BGE 80 IV 49
 
12. Urteil des Kassationshofes vom 26. Februar 1954 i. S. Bucher gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden.
 
Regeste
Art. 125, 18 Abs. 3 StGB.
 
Sachverhalt
A.- Auf einer Skiabfahrt prallte der damals 19-jährige Albert Bucher am Vormittag des 29. März 1952 bei der Talstation des Skiliftes Frutt-Erzegg gegen Frau Margrit Bommer, die sich mit einer Personengruppe dort auf einem ca. 80 cm hohen Schneewall befand. Frau Bommer, die umgeworfen wurde, erlitt einen Gelenksbruch des Schienbeinkopfes mit Ausbruch eines Gelenkhöckers, eine Schädigung des äussern Meniscus und eine Lockerung des Bandapparates.
Bucher war in einer kaum 10 cm tiefen Trasse-Rille gefahren, die kurz vor der Skiliftstation endigte. Obwohl die Personengruppe, in welcher sich Frau Bommer befand, von weitem sichtbar war und es in dem dort fast ebenen Gelände möglich gewesen wäre, den Schneewall beidseitig zu umfahren, hielt Bucher direkt auf die dort wartende Personengruppe zu. Der Versuch, kurz vor dieser noch nach links abzuschwenken, misslang ihm.
B.- Der Gerichtsausschuss (des Kantonsgerichtes) von Obwalden verurteilte Bucher am 10. April 1953 wegen fahrlässiger Körperverletzung (Art. 125 StGB) zu Fr. 30.- Busse. Das Gericht ging davon aus, dass, obwohl die Schneeverhältnisse an der Unfallstelle damals zum Skifahren ungünstig gewesen seien und die Skifahrtechnik des Angeklagten noch zu wünschen übrig gelassen habe, dieser die Piste auf die Skiliftstation zu "im Schuss" befahren habe. Ob die Personengruppe, bei der Frau Bommer gestanden sei, sich in oder neben der Piste befunden habe, mache keinen Unterschied aus, da Bucher in beiden Fällen die Gruppe ohne weiteres hätte umfahren können. Auch der Umstand, dass er in einer 10 cm tiefen Rille gefahren sei, habe das rechtzeitige Ausweichen nicht verunmöglicht. Bucher habe sich offenbar darauf verlassen, dass er unmittelbar vor der Personengruppe, auf die er in voller Fahrt zugesteuert habe, noch werde durch einen "Christiania" abstoppen können. Angesichts der ungünstigen Schneeverhältnisse und der mangelhaften Skitechnik des Angeklagten sei eine solche Fahrweise unverantwortlich, pflichtwidrig unvorsichtig gewesen.
C.- Bucher führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Gerichtsausschusses sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers zurückzuweisen. Er bestreitet, den Zusammenstoss mit Frau Bommer und damit deren Verletzungen pflichtwidrig unvorsichtig verursacht zu haben.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Fahrlässig hat Bucher sich verhalten, wenn er den Zusammenstoss mit Frau Bommer durch pflichtwidrige Unvorsichtigkeit herbeigeführt, d.h. die nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen gebotene Vorsicht nicht beachtet hat (Art. 18 Abs. 3 StGB). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Es steht fest, dass Bucher die Personengruppe, bei der sich Frau Bommer befand und auf die er zufuhr, auf grössere Distanz sehen konnte. Nicht festgestellt ist allerdings, ob er sie auch tatsächlich aus dieser Entfernung bemerkt hat. Darauf kommt indessen nichts an.
Sollte der Zusammenstoss darauf zurückzuführen sein, dass Bucher die Personengruppe zu spät wahrnahm, wofür in der Beschwerde keine Erklärung gegeben wird, so müsste daraus abgeleitet werden, dass er unaufmerksam war, und zwar pflichtwidrig. In einem allgemein zugänglichen Skigelände, zumal in der Nähe der Talstation eines viel benutzten Skilifts, darf ein Skiläufer nicht einfach darauf losfahren. Auch für ihn gilt das allgemeine Gebot, durch sein Verhalten die Sicherheit seiner Mitmenschen nicht schuldhaft zu gefährden. Es verlangt von ihm in erster Linie aufmerksames Beobachten des Geländes, durch das seine Fahrbahn führt. An der gehörigen Aufmerksamkeit hätte es Bucher umso weniger fehlen lassen dürfen, als seine Fahrtechnik, wie er selber ausführt, zu wünschen übrig lässt, er aber trotzdem "im Schuss" fuhr, somit in besonderem Masse darauf angewiesen war, Hindernisse in seiner Fahrbahn möglichst früh wahrzunehmen.
