ein genügend ausgereiftes Projekt verfügt, es ihr an sich ohne Weiteres möglich und zumutbar ist, die Kündigung auch entsprechend genau zu begründen (sei es von sich aus oder spätestens auf Verlangen hin), so dass sich gestützt auf diese Angaben ein Bild davon machen lässt, ob und inwiefern die Anwesenheit der Mieterschaft diese Arbeiten tangieren würde (geradezu vorbildlich etwa die Begründung in Urteil 4A_409/2016 vom 13. September 2016 Sachverhalt lit. B). Vor diesem Hintergrund kann es - ebenso wie eine fehlerhafte Begründung (so schon BGE 125 III 231 E. 4b S. 239 f.) - ein Indiz dafür sein, dass an der Kündigung kein schützenswertes Interesse besteht, wenn zur Begründung bloss pauschal Sanierungs- oder Umbauarbeiten angegeben werden. Gegen die Wahrhaftigkeit sowohl des einen als auch des anderen Grundes kann es sodann sprechen, wenn die kündigende Partei zunächst einen Grund als Motiv für die Kündigung angibt, sich im Laufe des Verfahrens alsdann aber auf einen anderen beruft (so im Ergebnis Urteil 4C.131/2003 vom 6. August 2003 E. 3.2; vgl. auch THOMAS KOLLER, Die mietrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2012, ZBJV 2013 S. 914 in fine; siehe ferner BGE 138 III 59 E. 2.3 S. 65); es sei denn, es bestünden nachvollziehbare Beweggründe für ein solches Vorgehen (etwa Urteil 4C.85/2006 vom 24. Juli 2006 E. 2; kritisch dazu DAVID LACHAT, La motivation de la résiliation du bail, CdB 2008 S. 71 f.). (...)
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