BGE 81 IV 293
 
63. Urteil des Kassationshofes vom 22. Dezember 1955 i. S. Liliencron gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich.
 
Regeste
Art. 27 Abs. 1 MFG, Art. 20 StGB.
Zureichender Grund zur gegenteiligen Annahme? (Erw. 3).
 
Sachverhalt
A.- Am 18. August 1954 ca. um 12.40 Uhr fuhr Liliencron durch die Stockerstrasse in Zürich auf die Kreuzung Stockerstrasse /Gotthardstrasse zu. Von rechts, von der Gotthardstrasse her, fuhr der Franzose Henry mit seinem Personenwagen auf die gleiche Kreuzung zu. Zwischen den beiden Automobilen kam es zur Kollision. Die Trottoirs der Stockerstrasse werden ohne Unterbruch über die Fahrbahn der Gotthardstrasse geführt.
B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich verurteilte am 20. September 1955 Liliencron wegen Missachtung des Art. 27 Abs. 1 MFG zu einer Busse von Fr. 20.-. Er führte aus, dass die ohne Unterbruch über die Fahrbahn der Gotthardstrasse geführten Trottoirs das Vortrittsrecht nicht aufheben. Das Vortrittsrecht gelte auch gegenüber einer verkehrsärmeren Strasse.
C.- Gegen dieses Urteil reichte Liliencron Nichtigkeitsbeschwerde ein, mit dem Antrag, es sei aufzuheben und der Straffall zur Freisprechung zurückzuweisen. Er macht geltend, der Sinn eines durchgezogenen Trottoirs sei der, dass dadurch der Charakter einer Einmündung oder Kreuzung und damit auch das Vortrittsrecht aufgehoben werden. Der von rechts kommende Henry hätte höchstens im Schrittempo das Trottoir überqueren dürfen. Dies habe er jedoch nicht getan. Es sei bedauerlich, dass kein Stoppsignal angebracht worden sei. Die durchgeführten Trottoirs seien jedoch Signal genug. Zum mindesten müsse angenommen werden, der Beschwerdeführer habe sich in einem Rechtsirrtum befunden.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Nach den bei den Akten befindlichen Fotografien stellt die Unfallstelle eine Kreuzung dar. Die Stockerstrasse ist breiter ausgebaut als die Gotthardstrasse, und die Trottoirs der Stockerstrasse sind durchgehend. Ein Fahrer, der von der Gotthardstrasse herkommt, muss zuerst über eine Rampe auf das Trottoir der Stockerstrasse hinauf- und über eine zweite Rampe wieder herunterfahren. Diese durchgehende Trottoirführung hat jedoch nicht die Bedeutung, dass das Vortrittsrecht der Gotthardstrasse aufgehoben wird. Eine Aufhebung des Vortrittsrechts innerorts könnte nur durch die Signalisierung einer Stoppstrasse erreicht werden. Durch eine bestimmte bauliche Anordnung der Strassen und Trottoirs kann eine Gemeinde nicht den von bundesrechtswegen bestehenden Rechtsvortritt aufheben oder beschränken.
Art. 27 Abs. 1 MFG verpflichtet den Führer, bei Strassenkreuzungen seine Geschwindigkeit zu mässigen und einem gleichzeitig von rechts kommenden Motorfahrzeug den Vortritt zu lassen. Durch seine Fahrweise hat der Beschwerdeführer diese Bestimmung verletzt. Bei der von ihm selbst angegebenen Geschwindigkeit von 45 bis 50 km /h war es ihm nicht mehr möglich, rechtzeitig anzuhalten und dem gleichzeitig von rechts kommenden Henry den Vortritt zu lassen.
3. Auch die Berufung des Beschwerdeführers auf Rechtsirrtum geht fehl. Als Automobilist musste er wissen, dass innerorts der Rechtsvortritt nur durch eine offizielle Signalisierung einer Stoppstrasse aufgehoben werden kann. Wie die Vorinstanz zudem verbindlich feststellt, konnte der Beschwerdeführer wegen parkierter Fahrzeuge nicht sehen, dass das Trottoir der Stockerstrasse ohne Unterbruch über die Fahrbahn der Gotthardstrasse geführt wird. Ob ihm die örtlichen Verhältnisse von früher her bekannt waren, wie er behauptet, hat die Vorinstanz nicht festgestellt. Aber selbst wenn er die Kreuzung von früher her kannte, so hätte ihn dies veranlassen sollen, besonders aufmerksam auf diese zuzufahren, um einem allenfalls von rechts kommenden Fahrzeug den Vortritt lassen zu können. Der Beschwerdeführer hatte keine zureichenden Gründe für die Annahme, dass ein von rechts von der Gotthardstrasse herkommendes Fahrzeug nicht vortrittsberechtigt sei.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.