BGE 81 IV 39
 
7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. März 1955 i.S. Rudin gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
 
Regeste
Art. 307, 308 Abs. 2 StGB. Anstiftung zu falschem Zeugnis.
 
Sachverhalt
A.- Der in einer Metzgerei angestellte Rudin verkaufte am 22. März 1953, ohne im Besitz des erforderlichen Viehhandelspatentes zu sein, für Rechnung des Viehhändlers Vogelsang dem Landwirt Keller zwei Kühe und kaufte von ihm eine Kuh und ein Kalb. In der gegen ihn wegen unbefugter Ausübung des Viehhandels durchgeführten Strafuntersuchung bestimmte er den Landwirt Keller, bei der Einvernahme durch die Strafuntersuchungsbehörde als Zeuge die falsche Aussage zu machen, er habe den erwähnten Handel nicht mit Rudin, sondern direkt mit Vogelsang besprochen und abgeschlossen.
B.- Das Kriminalgericht des Kantons Aargau sprach deswegen mit Urteil vom 13. April 1954 Rudin der Anstiftung zu falschem Zeugnis schuldig und bestrafte ihn unter Berücksichtigung einer Strafschärfung wegen Rückfalls mit 7 Monaten Gefängnis.
C.- Die von Rudin gegen dieses Urteil wegen Nichtanwendung von Art. 308 Abs. 2 StGB erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
 
Aus den Erwägungen:
1. Nach Art. 308 Abs. 2 StGB kann der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern, wenn ein Zeuge in einem gerichtlichen Verfahren deshalb eine falsche Aussage gemacht hat, weil er durch die wahrheitsgemässe Aussage sich oder seine Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt hätte. Diese Bestimmung gilt nach der Rechtsprechung nur für den Täter, also den Zeugen selbst; ihre entsprechende Anwendung auf den Anstifter, der als Angeklagter im Strafverfahren durch die wahre Aussage des Zeugen belastet würde, ist dagegen abgelehnt worden (vgl.BGE 73 IV 245).
a) Der Beschwerdeführer ficht diese Rechtsprechung an. Er anerkennt zwar, dass eine Bestrafung des Angeklagten, der einen Zeugen anstiftet, zu seinen Gunsten falsch auszusagen, am Platze ist, weil er durch seine Anstiftung einen Dritten zum Verbrecher macht, was bei der straflosen falschen Parteiaussage durch ihn selber nicht der Fall ist. Dagegen bezeichnet er es als stossend, dass einem solchen Anstifter, der sich doch vom gleichen Selbstschutzbestreben leiten lasse wie der lügende Angeklagte, nicht einmal die Strafmilderung zugebilligt werde, die das Gesetz dem ebenfalls aus Gründen des Selbstschutzes falsch aussagenden Zeugen gewähre.
Allein der Beschwerdeführer lässt völlig ausser acht, dass sich der Anstifter zu falschem Zeugnis nicht in der gleichen Zwangslage befindet wie der Zeuge, der ohne sein Dazutun in eine Strafuntersuchung hineingezogen wird und sich darum vor die Wahl gestellt sieht, gegen sich selber bzw. gegen seine Angehörigen auszusagen oder falsches Zeugnis abzulegen. Diesen Entschuldigungsgrund des sog. Ehrennotstandes kann der Angeschuldigte, der einen Zeugen zu falscher Aussage anstiftet, nicht für sich in Anspruch nehmen. Er handelt, prozessual gesehen, spontan.
b) Der Beschwerdeführer vertritt weiter die Auffassung, die durchBGE 73 IV 245begründete Rechtsprechung stehe im Widerspruch zu dem (später ergangenen) UrteilBGE 73 IV 241Erw. 2, wonach beim Delikt der Begünstigung nicht nur der Begünstiger selber, der zum Begünstigten in nahen Beziehungen steht, sondern auch der Anstifter, der jemand zu seiner eigenen Begünstigung anstiftet, auf Grund von Art. 305 Abs. 2 StGB straffrei gelassen werden könne. Nach der Rechtsprechung sei also dem Anstifter, der den Begünstiger dazu anstifte ihn zu begünstigen, die entschuldbare Versuchung, die sein Verschulden geringer erscheinen lasse, zu Gute zu halten, obwohl auch in diesem Falle ein Dritter in die Angelegenheit hineingezogen werde. Dann sei es aber auch geboten, den der gleichen Versuchung erliegenden Anstifter zu falschem Zeugnis milder zu bestrafen.
Die Anstiftung zu falschem Zeugnis kann aber der Anstiftung zu Begünstigung schon deshalb nicht gleichgesetzt werden, weil falsches Zeugnis im Gegensatz zur Begünstigung nicht ein Vergehen, sondern ein Verbrechen darstellt (Art. 9 StGB). Anstiftung zu einem Verbrechen ist unabhängig davon strafbar, ob es in der Folge zur (versuchten oder vollendeten) Haupttat des Angestifteten gekommen ist. Sie ist also - im Gegensatz zur Anstiftung zu einem Vergehen oder einer Übertretung - dem Prinzip der Akzessorietät nicht unterworfen (vgl. HAFTER, Allg. Teil S. 227 ff.). Das Gesetz bringt dies auch dadurch zum Ausdruck, dass es in Art. 24 Abs. 2 strafbar erklärt, wer jemand zu einem Verbrechen zu bestimmen versucht. Entfällt aber bei der Anstiftung zu einem Verbrechen die Akzessorietät und ist sie selbständig strafbar, so darf daraus, dass das Gesetz in Art. 308 Abs. 2 für den Angeklagten als Anstifter im Gegensatz zum Zeugen eine Strafmilderung nicht vorsieht, auch gefolgert werden, dass die Strafmilderung für ihn nicht gelten solle.
Zudem ist zu beachten, dass nur die Anstiftung zur Begünstigung allein straflos gelassen werden kann, nicht dagegen auch die Anstiftung zu weiteren Straftaten als Mittel der Begünstigung. Wer einen Dritten zur Begehung von Sachbeschädigung, Körperverletzung, Widerstand gegen Beamte oder dergleichen anstiftet, um die Entdeckung oder Verhaftung des Anstifters zu verhindern, kann sich somit nicht auf Art. 305 Abs. 2 StGB berufen. Dann ist aber auch nicht ersichtlich, wieso die Anstiftung zu falschem Zeugnis als Mittel der Begünstigung des Anstifters Strafmilderung nach Art. 308 Abs. 2 StGB recht fertigen sollte.
c) Selbst wenn man übrigens grundsätzlich die Anwendbarkeit von Art. 308 Abs. 2 StGB auf den Anstifter zu falschem Zeugnis bejahen wollte, wäre der Beschwerde der Erfolg versagt, weil die Vorschrift, wie ihr Wortlaut zeigt, den Richter nicht zwingt, sondern ihn bloss ermächtigt, die Strafe nach freiem Ermessen zu mildern. In der Nichtgewährung der Strafmilderung läge also noch keine Verletzung von Bundesrecht.