BGE 80 IV 223
 
47. Urteil des Kassationshofes vom 12. November 1954 i. S. Gyger gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
 
Regeste
Art. 68 Ziff. 2 StGB verlangt eine Zusatzstrafe.
 
Sachverhalt
A.- Am 4. Februar 1954 verurteilte das Amtsgericht Burgdorf Fritz Gyger wegen Betruges und Pfändungsbetruges zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zehn Monaten und setzte ihm vier Jahre Probezeit.
Am 2. Mai 1954 erklärte das Amtsgericht Thun ihn wegen zahlreicher Taten, von denen er die meisten vor, den kleineren Teil nach dem 4. Februar 1954 begangen hatte, der Veruntreuung, der Urkundenfälschung und der Unterdrückung von Urkunden schuldig und verurteilte ihn "zu einer Gesamtstrafe von 14 Monaten Gefängnis, abzüglich 52 Tage Untersuchungshaft, unter Einschluss der vom Amtsgericht von Burgdorf am 4. Februar 1954 ausgefällten bedingten Strafe von 10 Monaten Gefängnis".
Auf Appellation des Verurteilten bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 1. Juli 1954 das Urteil, mit der einzigen Abweichung, dass es dem Verurteilten 93 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft auf die Strafe anrechnete.
B.- Gyger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und diese Instanz anzuweisen, ihn zu einer Zusatzstrafe von vier Monaten, eventuell zu einer bedingt vollziehbaren Gesamtstrafe von zwölf Monaten zu verurteilen und die seit 1. Juli 1954 ausgestandene Sicherheitshaft in vollem Umfange auf die Strafe anzurechnen. Zur Begründung des Hauptantrages macht er geltend, die Ausfällung einer Gesamtstrafe komme einer Abänderung des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichtes von Burgdorf gleich und sei nach Wortlaut und Sinn von Art. 68 Ziff. 2 StGB unzulässig.
C.- Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
In der Literatur ist die Auffassung vertreten worden, der Wortlaut dieser Bestimmung lasse dem Richter, der die vor einer früheren Verurteilung begangene Handlung zu beurteilen hat, die Wahl, eine nur diese Handlung sühnende Strafe (sog. Zusatzstrafe) oder eine auch als Sanktion für die früher beurteilte Tat bestimmte Strafe (sog. Gesamtstrafe) auszufällen (WAIBLINGER, ZStrR 57 97, 58 236). Dem ist nicht beizupflichten. Wie schon in BGE 68 IV 11 ausgeführt worden ist, lässt die Fassung erkennen, dass Art. 68 Ziff. 2 die Möglichkeit der Ausfällung einer Gesamtstrafe ausschliesst. Die Bestimmung unterscheidet zwischen der beurteilten und der zu beurteilenden Tat und gebietet dem Richter, der über die letztere abspricht, die Strafe so zu bestimmen, wie wenn die mehreren strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären. Damit ist gesagt, dass es beim früheren Urteil sein Bewenden hat, die Sache auch nicht bloss hinsichtlich der Strafe wieder aufgegriffen werden darf. Unter der "Strafe", die der später urteilende Richter zu bestimmen hat, ist die Strafe für die von ihm selbst beurteilte Tat zu verstehen. Hätte das Gesetz ihm gebieten oder auch bloss ihn ermächtigen wollen, auf die frühere Strafe zurückzukommen, so hätte es das deutlich sagen müssen.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, wenn der Richter eine Gesamtstrafe ausfälle, beurteile er nichtsdestoweniger nur die vor dem früheren Urteil begangene Tat und lasse dieses Urteil unberührt, beziehe lediglich die früher ausgefällte Strafe in die Gesamtstrafe ein (WAIBLINGER, ZStrR 57 98, 58 232). Gewiss setzt die Ausfällung einer Gesamtstrafe die Neubeurteilung der Schuldfrage nicht voraus und könnte der Richter oft auch die im früheren Urteil ausgefällte Strafe unverändert in die Gesamstrafe "einschliessen", z.B. wenn er sechs Monate Gefängnis in einer Gesamtstrafe von acht Monaten Gefängnis aufgehen liesse. Es gibt aber Fälle, in denen der Streit um die Zulässigkeit der Gesamtstrafe sich nicht wie in diesem Beispiel in einem Streit um Worte erschöpfen, sondern die Gesamtstrafe das frühere Urteil tiefgreifend materiell abändern würde, z.B. wenn an Stelle einer Gefängnisstrafe Zuchthaus als Gesamtstrafe träte oder die frühere Strafe bedingt aufgeschoben war, die Gesamtstrafe dagegen nicht mit dieser Massnahme verbunden würde.
