16. Auszug aus dem Urteil des Kassationsbofes vom 14. Mai 1954 i.S. Distel gegen Distel.
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Regeste
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Art. 220 StGB.
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Sachverhalt
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A.- Marie Distel in Schüpfheim gab ihr am 5. Januar 1951 ausserehelich geborenes Kind Theresia Distel bei Oskar Hagmann in Walterswil in Pflege. In der Folge, am 22. März 1951, bestellte ihm der Gemeinderat von Schüpfheim in der Person des Dr. Albert Bitzi einen Beistand. Dieser reichte, vom Gemeinderat beauftragt, am 11. Mai 1951 im Namen des Kindes gegen Marie Distel beim Statthalteramt Entlebuch Strafklage ein mit den Vorwürfen, sie habe sich trotz Aufforderung und Androhung der Straffolgen des Art. 292 StGB geweigert, den Vorladungen des Gemeinderates Folge zu leisten, um über das aussereheliche Kindesverhältnis Auskunft zu erteilen, und sie habe das Kind eigenmächtig bei Familie Hagmann versorgt und es damit im Sinne des Art. 220 StGB der vormundschaftlichen Gewalt entzogen.
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Auf Ersuchen des Statthalteramtes Entlebuch verhörte die Bezirksanwaltschaft Zürich am 21. Januar 1953 Marie Distel, die nunmehr in Zollikon wohnte. Die Angeschuldigte erklärte, sie habe das Kind den Eheleuten Hagmann "abgetreten". Sie würde diese Leute beleidigen, wenn sie es ihnen wegnähme. Sie könne keinem anderen Pflegeplatz zustimmen. Sie weigere sich, den Vormund über das Kind verfügen zu lassen. Sie bleibe auch bei der Weigerung, den Vater des Kindes zu nennen. Das Kind habe seinen guten Platz. Sie könne nicht einsehen, dass sie sich der Entziehung des Kindes gegenüber der Vormundschaftsbehörde schuldig mache.
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Dr. Bitzi, der vom Gemeinderat von Schüpfheim am 4. Dezember 1952 dem Kinde als Vormund bestellt worden war, erklärte im Verhör vom 29. Januar 1953 vor dem Amtsstatthalter von Entlebuch, er halte an der Strafklage fest. Aus der Verantwortung der Angeschuldigten und einem Brief vom 8. Januar 1953 an ihn ergebe sich, dass sie sich fortwährend der Widerhandlung gegen Art. 220 StGB schuldig mache.
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B.- Der Amtsstatthalter von Entlebuch liess die Strafverfolgung wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen (Art. 292 StGB) fallen, stellte dagegen Strafantrag wegen Entziehung eines Unmündigen im Sinne des Art. 220 StGB. Marie Distel verlangte gerichtliche Beurteilung.
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Am 14. Juli 1953 erklärte das Amtsgericht Entlebuch die Beklagte der Entziehung eines Unmündigen schuldig und verurteilte sie zu acht Tagen Gefängnis. Es schob den Vollzug der Strafe bedingt auf und erteilte der Verurteilten die Weisung, sich inskünftig den Anordnungen der Vormundschaftsbehörde und des Vormundes inbezug auf die Klägerin Theresia Distel zu unterziehen.
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Das Amtsgericht sieht das Vergehen darin, dass Marie Distel anlässlich der Einvernahme vom 21. Januar 1953 erklärte, sie weigere sich, den Vormund über das Kind verfügen zu lassen. Sie habe in diesem Zeitpunkt gewusst, dass ihr die elterliche Gewalt entzogen und dem Kind ein Vormund bestellt worden sei. Den Akten sei allerdings nicht zu entnehmen, ob der Vormund oder die Vormundschaftsbehörde verfügt habe, das Kind müsse den Pflegeplatz verlassen und anderswohin verbracht werden, obwohl der Pflegeort den Behörden schon am 22. März 1951 anlässlich der Ernennung des Beistandes bekannt gewesen sei und das Kind dort gut behandelt werde. Auch wenn eine dem Willen der Beklagten widersprechende Anordnung über das Kind seitens des Vormundes oder der Vormundschaftsbehörde nicht vorliege, sei "zufolge der von der Beklagten an den Tag gelegten Einstellung ihrer Weigerung, den Vormund über das Kind verfügen zu lassen", der Tatbestand des Art. 220 StGB erfüllt.
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C.- Marie Distel führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Amtsgericht zurückzuweisen.
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde sei gutzuheissen.
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Der Vormund der Theresia Distel beantragt, sie sei abzuweisen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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Nach Art. 220 StGB vergeht sich, "wer eine unmündige Person dem Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt entzieht oder vorenthält".
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Theresia Distel steht seit 4. Dezember 1952 unter Vormundschaft, ist jedoch dem Vormunde durch die Beschwerdeführerin weder entzogen noch vorenthalten worden. Hiezu gehört ein Tun oder Unterlassen, das den Inhaber der Gewalt hindert, frei über die unmündige Person, insbesondere über ihren Aufenthaltsort, ihre Erziehung, ihre Lebensgestaltung, zu bestimmen. Ein Kind wird dem Vormund vorenthalten, wenn der Täter es verbirgt, dem Vormund trotz Aufforderung den Pflegeort nicht bekanntgibt, seinem Befehl, es herauszugeben oder an einen bestimmten Ort zu verbringen, nicht Folge leistet, es an einem vom Vormund bestimmten Pflegeplatz wegnimmt oder dergleichen. Ein solches oder ähnliches Tun oder Unterlassen wird der Beschwerdeführerin nicht vorgeworfen. Mit ihrer Erklärung, sie weigere sich, den Vormund über das Kind verfügen zu lassen, gab sie bloss einen Willen kund, der sie unter Umständen zur Verübung des Vergehens des Art. 220 hätte treiben können. In der Kundgabe dieses Willens aber lag die Ausführung nicht, ja nicht einmal eine Vorbereitung. Dem Vormund, der den Pflegeort des Kindes kannte, war es nach wie vor möglich, über es zu verfügen, insbesondere den Pflegeeltern Hagmann Weisungen zu erteilen, es ihnen wegzunehmen, es an einem anderen Orte zu versorgen. Dass er jemals versucht habe, das zu tun, und dass ihn die Beschwerdeführerin daran gehindert oder auch bloss zu hindern versucht habe, sei es z.B., indem sie Oskar Hagmann aufgefordert hätte, die Weisungen des Vormundes nicht zu befolgen oder das Kind nicht herauszugeben, sei es auch bloss durch pflichtwidrige Unterlassungen, ist nicht erstellt, ja nicht einmal behauptet worden.
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Die Beschwerdeführerin ist daher freizusprechen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Amtsgerichts Entlebuch vom 14. Juli 1953 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung der Beschwerdeführerin an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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