BGE 145 III 199 |
26. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. d.d. gegen B. S.A. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_646/2018 vom 17. April 2019 |
Regeste |
Art. II Abs. 2 des New Yorker Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (NYÜ); Formgültigkeit einer Schiedsklausel, Bindung Dritter. |
Sachverhalt |
B. S.A. (Beklagte, Beschwerdegegnerin) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in V./Aargau und bezweckt den Import, Export und Vertrieb von Waren aller Art. Sie ist eine Gesellschaft der "B.-Gruppe", der neben der Beklagten auch die B.-X/Y AG mit Sitz in Basel und die B.-X GmbH mit Sitz in Innsbruck, Österreich, angehören.
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Am 9. Oktober 2009 unterzeichnete die Klägerin eine als "Distribution Agreement" bezeichnete Vereinbarung, die in Ziffer 13.6 folgende Schiedsklausel enthält:
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"Arbitration and Jurisdiction thereof;
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Any controversy or claim arising out of or relating to this 'Agreement' or the breach thereof shall be settled by arbitration. The number of arbitrators shall be 3 (three), One appointed by the 'Distributor', One appointed by the 'Company' and the Third being an independent body. The jurisdiction for arbitration shall be Ljubljana, the permanent arbitration of the Slovenian Chamber of Commerce, and Slovenian laws shall be used with regard to the resolution of the dispute. The language to be used in the arbitration proceeding shall be English. In the event that the 'Parties' are unable to agree on the acceptability of the Third arbitrator or in case agreed arbitration at relevant point of time shall not exist or be in function, the dispute shall be settled by the Competent Court in Ljubljana, Republic of Slovenia."
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Zwischen den Parteien blieb streitig, wer gemäss dem Distribution Agreement Vertragspartner (in der Vereinbarung als "Distributor" bezeichnet) der Klägerin war. Unterzeichnet ist die Vereinbarung von der Klägerin sowie "for and behalf of the 'Distributor' B. X AG".
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Unbestritten ist, dass die Klägerin und die Beklagte jedenfalls seit dem Jahre 2006 in einer geschäftlichen Beziehung standen, wobei die Klägerin der Beklagten Lebensmittelprodukte lieferte, die diese auf dem Schweizer Markt verkaufte.
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Mit Eingabe vom 6. Mai 2016 beantragte die Klägerin dem Handelsgericht des Kantons Aargau, es sei die Beklagte zur Zahlung von rund EUR 614'000.- zuzüglich Zins zu verpflichten.
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Die Beklagte beantragte, es sei auf die Klage nicht einzutreten, eventualiter sei diese abzuweisen. Zur Begründung ihres Hauptantrags brachte die Beklagte vor, die Parteien hätten eine Schiedsabrede getroffen, wonach für Streitigkeiten ein Schiedsgericht mit Sitz in Ljubljana, Slowenien, zuständig sei.
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Mit Verfügung vom 16. September 2016 beschränkte der Instruktionsrichter das Verfahren auf die Frage der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
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Mit Urteil vom 5. November 2018 trat das Handelsgericht des Kantons Aargau auf die Klage nicht ein und verwies die Klägerin im Sinne von Art. II Abs. 3 des New Yorker Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche auf das Schiedsverfahren.
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Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau vom 5. November 2018 aufzuheben und die Sache zur materiellen Behandlung der Klage an das Handelsgericht zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
2. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, sie habe den Formmangel der im Distribution Agreement enthaltenen Schiedsklausel zu Unrecht gestützt auf das Rechtsmissbrauchsverbot ausser Acht gelassen und damit Art. II Abs. 2 des New Yorker Übereinkommens vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (SR 0.277.12; nachfolgend: New Yorker Übereinkommen oder NYÜ) verletzt. Die Beschwerdegegnerin beruft sich im Rahmen einer Sachverhaltsrüge demgegenüber darauf, sie sei nach dem klaren Parteiwillen bereits bei Vertragsabschluss vom 9. Oktober 2009 Vertragspartei des Distribution Agreement geworden, das von ihrem einzelzeichnungsberechtigten Verwaltungsrat unterschrieben wurde; entsprechend sei die darin enthaltene Schiedsvereinbarung entgegen dem angefochtenen Entscheid formgültig geschlossen worden. Ausserdem wäre die Schiedsklausel auch dann auf sie ausgedehnt worden, wenn sie das Distribution Agreement nicht unterzeichnet hätte, weil sie sich in diesem Fall in einen "fremden" Vertrag eingemischt hätte, der eine Schiedsklausel enthält.
