BGE 80 IV 122
 
23. Urteil des Kassationshofes vom 25. Juni 1954 i.S. Mathys gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn.
 
Regeste
Art. 307 StGB.
 
Sachverhalt
A.- Mathys wurde am 2. März 1953 im Scheidungsprozess der Eheleute B. vom Präsidenten des Amtsgerichts Solothurn-Lebern als Zeuge über seine persönlichen Beziehungen zu Frau B. befragt. Während zwei Stunden stellte er engere Beziehungen in Abrede. Nachdem er sich widersprochen und ihn der Gerichtspräsident wegen seiner Haltung energisch verwiesen hatte, bekannte er, gelogen zu haben, und berichtigte er seine Aussagen. Als das geschehen war, wurde das Protokoll verlesen, und Mathys unterzeichnete es.
B.- Am 26. November 1953 verurteilte das Obergericht des Kantons Solothurn Mathys wegen unvollendeten Versuchs des falschen Zeugnisses (Art. 307, 21 Abs. 1 StGB) zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von einem Monat. Es vertritt die Auffassung, nach solothurnischem Prozessrecht sei das Zeugnis in den Fällen, in denen die Aussage verlesen und vom Zeugen unterschrieben wurde, mit der Unterzeichnung beendet. Da Mathys seine Aussagen vorher berichtigt habe, habe er das falsche Zeugnis nicht vollendet. Er habe aber den entscheidenden Schritt, mit dem die Ausführung des Verbrechens beginne, vor der Berichtigung seiner Aussage getan. Wäre er nicht unter dem Druck seiner Widersprüche und dank des energischen Einschreitens des Richters zum Bekenntnis gezwungen worden, hätte er ohne Zweifel die lügenhaften Aussagen unterschrieben.
C.- Mathys führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Obergericht zurückzuweisen. Er macht geltend, er habe den letzten, entscheidenden Schritt zur Ablegung falschen Zeugnisses nicht getan, da er noch die Möglichkeit gehabt habe, aus innerem Antrieb heraus seine Aussagen zu berichtigen, solange das Verhör nicht abgeschlossen war. Erst in der Unterzeichnung des Protokolls liege der Schritt, von dem der Zeuge in der Regel nicht mehr aus eigenem Antrieb zurücktrete.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn beantragt unter Berufung auf das angefochtene Urteil, die Beschwerde sei abzuweisen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist das Verbrechen des falschen Zeugnisses (Art. 307 StGB) erst vollendet, wenn die Einvernahme nach den Vorschriften des Prozessrechts beendet ist. Das trifft in Fällen, in denen die Protokollierung der Aussagen und die Unterschrift des Zeugen nötig sind, erst zu, wenn der Zeuge das Protokoll unterschrieben hat (BGE 69 IV 216). Da nach solothurnischem Prozessrecht, wie die Vorinstanz es verbindlich auslegt, in Fällen wie dem vorliegenden die Aussagen dem Zeugen vorzulesen und von ihm zu unterschreiben sind, und da der Beschwerdeführer sie vor der Unterzeichnung berichtigt hat, liegt somit ein vollendetes falsches Zeugnis hier nicht vor.
Der Beschwerdeführer kann aber auch nicht wegen Versuchs bestraft werden. Das Zeugenverhör dient der Erforschung der Wahrheit. Die Erreichung dieses Zweckes würde erschwert oder vereitelt, wenn der Zeuge, der eine Lüge vor Abschluss der Einvernahme berichtigt, wegen Versuchs des falschen Zeugnisses bestraft werden müsste oder, im Falle des Rücktritts aus eigenem Antrieb (Art. 21 Abs. 2 StGB), zum mindesten bestraft werden könnte. Die Aussicht, verfolgt zu werden, könnte den Zeugen von der Berichtigung abhalten, während anderseits die Zusicherung von Straflosigkeit durch den Richter ihm die Umkehr zur Wahrheit erleichtert. Art. 307 StGB, der den Interessen der Rechtspflege zu dienen bestimmt ist, kann daher den Zeugen, der von seinen Lügen vor Beendigung der Einvernahme abkommt, nicht wegen Versuchs bestrafen lassen wollen, gleichgültig, ob der Verhörte aus eigenem Antrieb oder wegen der Gefahr der Überführung, Ermahnungen seitens des Richters und dgl. zur wahrheitsgemässen Aussage bewogen worden ist. Die im Interesse der Wahrheitserforschung liegende Nachsicht des Gesetzgebers kommt auch in Art. 308 StGB zum Ausdruck, der den Richter ermächtigt, die Strafe nach freiem Ermessen zu mildern (Art. 66) oder von einer Bestrafung Umgang zu nehmen, wenn der Täter die vollendete falsche Aussage aus eigenem Antrieb berichtigt, bevor durch sie für einen andern ein Rechtsnachteil entstanden ist. Ohne diese Bestimmung könnte der Widerruf der falschen Aussage, als Betätigung aufrichtiger Reue, bloss gemäss Art. 64 und 65 StGB zu Strafmilderung führen.
Hat der Beschwerdeführer nach dem Sinn und Geiste des Gesetzes sich nicht strafbar gemacht, weil er vor der Unterzeichnung des Protokolls die Wahrheit gesagt hat, so kann dahingestellt bleiben, ob im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung über den Beginn des Versuches (BGE 71 IV 211, BGE 74 IV 133, BGE 75 IV 177) schon das anfängliche Lügen oder, wie das Militärkassationsgericht annimmt (vgl. RStrS 1953 Nr. 130), erst der Beginn der Unterzeichnung als der letzte, entscheidende Schritt zu gelten hätte, von dem man nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht mehr zurücktritt, wenn man zu falschem Zeugnis entschlossen ist.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 26. November 1953 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.