BGE 80 IV 97
 
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Mai 1954 i.S. Bommeli gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
 
Regeste
Art. 110 Ziff. 2 StGB.
 
Sachverhalt
A.- Julia Bommeli verschwieg anlässlich der steueramtlichen Inventarisation des Nachlasses ihres am 14. April 1946 verstorbenen Ehemannes, dass der Verstorbene rund Fr. 40'000.-- Bargeld hinterlassen hatte. Sie verheimlichte dieses Vermögen auch ihrem Rechtsbeistande J. Gremminger, der ihre Interessen gegenüber ihrer Stieftochter Alma Nater geb. Bommeli wahrte. Da das Steueramt das Ergebnis der Inventarisation den Eheleuten Nater mitteilte und auch Gremminger ihnen von der falschen Darstellung der Julia Bommeli Kenntnis gab, sah Alma Nater davon ab, ihren Erbanteil an der verheimlichten Barschaft geltend zu machen. Sie wurde dadurch um Fr. 10'000.-- geschädigt.
B.- Am 28. Januar 1954 erklärte das Obergericht des Kantons Zürich Julia Bommeli wegen der Tat zum Nachteil der Alma Nater des Betruges und wegen anderer Handlungen des wiederholten Diebstahls schuldig und verurteilte sie zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von zehn Monaten.
C.- Der Verteidiger erklärte die Nichtigkeitsbeschwerde. Er führt aus, die Angeklagte mache geltend, als Stiefmutter der Geschädigten sei sie deren Angehörige im Sinne von Art. 110 Ziff. 2 StGB, weshalb sie nur auf Antrag hätte verurteilt werden dürfen; ein solcher habe aber nicht vorgelegen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Der Betrug zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt (Art. 148 Abs. 3 StGB).
Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern und Adoptivkinder (Art. 110 Ziff. 2 StGB).
In der Sprache des eidgenössischen Rechts sind Verwandte (parents, parenti) nur die Blutsverwandten. Zwar stehen im deutschen Text des Zivilgesetzbuches die Bestimmungen über Blutsverwandtschaft (Art. 20) und Schwägerschaft (Art. 21) unter dem gemeinsamen Randtitel "IV. Verwandtschaft". Wie schon in BGE 74 IV 91 ausgeführt wurde, entspricht aber der französische Randtitel "IV. parenté et alliance" dem allgemeinen Sprachgebrauch besser. Er ist auch sachlich richtig, da die Art. 20 und 21 nur zwischen "parents" und "alliés" unterscheiden und einen gemeinsamen Oberbegriff nicht kennen. Auch das eidgenössische Prozessrecht verwendet einen solchen nicht, sondern spricht immer von Verwandten (oder Blutsverwandten) und Verschwägerten, wenn es beide zugleich bezeichnen will (vgl. Art. 4, 22 OG, Art. 132 Abs. 2 Ziff. 1 BG vom 22. November 1850 über das Verfahren bei dem Bundesgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten; Art. 42 BZP vom 4. Dezember 1947; Art. 75 BStP). Stiefeltern werden deshalb vom Begriff des "Verwandten gerader Linie" nicht erfasst; sie sind dem Stiefkind nicht verwandt, sondern mit ihm verschwägert.
Sie sind auch nicht "Adoptiveltern" (parents adoptifs, genitori adottivi). Darunter sind, wie sich aus den romanischen Texten der Art. 264 ff. ZGB und dem allgemeinen Sprachgebrauch ergibt, nur die Personen zu verstehen, die ein Kind in der Form des Art. 267 ZGB "annehmen".
Nach dem Wortlaut von Art. 110 Ziff. 2 StGB haben daher die Stiefeltern nicht als Angehörige zu gelten.
Eine Gesetzeslücke aber, die auf dem Wege der Rechtsprechung auszufüllen wäre, besteht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht. Der Kassationshof hat schon in BGE 74 IV 91 f. unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte ausgeführt, dass die Bestimmung die Angehörigen abschliessend aufzählt und nicht ausdehnend auszulegen ist. Die Richtigkeit dieser Rechtsprechung wird durch die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Gesichtspunkte nicht widerlegt, auch nicht bloss für den Fall der Stiefeltern. Dass Adoptiveltern Angehörige sind, spricht nicht für die Gleichbehandlung der Stiefeltern. Die Kindesannahme kommt nur mit Zustimmung des Annehmenden und der anzunehmenden Person, ihrer Eltern oder der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde zustande (Art. 265 ZGB). Sie setzt ein Verhältnis voraus, das dem Verhältnis zwischen Eltern und dem ehelichen Kinde gleicht (Art. 264, 266 ZGB). Der Annehmende muss dem Kinde Fürsorge und Pflege erwiesen haben, wenn nicht andere wichtige Gründe für die Annahme sprechen (Art. 267 Abs. 2 ZGB). Das angenommene Kind erhält den Familiennamen des Annehmenden und erlangt diesem gegenüber die Rechte und