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(...)
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2.4 Die Vorinstanz erwog, die beiden Verfahrensparteien seien selbst dann an die Schiedsvereinbarung im Distribution Agreement gebunden, wenn diese nicht bereits am 9. Oktober 2009 zwischen ihnen abgeschlossen worden wäre. Sie begründete dies damit, dass das Distribution Agreement von Beginn an und über Jahre hinweg im Einverständnis sämtlicher Beteiligter anstatt von der B.-X/Y AG von der Beschwerdegegnerin erfüllt worden sei. Sie wies in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass diese Bindungswirkung auch nach dem schweizerischen Recht betreffend die internationale Schiedsgerichtsbarkeit eintreten würde, bei der die Rechtsprechung vom Grundsatz ausgeht, dass bei einem Dritten, der sich in den Vollzug eines Vertrags mit einer Schiedsklausel einmischt, angenommen wird, er habe der Schiedsklausel durch konkludentes Handeln zugestimmt (BGE 134 III 565 E. 3.2 S. 567 f.; BGE 129 III 727 E. 5.3.1 und 5.3.2).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 178 IPRG (SR 291) umfasst die Zuständigkeitsfrage auch diejenige nach der subjektiven Tragweite der Schiedsvereinbarung: Das Schiedsgericht hat im Rahmen der Prüfung seiner Zuständigkeit abzuklären, welche Personen durch die Schiedsvereinbarung gebunden sind (BGE 134 III 565 E. 3.2 S. 567 mit Hinweisen). Nach dem Grundsatz der Relativität vertraglicher Verpflichtungen bindet eine Schiedsklausel in einem Schuldvertrag grundsätzlich nur die Vertragsparteien. Allerdings bejaht das Bundesgericht seit langem, dass eine Schiedsklausel unter gewissen Voraussetzungen auch Personen binden kann, die den Vertrag nicht unterzeichnet haben und darin auch nicht erwähnt werden, wie etwa bei der Abtretung einer Forderung, bei einer (einfachen oder kumulativen) Schuldübernahme oder bei einer Vertragsübernahme (BGE 134 III 565 E. 3.2 S. 567 f.; BGE 129 III 727 E. 5.3.1 S. 735). Auch bei einem Dritten, der sich in den Vollzug eines Vertrags mit einer Schiedsklausel einmischt, wird in konstanter Rechtsprechung angenommen, er habe der Schiedsklausel durch konkludentes Handeln zugestimmt (BGE 134 III 565 E. 3.2 S. 568; BGE 129 III 727 E. 5.3.2 S. 737; Urteile 4A_310/2016 vom 6. Oktober 2016 E. 3.1.1; 4A_376/2008 vom 5. Dezember 2008 E. 8.4).
