BGE 74 IV 27 - Reisevertreter Hörler |
9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes |
vom 24. März 1948 i.S. Hörler gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. |
Regeste |
Art. 140 StGB, Veruntreuung. |
1. Bereicherungsabsicht als Tatbestandsmerkmal auch der Veruntreuung im Sinne von Ziff. 1 Absatz 2; Begriff der Bereicherung (Erw. 2 und 3 a). |
2. Ausschluss der Strafbarkeit bei Ersatzbereitschaft; Voraussetzungen, insbesondere bei Ersatz durch Verrechnung mit Gegenforderungen (Erw. 2 und 3 b). |
Sachverhalt |
A. |
Carl Hörler war seit dem 1. Juli 1926 Reisevertreter der Weinhandlung Gebr. Wettstein im Hombrechtikon. Er hatte die ostschweizerischen Wirte und Privatkunden zur Entgegennahme von Bestellungen aufzusuchen und war zum Inkasso ermächtigt. Als Entgelt bezog er ein festes Gehalt sowie eine Provision auf dem Umsatz, die anfänglich 1%, später 2% betrug und nach dem Anstellungsvertrag zur Hälfte in bar ausbezahlt, zur Hälfte "in Form einer Altersrente" bei der Firma angelegt und von ihr verzinst wurde. Ausserdem wurden ihm die Reisespesen vergütet.
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Hörler erzielte in den Jahren 1942 bis 1944 Umsätze von durchschnittlich über Fr. 300,000.-. Er war bei den Kunden sehr beliebt, zumal er bei seinen Besuchen beträchtlich konsumierte. Dabei leistete er sich jedoch Auslagen, die den für Spesen üblichen Betrag erheblich überstiegen. Da er diese Überschreitungen seiner Arbeitgeberin nicht einzugestehen wagte und auch nicht erwarten konnte, dass diese sie billigen und dafür aufkommen würde, deckte er den über die rapportierten Spesen hinausgehenden Aufwand in der Weise, dass er Gelder, die er auf Grund seiner Inkassovollmacht einzog, der Arbeitgeberin bei den wöchentlichen Abrechnungen nicht ablieferte. Die Entdeckung dieser Unregelmässigkeiten durch die Arbeitgeberin oder die Kunden suchte er dadurch zu verhindern, dass er die Rechnungsauszüge, die ihm die Arbeitgeberin zuhanden der Kunden mitgab, ihnen nicht aushändigte, sondern für sich behielt oder beiseite schaffte.
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Als die Arbeitgeberin im Juni 1943 feststellte, dass Hörler eingezogene Gelder nicht abgeliefert hatte, anerkannte dieser, Fr. 8393.- in verschiedenen Posten unterschlagen zu haben. Gleichzeitig erklärte er sich damit einverstanden, dass von den "bei seiner Arbeitgeberfirma angelegten Kapitalien von Fr. 23,876.10" (offenbar der Altersfonds) ein Betrag von Fr. 15,000.- ausgeschieden und auf ein Kautionskonto übertragen wurde "als Sicherheit für die vorzunehmende Inkassoberechtigung und richtige Ausübung seines Vertreterberufes". Der Anstellungsvertrag lief im übrigen weiter.
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Ende April 1945 stellte die Arbeitgeberin fest, dass Hörler wiederum eingezogene Gelder nicht abgeliefert hatte. Zur Rede gestellt, anerkannte Hörler am 12. Mai 1945 schriftlich, in der Zeit vom Juli 1943 bis Mai 1945 (weitere) Fr. 18,739.- veruntreut zu haben. Die Arbeitgeberin entliess ihn hierauf fristlos und deckte ihren Schaden, indem sie den genannten Betrag dem Kautions- und dem Kontokorrent-Konto Hörlers belastete.
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B. |
Am 9. Dezember 1947 erklärte das Schwurgericht des Kantons Zürich Hörler der wiederholten fortgesetzten Veruntreuung im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB in einem unbestimmten, Fr. 8000.- nicht übersteigenden Betrag schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von acht Monaten.
