57. Entscheid der Anklagekammer vom 16. September 1955 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Juge d'instruction du canton de Vaud.
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Regeste
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Art. 346 Abs. 1 StGB.
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Sachverhalt
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A.- Den in Montet bei Cudrefin (Waadt) wohnenden Eheleuten Karl und Emma Wenger-Kramer wurden die unter ihrer elterlichen Gewalt stehenden Kinder Verena und Fritz gemäss Art. 284 ZGB weggenommen. Verena Wenger ist in einem Mädchenheim in Basel, Fritz Wenger in einem Erziehungsheim in Aarwangen untergebracht. Für die Kostgelder und die übrigen Unterhaltkosten kommt die Direktion des Fürsorgewesens des Kantons Bern auf. Da Karl Wenger ihr diese Auslagen in den Monaten August und September 1954 trotz Aufforderung und Zahlungsbefehl nicht ersetzte, reichte sie am 18. Oktober 1954 gegen ihn beim Untersuchungsrichter von Bern Strafanzeige ein mit dem Vorwurf, er habe im Sinne des Art. 217 StGB seine Unterhaltspflicht vernachlässigt.
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B.- Der Generalprokurator des Kantons Bern und der Untersuchungsrichter des Kantons Waadt streiten um den Gerichtsstand.
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Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt der Anklagekammer des Bundesgerichts mit Eingabe vom 16. August 1955, die Behörden des Kantons Waadt seien zuständig zu erklären, weil der Wohnsitz der unterhaltsberechtigten Kinder sich in diesem Kanton befinde.
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Der Untersuchungsrichter des Kantons Waadt hält die bernischen Behörden für zuständig, weil Wenger sich verpflichtet habe, an die Fürsorgedirektion des Kantons Bern zu bezahlen, Bern also Erfüllungsort sei.
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Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
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Nach der Rechtsprechung der Anklagekammer ist die Vernachlässigung von Unterhaltspflichten am Orte zu verfolgen, wo der Pflichtige sie zu erfüllen hat (BGE 69 IV 126).
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Ist die Pflicht zum Unterhalt eines Kindes durch Leistung von Geld zu erfüllen, weil es den Eltern durch die Vormundschaftsbehörde wegen Gefährdung seines leiblichen oder geistigen Wohles oder wegen Verwahrlosung weggenommen wurde (Art. 284 Abs. 1 ZGB), so befindet sich der Erfüllungsort nicht am Wohnsitz des Kindes, der, wenn die elterliche Gewalt fortbesteht, sich mit dem Wohnsitz des Vaters und der Mutter deckt (Art. 25 Abs. 1 ZGB). Er liegt auch nicht am Orte, wo das Kind untergebracht ist, und zwar auch dann nicht, wenn die Behörde die Eltern angewiesen hat, das Unterhaltsgeld unmittelbar an die Person oder Anstalt zu leisten, die das Kind beherbergt und pflegt. Denn auch in diesem Falle schuldet der Unterhaltspflichtige nicht dieser Person oder Anstalt, hat doch nicht er, sondern die Behörde sie mit der Beherbergung und Pflege des Kindes beauftragt. Er schuldet vielmehr dem Gemeinwesen, das in den Anspruch des Kindes gegenüber den leistungsfähigen Eltern von Gesetzes wegen eintritt, ohne dass dadurch der subrogierte Anspruch seine Natur als familienrechtliche Unterhaltsforderung verlöre (BGE 78 IV 44, 216). Erfüllungsort ist der Sitz dieses Gemeinwesens, da Geldschulden, wenn nichts anderes bestimmt ist, an dem Orte zu zahlen sind, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat (Art. 74 Abs. 2 Ziff. 1 OR, Art. 7 ZGB).
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Hier befindet sich also der Gerichtsstand zur Verfolgung des nachlässigen Unterhaltspflichtigen. Es besteht kein Grund, ihn in Abweichung von der erwähnten Rechtsprechung in solchen Fällen nicht mit dem Erfüllungsort zusammenfallen zu lassen. Wenn das Gemeinwesen in den Anspruch des Unterhaltsberechtigten eingetreten ist, entfällt zwar die in BGE 69 IV 131 mit verwendete Überlegung, dieser habe als der wirtschaftlich und auch sonst schwächere Teil Rücksichtnahme nötig. Allein die übrigen Gründe, die für den Gerichtsstand des Erfüllungsortes in die Waagschale geworfen worden sind, haben auch hier Gewicht. Häufiger Wechsel der Wohnung oder Abwesenheit des Unterhaltspflichtigen an unbekanntem Orte könnten auch hier einer wirksamen Strafverfolgung im Wege stehen, wenn sie an seinem Wohnorte stattfinden müsste. Ist auch das Gemeinwesen eher als der Unterhaltsberechtigte in der Lage, nach dem Aufenthalt des Pflichtigen zu forschen, so bleibt es doch dabei, dass den Strafverfolgungsbehörden solche Erhebungen in der Regel noch leichter möglich sind, als den Armenbehörden, die die Kinder versorgt haben. Zudem ist die Rechtsanwendung einfacher und übersichtlicher, wenn auch im Falle der Subrogation des Unterhaltsanspruches der Erfüllungsort den Gerichtsstand bestimmt.
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Wenger ist daher weder im Kanton Waadt, wo er wohnt, noch etwa in Basel, wo eines seiner Kinder versorgt ist, sondern im Kanton Bern zu verfolgen und zu beurteilen, da dieser in den Unterhaltsanspruch eingetreten ist.
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Demnach erkennt die Anklagekammer:
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Die Behörden des Kantons Bern werden berechtigt und verpflichtet erklärt, Karl Wenger zu verfolgen und zu beurteilen.
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