Gerade solcher Fälle wegen tritt die Vorinstanz, wie es auch in der Literatur geschehen ist, für die Gesamtstrafe ein, wenn sie erklärt, es sei nicht Sinn von Art. 68 Ziff. 2, dass der Täter besser wegkomme, als wenn seine Handlungen alle gleichzeitig beurteilt worden wären. Diese Überlegung hält indessen nicht stand. Selbstverständlich will die Bestimmung den Täter nicht besserstellen und hat daher der Richter, der über die vor der früheren Verurteilung begangene, noch nicht beurteilte Tat abspricht, im Rahmen der ihm zukommenden Aufgabe dafür zu sorgen, dass der Täter nicht günstiger wegkomme, als wenn seine Handlungen alle gleichzeitig beurteilt worden wären (BGE 76 IV 75). Art. 68 Ziff. 2 bezweckt aber auch nicht, eine Besserstellung, die darauf zurückgeht, dass nicht alle Taten gleichzeitig beurteilt werden konnten, unter allen Umständen zu verhindern. Es wäre sonst nicht zu verstehen, weshalb die Bestimmung den Richter lediglich anweist, die Strafe so zu bestimmen, dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die mehreren strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären.
Es wäre leicht gewesen, zu sagen, er müsse auch eine mildere Bestrafung verhüten, oder einfach, er müsse die Strafe unter Aufhebung der früher ausgefällten so bestimmen, wie wenn alle Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären. Dass es dem Strafgesetzbuche ferne liegt, die frühere Strafe dahinfallen zu lassen, wenn es zur Verhütung einer Besserstellung des Täters nötig wäre, ergibt sich auch aus Art. 350 Ziff. 2 StGB. Diese Bestimmung lässt die nachträgliche Zusammenziehung mehrerer in Missachtung des Art. 68 StGB ausgefällter Freiheitsstrafen in eine Gesamtstrafe von einem Gesuche des Verurteilten abhängen. Wollte Art. 68 Ziff. 2 StGB eine Besserstellung des Verurteilten verhindern, so müsste Art. 350 Ziff. 2 stets von Amtes wegen angewendet werden.
Damit ist zugleich dargetan, dass es Art. 68 Ziff. 2 entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des bereits zitierten Autors (WAIBLINGER, ZStR. 57 97, 58 233) ferne liegt, den einheitlichen Strafvollzug ermöglichen zu wollen. Das Erfordernis eines Antrags des Verurteilten für die nachträgliche Ausfällung einer Gesamtstrafe wäre unverständlich, wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, es liege im öffentlichen Interesse, unter allen Umständen einen einheitlichen Strafvollzug zu erzielen. Ein solcher wäre übrigens selbst dann nicht gewährleistet, wenn der Richter nach Art. 68 Ziff. 2 eine Gesamtstrafe auszufällen hätte oder Art. 350 Ziff. 2 von Amtes wegen anzuwenden wäre; denn oft ist die früher verhängte Strafe schon ganz oder teilweise vollzogen, wenn der Richter diese Bestimmungen anzuwenden hat. Wenn die Gesamtstrafe vom Richter eines andern Kantons ausgefällt würde als die frühere Strafe, müsste ein schon begonnener Strafvollzug unterbrochen und im andern Kanton fortgesetzt werden. Die Einheitlichkeit des Strafvollzuges ist zudem ein Postulat, dem der Gesetzgeber auch sonst nicht durchwegs Beachtung geschenkt hat. Sonst hätte er die Ausfällung einer einheitlichen Strafe oder zum mindesten den einheitlichen Vollzug mehrerer Strafen auch für den Fall vorschreiben