BGE 80 IV 205
 
43. Urteil des Kassationshofes vom 2. Oktober 1954 i. S. Schraner gegen Righetti.
 
Regeste
1. Art. 272 Abs. 1 und 4 BStP. Wenn die Nichtigkeitsbeschwerde im Zivilpunkt unabhängig davon, ob der Kassationshof auch mit dem Strafpunkt befasst ist, zulässig ist, läuft die Frist zur Beschwerdeerklärung mit der Eröffnung des angefochtenen Entscheides, und zwar sogar dann, wenn die Beschwerde auf den Zivilpunkt beschränkt wird.
 
Sachverhalt
A.- Das Bezirksgericht Baden verurteilte Emil Righetti am 1. September 1953 wegen Übertretung der Art. 26 und 27 MFG, fahrlässiger Tötung, fahrlässiger einfacher Körperverletzung und fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs zu vier Monaten Gefängnis und Fr. 300.-- Busse und gegenüber Marie Schraner, der Witwe des Getöteten, zu Fr. 5000.-- Genugtuung. Zur Geltendmachung der Schadenersatzansprüche verwies es Wwe. Schraner auf den Zivilweg.
Gegen dieses Urteil beschwerte Righetti sich beim Obergericht des Kantons Aargau mit den Anträgen auf Freisprechung und Abweisung der Genugtuungsforderung. Wwe. Schraner führte ihrerseits Beschwerde mit dem Antrag auf Bezahlung von Fr. 10'000.-- Genugtuung.
Das Obergericht wies am 24. Juni 1954 die Beschwerde der Zivilklägerin ab, ebenso jene des Righetti im Strafpunkt. Dagegen hiess es die Beschwerde des Beklagten im Zivilpunkt dahin gut, dass es die Verurteilung zu einer Genugtuung aufhob.
Das Urteil wurde der Zivilklägerin und dem Beklagten am 14. Juli 1954 in vollständiger Ausfertigung eröffnet.
B.- Mit Erklärung und gleichzeitiger Begründung vom 23. Juli 1954 reichte Righetti im Strafpunkt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ein.
Nachdem am 28. Juli 1954 der Zivilklägerin davon Kenntnis gegeben worden war, erklärte sie am 2. August 1954 unter Berufung auf Art. 271 Abs. 2 und 4 und Art. 272 Abs. 4 BStP Nichtigkeitsbeschwerde und begründete sie. Sie beantragt, der die Beschwerde Righettis im Zivilpunkt gutheissende Spruch des obergerichtlichen Urteils sei aufzuheben und das Obergericht anzuweisen, den Beklagten gegenüber der Zivilklägerin zu Fr. 3000.-- Genugtuung zu verurteilen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Wwe. Schraner hat die Nichtigkeitsbeschwerde erst nach Ablauf der in Art. 272 Abs. 1 BStP vorgesehenen Frist von zehn Tagen erklärt, die mit der Eröffnung des angefochtenen Entscheides, also am 14. Juli 1954, zu laufen begann. Selbständig erhoben, ist daher die Beschwerde verspätet. Die Bestimmung des Art. 272 Abs. 4 BStP, wonach für die Partei, die nur Beschwerde im Zivilpunkt führt, die Frist zu deren Einlegung und Begründung auf zehn Tage seit Mitteilung der von einem anderen Beteiligten eingelegten Beschwerde im Strafpunkt verlängert wird, gilt bloss dann, wenn "die Beschwerde im Zivilpunkt nur im Anschluss an eine Beschwerde im Strafpunkt zulässig ist". Darunter versteht das Gesetz, wie die Verweisung auf Art 271 Abs. 2 ergibt, den Fall, in dem der Streitwert der Zivilforderung, berechnet nach den für die zivilprozessuale Berufung geltenden Vorschriften, weniger als Fr. 4000.-- beträgt und der Anspruch im zivilprozessualen Verfahren auch nicht ohne Rücksicht auf den Streitwert der Berufung unterläge. Diese Regelung ist getroffen, weil in diesem Falle die Beschwerde im Zivilpunkt voraussetzt, dass der Kassationshof mit dem Strafpunkt befasst sei, diese Voraussetzung aber für die Partei, die nur Beschwerde im Zivilpunkt erheben will, erst feststeht, wenn ihr mitgeteilt worden ist, dass ein anderer Beteiligter im Strafpunkt Beschwerde eingelegt hat. Im vorliegenden Falle verhält es sich anders. Nach Massgabe der Rechtsbegehren, wie sie vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren (vgl. Art. 46 OG), bleibt der Streitwert der Zivilforderung nicht unter Fr. 4000.--, konnte also Wwe. Schraner unabhängig davon, ob Righetti im Strafpunkt Beschwerde führe, eine auf den Zivilpunkt beschränkte Beschwerde erheben. Dass sie sich zur Anrufung des Bundesgerichts nur wegen der Beschwerde des Righetti entschloss, ändert rechtlich nichts.
Ihr Rechtsmittel kann auch nicht als Anschlussbeschwerde behandelt werden. Eine solche ist gemäss Art. 271 Abs. 4 BStP in Verbindung mit Art. 59 OG im Zivilpunkt zwar grundsätzlich zulässig und kann binnen zehn Tagen nach Empfang der Mitteilung über den Eingang der Beschwerde der Gegenpartei eingereicht werden, setzt aber voraus, dass auch die Hauptbeschwerde sich auf den Zivilpunkt beziehe. Das Gesetz will den Parteien mit der Anschlussbeschwerde nicht eine weitere Möglichkeit geben, von dem mit dem Strafpunkt befassten Kassationshof zugleich den Zivilpunkt beurteilen zu lassen, sondern dem Kassationshof nur ermöglichen, das kantonale Urteil im Zivilpunkt, wenn er diesen ohnehin zu überprüfen hat, auch zugunsten des Beschwerdegegners und Anschlussbeschwerdeführers abändern zu lassen. Im vorliegenden Falle aber liegt über den Zivilpunkt keine Hauptbeschwerde vor.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde der Wwe. Marie Schraner wird nicht eingetreten.