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C. |
Hörler führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Schwurgerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zur Begründung wird geltend gemacht:
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Auch bei der Veruntreuung im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB sei die Bereicherungsabsicht Tatbestandsmerkmal, obwohl der Wortlaut der Bestimmung nicht dafür zu sprechen scheine. Wegen Veruntreuung hätte der Beschwerdeführer daher nur bestraft werden dürfen, wenn sich ergeben hätte, dass er in der Absicht, sich unrechtmässig zu bereichern, gehandelt habe. Das sei aber nicht der Fall, weil seine Arbeitgeberin keinen Schaden erlitten habe. Bei Abrechnungsverhältnissen gelte nur derjenige Betrag als unterschlagen, für den der Geschädigte ungedeckt bleibe. Ein Gegenanspruch schliesse die Verurteilung wegen Veruntreuung aus. Das gleiche gelte für denjenigen, der subjektiv willens und objektiv in der Lage sei, Ersatz zu leisten. Nach den Umständen liege es näher, dass der Beschwerdeführer zum Ersatz des Schadens bereit war, als dass er die Inkassi endgültig habe verheimlichen wollen. Das Kautions- und das Kontokorrent-Konto des Beschwerdeführers hätten zusammen über Fr. 9000.- mehr betragen als der Schaden.
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D. |
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: |
Erwägung 2 |
2. Nach Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB macht sich strafbar, wer anvertrautes Gut, namentlich Geld, unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet. Von der Absicht unrechtmässiger Bereicherung ist dabei, im Gegensatz zu Abs. 1, nicht ausdrücklich die Rede. Dass sie aber auch bei Abs. 2 Tatbestandsmerkmal ist, darf schon daraus geschlossen werden, dass die Aneignungsdelikte, zu denen die Veruntreuung gehört und in deren Zusammenhang sie auch geregelt ist (Diebstahl, Raub, Unterschlagung und Fundunterschlagung), alle als Bereicherungsdelikte ausgestaltet sind. Dazu kommt, dass die Ersatzbereitschaft die Strafbarkeit widerrechtlicher Verwendung anvertrauten Gutes ausschliessen kann. Fähigkeit und Wille zum Ersatz vermögen aber nicht, die unrechtmässige Verwendung zur (objektiv) rechtmässigen zu machen; sie können höchstens dazu führen, die Bereicherungsabsicht zu verneinen. Der Kassationshof hat denn auch von jeher ohne nähere Begründung als selbstverständlich angenommen, dass die Absicht unrechtmässiger Bereicherung Tatbestandsmerkmal auch der Veruntreuung im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 sei (nicht veröffentlichte Urteile vom 26. Januar 1945 i.S. Passer, vom 19. Oktober 1945 i.S. Pfister, vom 22. Februar 1946 i.S. Wyler und vom 8. Mai 1947 i.S. Stalder). Hieran ist festzuhalten, da sonst nicht einzusehen wäre, wieso die Ersatzbereitschaft der Strafbarkeit unrechtmässiger Verwendung anvertrauten Gutes entgegenstehen sollte. Eine solche Einschränkung ist aber nötig, um den Tatbestand der Veruntreuung vernünftig zu begrenzen. Wer anvertrautes Geld für eigene Bedürfnisse ausgibt, verwendet es wohl unrechtmässig zu seinem Nutzen; er ist jedoch nicht wegen Veruntreuung strafbar, wenn er sich dabei nicht zu bereichern beabsichtigt, sondern gewillt ist, das Geld zu ersetzen, und auch sicher ist, es jederzeit, jedenfalls aber auf den Zeitpunkt der pflichtgemässen Rückgabe (Abrechnung) aus seinen Mitteln ersetzen zu können (vgl. die hievor angeführten Urteile i.S. Passer, Pfister, Wyler und Stalder).