müssen, dass der Täter neue strafbare Handlungen begeht, bevor die früher verhängte Strafe vollzogen ist. Davon ist aber im Strafgesetzbuch nichts zu finden. Es bestimmt nicht einmal, dass im Interesse der Einheitlichkeit des Strafvollzuges mit dem Vollzug einer Strafe zuzuwarten sei, wenn, bevor er begonnen hat, neue (vor oder nach dieser Verurteilung begangene) strafbare Handlungen des Täters bekannt werden. Nicht einmal der Ziff. 1 des Art. 68 StGB liegt der Gedanke der Ermöglichung eines einheitlichen Strafvollzuges zugrunde; diese Bestimmung ist lediglich Regel über die Strafzumessung (s. Überschrift zum zweiten Abschnitt vor Art. 63 ff.); sie will die Häufung von Strafen verhüten, damit der Täter nicht unbillig hart getroffen werde. Den gleichen Zweck, und nur diesen, verfolgten lit. c und d des Art. 336 StGB für die Übergangszeit. Es liegt übrigens nahe, dass das Gesetz, gleich wie in Art. 336 lit. c geschehen, eine Regelung über die Tragung der Vollzugskosten getroffen hätte, wenn es durch Art. 68 Ziff. 2 einen einheitlichen Strafvollzug hätte ermöglichen wollen. Während nämlich bei gleichzeitiger Beurteilung mehrerer strafbarer Handlungen (Art. 68 Ziff. 1) die Gerichtsbarkeit dem Kanton zukommt, in dessen Gebiet die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist und dem daher auch der Vollzug am ehesten zugemutet werden kann (Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1), kann bei nicht gleichzeitiger Beurteilung (Art. 68 Ziff. 2) die später beurteilte Handlung mit milderer Strafe bedroht sein. Es kann nicht der Wille des Gesetzes sein, dass ein Kanton z.B. wegen einer nachträglich entdeckten geringfügigen Übertretung verpflichtet sei, unter Einbeziehung einer in einem andern Kanton verhängten schweren Zuchthausstrafe eine ebensolche Gesamtstrafe zu verhängen und zu vollziehen, ohne dass der andere Kanton an die Kosten des Vollzugs beitragen müsste. In Art. 336 lit. d ist die Kostenfrage freilich auch übergangen worden, obschon dort von Gesamtstrafe die Rede ist. Aber das ist ein weiteres Argument dafür, dass auch diese Bestimmung in Wirklichkeit eine Zusatzstrafe im Auge hat, wie in BGE 68 IV 7 ff. entschieden worden ist. Im Falle des Art. 350 Ziff. 2 sodann stellte sich die Kostenfrage nicht, weil hier die Gesamtstrafe vom Richter zu verhängen ist, der die schwerste Strafe ausgesprochen hat, sodass der Vollzug wie im Falle des Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 stets jenem Kanton zukommt, dem er am besten zugemutet werden kann.
Art. 68 Ziff. 2 will nur verhüten, dass der Täter schwerer bestraft werde, als wenn alle Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären. Dieser Zweck lässt sich durch eine Zusatzstrafe immer erreichen. Es ist nicht richtig, dass der Täter schon strenger bestraft sei, wenn er zwei statt nur eine Strafe zu verbüssen hat (vgl. WAIBLINGER, ZStrR 57 97, 58 232). Sollte die Unterbrechung des Strafvollzuges für den Verurteilten eine Erschwerung bedeuten, die unter dem Gesichtspunkt von Art. 68 Ziff. 2 überhaupt beachtlich wäre, so müsste dem eben durch entsprechend mildere Bemessung der Zusatzstrafe Rechnung getragen werden, wie bereits in BGE 69 IV 58 ausgeführt worden ist.