Sollte Bucher die Personengruppe dagegen aus grösserer Distanz wahrgenommen haben, so hätte er die Gefahr eines Zusammenstosses erkennen und folglich die durch die Umstände gebotenen Vorsichtsmassnahmen treffen müssen, um einen solchen zu verhindern. Das hat der Beschwerdeführer unterlassen. Statt die Fahrt zu verlangsamen und der Personengruppe auszuweichen, steuerte er, wie die Vorinstanz feststellt, "im Schuss" direkt auf sie zu.
Der Verurteilte wendet ein, dass ihm als mittelmässigem Skifahrer weder ein Abbremsen noch ein Ausweichen möglich gewesen sei, da er in einer ca. 10 cm tiefen Rille gefahren sei und überdies die Schneeverhältnisse schlecht gewesen seien. Dieser Einwand steht im Widerspruch zu der Feststellung der Vorinstanz, dass es Bucher selbst dann möglich gewesen wäre, Frau Bommer auszuweichen, wenn sie - was nicht abgeklärt sei - in der Piste gestanden wäre. Da diese Feststellung tatsächliche Verhältnisse betrifft, bindet sie den Kassationshof des Bundesgerichtes (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Sie kann mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Die Behauptung, sie widerspreche allgemeiner menschlicher Erfahrung, wäre selbst dann nicht zu hören, wenn der Beschwerdeführer damit sollte sagen wollen, sie beruhe im Sinne des Art. 277bis Abs. 1 BStP offensichtlich auf Versehen. Diese Bestimmung ermächtigt die Parteien nicht, tatsächliche Feststellungen anzufechten, sondern weist lediglich den Kassationshof an, offensichtliche Versehen, auf die er stösst, und die für die Beurteilung der Sache erheblich sind, von Amtes wegen zu berichtigen (BGE 76 IV 63). Zu einer solchen Berichtigung besteht hier kein Anlass; denn die Vorinstanz hat weder übersehen, dass Bucher in einer ca. 10 cm tiefen Rille fuhr, noch ausser Acht gelassen, dass seine Fahrtechnik zu wünschen übrig lässt und die Schneeverhältnisse schlecht waren.
Übrigens würde es dem Beschwerdeführer nichts helfen, wenn davon auszugehen wäre, dass er wegen seiner mangelhaften Skitechnik oder (bzw. und) wegen der schlechten Schneeverhältnisse unmöglich vor Frau Bommer hätte aus der Trasse-Rille herausfahren können. In diesem Falle läge eine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit des Bucher, der das Gelände und die Piste kannte und wusste, dass letztere zur Talstation des stark benutzten Skiliftes führte, schon darin, dass er "im Schuss" durch die Trasse-Rille gefahren ist, da er ohne weiteres hätte voraussehen können, dass er dadurch bei der Talstation sich aufhaltende Personen gefährden könnte.
Dass es sich, wie der Beschwerdeführer sagt, um die "normale Piste" gehandelt hat, ändert daran nichts. Wer auf dieser fährt, besitzt keinen Freibrief. Auf einer Piste, die viel befahren wird und auf die Talstation eines Skiliftes zuführt, wo mit herumstehenden und aus anderen Richtungen herannahenden Fahrern zu rechnen ist, ist eher mehr Vorsicht geboten als im anderen Skigelände.
Die Fahrweise des Beschwerdeführers würde auch dadurch nicht entschuldigt, wenn er, wie in der Beschwerde geltend gemacht wird, sich darauf verlassen haben sollte, einige Meter vor Frau Bommer noch "abschwingen" zu können. Mit dem Gelingen dieses Manövers, das unter den gegebenen Schneeverhältnissen an sich schon erhebliches technisches Können voraussetzte, das Bucher aber nicht besass, hätte er umso weniger rechnen dürfen, als er sehr schnell ("im Schuss") fuhr. Um seiner Vorsichtspflicht zu genügen, hätte er sich unter den gegebenen Umständen rechtzeitig, jedenfalls nicht erst in den letzten zehn Metern vorsehen müssen und auch vorsehen können, nicht zuletzt dadurch, dass er sich hätte fallen lassen. Das hätte nicht nur die Gefahr eines Zusammenstosses mit der Personengruppe'auf die er zufuhr, ausgeschlossen, sondern auch ihn selbst kaum gefährdet, da der Schnee weich und die Piste wenigstens im unteren Teil nicht steil war.
Ob, wie Bucher schliesslich noch einwendet, eine Sportregel es untersagt, bei der Talstation eines Skiliftes in der Piste zu stehen, und ob Frau Bommer diese Regel übertreten hat, kann dahingestellt bleiben. Diese Regel und deren Übertretung entbinden den die Piste benützenden Skifahrer nicht von der allgemeinen Pflicht, durch sein Verhalten die Sicherheit seiner Mitmenschen nicht zu gefährden.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.