Pflichten eines ehelichen Kindes, insbesondere, soweit nicht vor der Annahme mit öffentlicher Urkunde Abweichungen vereinbart werden, auch die Vermögensrechte und die Erbberechtigung (Art. 268 ZGB). Das Adoptivverhältnis ist rechtlich dem ehelichen Kindesverhältnis weitgehend angeglichen und schafft auch engste persönliche Beziehungen zwischen Annehmenden und Angenommenem. Die Schwägerschaft zwischen Stiefeltern und Stiefkindern dagegen kommt von Gesetzes wegen und unbekümmert darum zustande, ob die persönlichen Beziehungen eng oder locker oder überhaupt vorhanden sind. Unmittelbare Rechte gegenüber dem Stiefelternteil, insbesondere einen Unterhaltsanspruch, hat das Stiefkind nicht. Lediglich die Ehegatten schulden einander Unterhalt und Beistand auch insoweit, als es nötig ist, damit der andere Ehegatte seine Elternpflichten gegenüber seinem Kinde erfüllen kann (BGE 46 III 56). Wenn das Kind selber über die nötigen Mittel verfügt oder von seinen natürlichen Eltern, insbesondere von seiner Mutter oder seinem (geschiedenen oder ausserehelichen) Vater, unterhalten werden kann, hat der Stiefelternteil, insbesondere der Stiefvater, an seinen Unterhalt nichts beizutragen. Anderseits besitzt er auch kein Nutzungsrecht an seinem Vermögen (BGE 72 II 168 f.). Erbberechtigt ist weder das Stiefkind gegenüber dem Stiefelternteil noch umgekehrt. Das Stiefkind behält seinen Familiennamen. Oft wird es auch nicht in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen. Häufig ist es schon erwachsen, wenn sein Vater oder seine Mutter die Ehe eingeht, die das Stiefverhältnis begründet. Dieses Verhältnis zeichnet sich auch nicht notwendigerweise aus durch einen erheblichen Altersunterschied zwischen dem Kinde und seinem Stiefelternteil. Stiefeltern und Stiefkinder bleiben einander sehr oft auch nach Begründung ihrer Schwägerschaft fremd. Rücksichtnahme in dem Sinne, dass die Behörden sie nicht von Amtes wegen zu verfolgen hätten, wenn sie einander bestehlen, betrügen usw., drängt sich nicht auf. Gerade der Umstand, dass der Gesetzgeber in Art. 110 Ziff. 2 StGB die Adoptiveltern zu den Angehörigen zählt, nicht aber die Stiefeltern, zeigt, dass er diese nicht wie jene behandelt wissen wollte. Die ungleiche Behandlung widerspricht natürlichem Rechtsempfinden nicht, insbesondere auch dann nicht, wenn das Stiefkind die strafbare Handlung begangen hat, da es, wie dargetan, auch in anderer Beziehung weit davon entfernt ist, gegenüber einem Stiefvater oder einer Stiefmutter gleiche Rechte zu haben wie ein blutsverwandtes oder ein angenommenes Kind. Von einer Unbilligkeit kann auch deshalb nicht die Rede sein, weil die Frage, ob der Täter von Amtes wegen oder als Angehöriger nur auf Antrag zu verfolgen sei, vom Gesetz überhaupt nicht nach Grundsätzen der Billigkeit beantwortet wird, sondern einzig unter Abwägung des öffentlichen Interesses an der Verfolgung des Rechtsbrechers gegenüber dem privaten Interesse, dass die Behörde nicht von Amtes wegen in die Angelegenheiten nahe verbundener Personen sich einmische. Wenn die Beschwerdeführerin die Behauptung der Unbilligkeit mit dem Hinweis zu erhärten versucht, es könnten in einer Familie sowohl Stief- als auch Adoptivkinder vorhanden sein, die gemeinsam die Stief- bzw. Adoptivmutter bestehlen könnten, so verkennt sie übrigens, dass auch das Stiefkind, wenn es im gemeinsamen Haushalt lebt, als Familiengenosse nur auf Antrag verfolgt wird (Art. 110 Ziff. 3, 137 Ziff. 3, 140 Ziff. 3, 148 Abs. 3 StGB usw.), insofern also den im gleichen Haushalt lebenden Adoptivkindern, ja sogar den blutsverwandten Kindern gleichsteht. Aus dem gleichen Grunde hat auch die Überlegung, die eheliche Gemeinschaft zwischen dem natürlichen und dem Stiefelternteil könnte unter der von Amtes wegen eingeleiteten Verfolgung des Stiefkindes leiden (BIZüR 45 Nr. 98 a), zu wenig Gewicht, als dass sie dem Richter Anlass geben dürfte, über den klaren Wortlaut des Gesetzes hinwegzugehen. In Fällen wie dem vorliegenden stellt sich die Frage, ob die Strafverfolgung der ehelichen Gemeinschaft schade, ohnehin nicht, und wenn diese Gemeinschaft in Fällen, in denen der Stiefelternteil der Täter ist, leiden kann, so liegt die Ursache in dem gegenüber dem Stiefkind begangenen Verbrechen, nicht in der von Amtes wegen eingeleiteten Strafverfolgung.
Die Beschwerdeführerin ist daher mit Recht wegen des begangenen Betruges von Amtes wegen verfolgt worden.