Die Entstehungsgeschichte bestätigt, dass der Richter im Falle von Art. 68 Ziff. 2 nicht eine Gesamtstrafe auszufällen hat. Zwar legt die Fassung der Vorentwürfe von 1893 (Art. 41) und 1894 (Art. 42) entgegen der Annahme des Kassationshofes in BGE 68 IV 11 nahe, dass damals an eine Gesamtstrafe gedacht wurde, zumal die Motive (S. 80) diesen Ausdruck verwenden. Auch ist im Vorentwurf von 1908 (Art. 56 Abs. 2) in Verbindung mit den Erläuterungen (S. 103 f.) noch keine Abkehr festzustellen. Schon in der zweiten Expertenkommission wurden dann aber Bedenken gegen die Aufhebung des früheren Urteils geäussert (Prot. 1392, 394), und sie führten dazu, dass die Kommission sich vorübergehend ausdrücklich auf den Boden der Zusatzstrafe stellte (Prot. 1451 Beschluss betreffend Art. 56bis). Später kam sie wieder auf die Gesamtstrafe zurück (Prot. 220 Art. 56bis Abs. 3, 2114), was denn auch deutlich in den Vorentwürfen vom August 1915 und Oktober 1916 (Art. 68 Ziff. 2) zum Ausdruck kommt. Die entscheidende Wendung trat aber mit dem Entwurf des Bundesrates von 1918, Art. 65 Ziff. 2, ein, der den unmissverständlich für eine Gesamtstrafe sprechenden Wortlaut des Vorentwurfes von 1916 über Bord warf und durch die Fassung ersetzte, die Gesetz geworden ist. Diese Abkehr kann nur heissen, dass der Gedanke einer Gesamtstrafe fallen gelassen werden wollte. Dass durch die Änderung hätte zum Ausdruck gebracht werden wollen, es liege im Ermessen des Richters, entweder eine Gesamtstrafe oder eine Zusatzstrafe auszufällen, ist nicht möglich; das wäre ausdrücklich und klar gesagt worden, nachdem der Frage in den vorausgegangenen Entwürfen und Beratungen alle Aufmerksamkeit geschenkt worden war.
Weshalb die Gesamtstrafe auf Widerstand stiess, erhellt aus den parlamentarischen Beratungen zu Art. 336 lit. d (Art. 353 lit. e des Entwurfes). Im Entwurf sah diese Bestimmung vor, dass der Richter "unter Aufhebung der Freiheitsstrafe des ersten Urteils" eine Gesamtstrafe ausfälle und dem Verurteilten die auf Grund des ersten Urteils erstandene Strafzeit anrechne. Der Nationalrat beschloss auf Antrag seiner Kommission, die Gesamtstrafe durch den Richter ausfällen zu lassen, der das frühere Urteil gefällt hat (Verhandlungen der Kommission des Nationalrates 7. Session S. 37 f.; StenBull NatR Sonderausgabe 567 f.). Auch in der Kommission des Ständerates wurden Bedenken dagegen geäussert, dass der später urteilende Richter die vom früheren ausgefällte Strafe solle aufheben können. Der Vorsitzende bemerkte dazu, die Worte "unter Aufhebung der Freiheitsstrafe des ersten Urteils" seien zu streichen, weil das erste Urteil nicht aufzuheben, sondern auf Grund des neuen zu ergänzen und zu erweitern sei. Ein anderes Mitglied der Kommission vertrat unwidersprochen die Auffassung, dass ein im ersten Urteil gewährter bedingter Strafaufschub nicht deshalb aufgehoben werden könne, weil nachträglich bekannt werde, dass der Verurteilte vor der Verurteilung noch eine andere strafbare Handlung begangen habe (Verhandlungen der Kommission des Ständerates 8. Session S. 45 f.). Auf Antrag der Kommission beschloss hierauf der Ständerat, die Worte "unter Aufhebung der Freiheitsstrafe des ersten Urteils" wegzulassen (StenBull StR Sonderausgabe 238 f.). Die Kommission des Nationalrates und der Nationalrat selbst schlossen sich diesem Beschlusse ohne Diskussion an (Verhandlungen der Kommission des Nationalrates 14. Session S. 45; StenBull NatR Sonderausgabe 714). Die Weisung an den später urteilenden Richter, eine "Gesamtstrafe" auszufällen und dem Verurteilten die auf Grund des ersten Urteils verbüsste Strafzeit anzurechnen, blieb zwar in Art. 336 lit. d bestehen, aber dass die gesetzgebenden Behörden das frühere Urteil nicht aufheben lassen wollten, steht ausser Frage. Dass die Ausfällung einer Gesamtstrafe gar nicht denkbar ist, ohne die frühere Verurteilung zum mindesten formell aufzuheben, ja in gewissen Fällen (Übergang zu einer anderen Strafart, Aufhebung des bedingten Strafaufschubes) sogar tiefgreifende materielle Änderungen herbeizuführen, haben sie nicht bedacht. In BGE 68 IV 7 ff. hat der Kassationshof ihrem wirklichen Willen, das frühere Urteil unangetastet zu lassen, Rechnung getragen und Art. 336 lit. d, der übrigens auch in anderer Beziehung offensichtlich unglücklich redigiert ist, dahin ausgelegt, der zweite Richter habe eine Zusatzstrafe auszufällen. Es besteht umsoweniger Anlass, der Bestimmung heute einen anderen Sinn zu entnehmen, als sie nur für die Übergangszeit praktische Bedeutung hatte. Vollends kann keine Rede davon sein, den Widerspruch zwischen ihrem Wortlaut und ihrem wahren Sinne auszunützen, um Art. 68 Ziff. 2 eine Bedeutung zu geben, die nicht gewollt war.