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Erwägung 3 |
a) Bereicherung sind neben den Vorteilen, die sich jemand unmittelbar durch Verwendung anvertrauten Gutes verschafft, auch mittelbare Vorteile, die ihm ohne die unrechtmässige Verwendung nicht zugekommen wären. Indem der Beschwerdeführer bei den zur Entgegennahme von Bestellungen aufgesuchten Wirten erheblich konsumierte, verschaffte er sich zunächst den Vorteil einer komfortableren Lebenshaltung auf den Geschäftsreisen. Ferner liessen sich die Wirte durch diese Konsumationen zu grösseren Bestellungen bewegen, was zur Folge hatte, dass die auf dem Umsatz berechneten Provisionen des Beschwerdeführers stiegen. Um diese teils unmittelbaren, teils mittelbaren Vorteile hat sich der Beschwerdeführer durch die unbestrittenermassen unrechtmässige Verwendung eingezogener Kundengelder bereichert.
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b) Der Beschwerdeführer bestreitet denn auch die Bereicherungsabsicht nicht, weil ihm aus seinem Verhalten keine Vorteile erwachsen wären, sondern unter Berufung auf die Ersatzbereitschaft. Dabei verweist er auf seine Guthaben bei der Arbeitgeberin, aus denen diese ihren Schaden vollständig decken konnte. Gegenforderungen des Täters gegen den Geschädigten schliessen indessen die Verurteilung wegen Veruntreuung nicht ohne weiteres aus. Ob und unter welchen Umständen die Fähigkeit zum Ersatze durch Verrechnung den Täter zu entlasten vermag, was insbesondere bei Inkassoaufträgen näherer Prüfung bedarf (ZR 1945 Nr. 115, SJZ 1948 S. 128), kann hier offen bleiben, da beim Beschwerdeführer jedenfalls der Ersatzwille fehlte, er bei der unrechtmässigen Verwendung anvertrauten Gutes nicht willens war, es rechtzeitig zu ersetzen. Die Verrechnung von Gegenforderungen tritt nicht von selbst ein, sondern setzt eine Willenserklärung voraus (vgl. Art. 120 OR). In Abrechnungsverhältnissen kann deshalb der Ersatzwille höchstens angenommen werden, wenn derjenige, der anvertrautes Gut für sich verwendet hat, bei der Abrechnung die Verrechnung erklärt, nicht dagegen, wenn er die unrechtmässige Verwendung verheimlicht und erst dann zur Verrechnung bereit ist, wenn seine Verfehlungen entdeckt werden. So verhält es sich aber im vorliegenden Falle. Der Beschwerdeführer, der über die eingezogenen Gelder wöchentlich abzurechnen hatte, hat dabei nie die Verrechnung der zurückbehaltenen Gelder mit seinen Forderungen gegen die Arbeitgeberin erklärt, sondern hat diese Inkassi verheimlicht; die Arbeitgeberin hat sie erst nach längerer Zeit zufällig entdeckt. Er war daher jedenfalls zum Ersatz auf den Zeitpunkt, auf den dieser zu leisten gewesen wäre, nicht gewillt, was für den Tatbestand der Veruntreuung genügt, auch wenn nicht noch durch besondere Machenschaften, wie die Unterdrückung von Rechnungsauszügen, die Entdeckung der Verfehlungen verhindert worden wäre. Die nach der Entdeckung erfolgte Verrechnung der gegenseitigen Ansprüche des Beschwerdeführers und seiner Arbeitgeberin ist nachträgliche Schadensdeckung und ohne Einfluss auf die bereits vollendeten Veruntreuungen. Die gegenteilige Auffassung würde zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, dass ein Angestellter, der eine Kaution hinterlegt hat oder gegen seine Arbeitgeberin Forderungen besitzt, bis zu deren Höhe ungestraft das Vertrauen der Arbeitgeberin missbrauchen und das ihm von dieser anvertraute Gut für sich verwenden dürfte.
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Demnach erkennt der Kassationshof: |
Die Beschwerde wird abgewiesen.
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