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Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht leuchtet nicht ein, weshalb diese Grundsätze der Ausdehnung einer zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien formgültig abgeschlossenen Schiedsvereinbarung auf Dritte, obwohl diese die vorgesehene Form nicht eingehalten haben, im Anwendungsbereich des New Yorker Übereinkommens ausser Betracht bleiben müssten. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung decken sich die formellen Voraussetzungen von Art. II Abs. 2 NYÜ mit denjenigen von Art. 178 Abs. 1 IPRG (BGE 121 III 38 E. 2c). Die Beschwerdeführerin kritisiert diesen Entscheid zwar und bestreitet die Anwendbarkeit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Ausdehnung der Schiedsklausel auf Dritte. Sie behauptet in diesem Zusammenhang jedoch unter Bezugnahme auf den Wortlaut der beiden Bestimmungen lediglich, Art. 178 IPRG stelle bewusst geringere Anforderungen an die Form als Art. II NYÜ, vermag jedoch nicht aufzuzeigen, inwiefern eine vertragsautonome Auslegung letzterer Bestimmung die Ausdehnung einer formgültig abgeschlossenen Schiedsvereinbarung auf Dritte, welche die Form nicht erfüllen, ausschliessen soll. Der von der Beschwerdeführerin zitierte Auszug aus dem UNCITRAL Secretariat Guide on the Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards (New York, 1958) (Ausgabe 2016, Rz. 18 S. 44 f.) zeigt im Gegenteil, dass etwa die Rechtsprechung in Frankreich eine Ausdehnung auf Dritte, welche die Schiedsvereinbarung nicht unterzeichnet haben, in gewissen Fällen zulässt. Die ebenfalls wiedergegebenen Ausführungen zu einem Entscheid des britischen Supreme Court nehmen gar nicht auf das Formerfordernis Bezug; als Grund für eine fehlende Bindungswirkung im konkreten Fall wird einzig fehlender Konsens erwähnt.
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Auch der im angefochtenen Entscheid erwähnte Umstand, wonach der Wortlaut von Art. II Abs. 2 NYÜ verlangt, dass die "Parteien" eine Schiedsvereinbarung unterzeichnen bzw. Briefe oder Telegramme wechseln, schliesst eine Ausdehnung der Schiedsklausel auf Dritte nicht aus. Vielmehr ist "von den Parteien unterzeichnet" ("signed by the parties") dahingehend zu verstehen, dass die Schiedsvereinbarung von den (ursprünglichen) Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unterzeichnet werden muss (d.h. im Sinne von "signed by the parties at the time of concluding the contract"), weshalb etwa bei einer Übertragung von Rechten und Pflichten aus einem Vertrag auf eine Drittperson diese im Hinblick auf die Bindung an die darin enthaltene Schiedsklausel keine weiteren Formvorschriften zu erfüllen hat (REINMAR WOLFF, in: New York Convention, Wolff [Hrsg.], München/Oxford 2012, N. 153 zu Art. II NYÜ; ULRICH HAAS, in: Practitioner's Handbook on International Arbitration, Weigand [Hrsg.], 2002, Part 3 N. 48). Dies steht im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach das Formerfordernis von Art. 178 Abs. 1 IPRG nur für die Willenserklärungen der (ursprünglichen) Parteien der Schiedsvereinbarung gilt, während sich die Bindung Dritter nach dem anwendbaren materiellen Recht richtet(BGE 129 III 727 E. 5.3.1 S. 735; BGE 134 III 565 E. 3.2 S. 567; vgl. auch BGE 142 III 220 E. 3.3 und 3.4 S. 224 f.). Die Beschwerdeführerin bezeichnet diese Rechtsprechung lediglich als "höchst umstritten", ohne dies jedoch weiter auszuführen; davon abzuweichen besteht kein Anlass.
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Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Abgrenzung zwischen formeller und materieller Gültigkeit der Ausdehnung einer Schiedsvereinbarung auf eine Drittperson unter der Anwendbarkeit des New Yorker Übereinkommens nicht abweichend von der beschriebenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung gestaltet. Betrifft demnach die Bindung der Beschwerdegegnerin, die sich in den Vollzug des Distribution Agreement eingemischt hat, nicht das Formerfordernis der Schiedsvereinbarung, sondern beurteilt sich diese Bindungswirkung nach dem materiellen Recht, braucht vorliegend nicht vertieft zu werden, ob die Aufzählung in Art. II Abs. 2 NYÜ abschliessend ist oder nicht, was zwischen den Parteien kontrovers diskutiert wird (dazu etwa GARY B. BORN, International Commercial Arbitration, Bd. I, 2. Aufl., Alphen aan den Rijn 2016, S. 674 ff.; Wolff, a.a.O., N. 104 ff. zu Art. II NYÜ).
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