Dass man sich im Falle des Art. 350 Ziff. 2 mit der Abänderung eines Urteils durch einen anderen Richter abgefunden hat, ändert nichts. Hier, wie übrigens auch im Falle von Art. 336 lit. c, ist der Eingriff zugunsten des Verurteilten um der Gerechtigkeit willen unumgänglich und denn auch deutlich vorgeschrieben. Im Falle von Art. 68 Ziff. 2 könnte die Korrektur durch eine Gesamtstrafe sich dagegen nur zuungunsten des Verurteilten auswirken, so beim Übergang zu einer schwereren Strafart oder bei Aufhebung eines im ersten Urteil gewährten bedingten Strafvollzuges; denn dass die Gesamtstrafe milder bemessen werden dürfte als die im ersten Urteil ausgefällte Strafe, ist, weil dem Zweck der Bestimmung widersprechend, zum vornherein ausgeschlossen. Korrekturen zuungunsten des Verurteilten aber lassen sich ebensogut auf dem Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen. Das Bundesrecht verlangt sie nicht (vgl. Art. 397 StGB), aber die Kantone können sie in ihrem Prozessrecht vorsehen. Wenn der Kanton Bern z.B. für den hier vorliegenden Fall der nachträglichen Entdeckung strafbarer Handlungen, die den bedingten Strafaufschub ausgeschlossen hätten, wenn sie dem ersten Richter bekannt gewesen wären, keine Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens bietet, ist das kein Grund, die Revision im Ergebnis auf dem Wege der Ausfällung einer Gesamtstrafe doch durchzuführen. Der Grundsatz, dass die Regelung des Verfahrens den Kantonen obliegt (Art. 365 Abs. 1 StGB, Art. 247 BStP), spricht dafür, dass das Bundesrecht solche Art der Revision, die zudem von den Behörden eines Kantons gegen den Willen der Behörden des Urteilskantons vorgenommen werden könnte, mangels einer dahingehenden deutlichen Bestimmung nicht gebieten oder auch nur gestatten wollte. Dieser Auffassung widerspricht nicht, dass der Kassationshof entschieden hat, die anlässlich der Ausfällung der Zusatzstrafe verhängte Verwahrung trete auch an Stelle der Grundstrafe (BGE 75 IV 97). Hätte nämlich der Verurteilte ausser der Grundstrafe eine nur an Stelle der Zusatzstrafe tretende Verwahrung zu verbüssen, so wäre er schwerer bestraft, als wenn seine strafbaren Handlungen alle gleichzeitig beurteilt worden wären. Das verbietet Art. 68 Ziff. 2 StGB. Diese Bestimmung selbst verlangt also in diesem Falle, dass das Urteil über die Grundstrafe abgeändert werde.
Zu einer anderen Auslegung von Art. 68 Ziff. 2 StGB gibt auch Art. 49 Ziff. 2 MStG nicht Anlass. Freilich fällt auf, dass dem mit Art. 68 Ziff. 2 StGB übereinstimmenden ersten Absatz dieser Bestimmung ein zweiter Absatz folgt, der lautet: "Ist das frühere Urteil von einem bürgerlichen Gericht ausgefällt, so erkennt der Richter auf eine Zusatzstrafe". Zu sagen, dieser Satz würde jeden vernünftigen Sinnes entbehren, wenn der Richter schon nach Abs. 1 immer auf eine Zusatzstrafe erkennen müsste (WAIBLINGER, ZStrR 58 231), geht jedoch zu weit. Ohne Abs. 2 liesse sich die Auffassung vertreten, dass der Militärrichter das vom bürgerlichen Gericht ausgefällte Urteil überhaupt nicht zu beachten habe. Auch ist denkbar, dass "Zusatzstrafe" hier bedeute, der Militärrichter habe eine ganz bestimmte, nämlich eine bürgerliche Zusatzstrafe auszufällen (KURT, ZStrR 57 215). Jedenfalls setzt Abs. 2 voraus, dass der Begriff der Zusatzstrafe bekannt sei. Umschrieben ist er aber nirgends, wenn nicht eben im vorausgehenden Abs. 1. Das Militärkassationsgericht legt denn auch Abs. 1 dahin aus, dass der Richter nicht eine Gesamtstrafe, sondern eine Zusatzstrafe auszufällen habe (MKGE 5 Nr. 42).
Man kann auch nicht sagen, eine Zusatzstrafe verletze das Gesetz, weil sie oft unter dem gesetzlich angedrohten Mindestmass der Strafart bleiben muss, damit sie zusammen mit der Grundstrafe nicht zu schwer sei, so z.B. wenn wenige Wochen Zuchthaus als Zusatz zu einer einjährigen Zuchthausstrafe ausgefällt werden. Da Art. 68 Ziff. 2 StGB verlangt, dass der Täter nicht schwerer bestraft werde, als wenn alle Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären, ist klar, dass der Richter, der die Zusatzstrafe ausfällt, das Gesetz nicht verletzt, wenn diese Strafe für sich allein unter dem gesetzlichen Mindestmass der Strafart bleibt; es genügt, dass sie es zusammen mit der Grundstrafe erreicht.
Gegen die Gesamtstrafe spricht auch die Überlegung, dass der zweite Richter, wenn er nicht nur Handlungen zu beurteilen hat, die vor, sondern auch solche, die nach der ersten Verurteilung verübt worden sind, höchstens das anderthalbfache Mass der angedrohten schwersten Strafe ausfällen dürfte, wodurch die Handlungen, die Gegenstand des ersten Urteils bilden, mitabgegolten wären. Der Täter könnte also Nutzen daraus ziehen, dass anlässlich der ersten Verurteilung noch nicht alle Handlungen, die damals schon begangen waren, gesühnt wurden; die nach der ersten Verurteilung verübten Handlungen würden unter Umständen überhaupt keine Strafe nach sich ziehen, obschon gerade sie die Besserungsbedürftigkeit des Täters besonders dartun. Unter dem System der Zusatzstrafe hindert dagegen nichts den Richter, eine Strafe auszufällen, die den nach der ersten Verurteilung verübten Taten in gerechter Weise Rechnung trägt (vgl. BGE 69 IV 54, BGE 75 IV 160).
In prozessualer Hinsicht ergäbe die Ausfällung einer Gesamtstrafe insofern Schwierigkeiten, als zur Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der früher beurteilten Handlungen nicht der Richter zuständig wäre, der die Strafe ausgefällt hat. Der Revisionsrichter müsste also entweder eine Strafe abändern, die von einer anderen Behörde, ja sogar in einem anderen Kanton ausgefällt worden ist, oder er müsste nach Feststellung der Revisionsbedürftigkeit des Gesamturteils die Sache an den Richter weisen, der die Gesamtstrafe verhängt hat. Demgegenüber hat das System der Zusatzstrafe den Vorteil der Einfachheit, indem die Behörden jeden Kantons zuständig sind, jenes Verfahren wiederaufzunehmen und bis zum Revisionsurteil weiterzuführen, das sie selbst durchgeführt haben, betreffe es eine Grundstrafe oder eine Zusatzstrafe.
Es besteht daher kein Grund, von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts abzuweichen, wonach Art. 68 Ziff. 2 StGB eine Zusatzstrafe verlangt. Der Richter hat auch nicht die Wahl, statt einer solchen eine Gesamtstrafe auszufällen. Ganz abgesehen davon, dass der Zweck der Bestimmung sich mit der Zusatzstrafe immer erreichen lässt, schliessen die Gründe, die gegen die Gesamtstrafe sprechen, auch deren bloss wahlweise Zulässigkeit aus.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 1. Juli 1954 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.