BGE 82 IV 41 |
10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Februar 1956 i. S. Spillmann gegen Generalprokurator des Kantons Bern. |
Regeste |
1. Art. 1 und 14 Abs. 1 lit. a HR G, Art. 18 VHRG. |
2. Art. 13-15 HRG. |
a) Diese Bestimmungen gehören dem Verwaltungsstrafrecht an (Erw. 3 lit. a). |
b) Die Straffähigkeit der juristischen Person schliesst die strafrechtliche Verfolgung ihrer fehlbaren Organe nicht aus (Erw. 3 lit. b). |
3. Art. 1 VHRG. Pflicht der Firma, für die Taxkarte ihrer Reisenden zu sorgen (Erw. 2). |
Sachverhalt |
A.- Am 19. Februar 1954 schloss Fritz Grossglauser mit der Mobilia A.-G., Olten, deren leitender Direktor Jakob Spillmann ist, einen Agenturvertrag ab. Darin verpflichtete er sich, dauernd für die genannte Firma Möbel und Möbeleinrichtungen an Kunden zu vermitteln, Vertragsabschlüsse vorzubereiten und Interessenten der Geschäftsleitung zum Abschluss von Verträgen zuzuführen. Die allgemeinen Kosten seiner Reisetätigkeit, insbesondere auch die Taxe für die rote Handelsreisendenkarte hatte er zu übernehmen. Diesen Vertrag unterschrieb für die Mobilia A.-G. Peter Spillmann als Vizedirektor der Firma. Daraufhin nahm Grossglauser, der selbst nicht im Handelsregister eingetragen war, ohne Ausweiskarte die Reisetätigkeit für seine Firma im Gebiete des Kantons Bern auf, indem er sog. Vorzahlungs- und Kaufverträge vermittelte und in einem Fall selbst einen Kaufvertrag abschloss.
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B.- Am 22. November 1954 büsste der Gerichtspräsident von Konolfingen im Strafmandatsverfahren Jakob Spillmann und Fritz Grossglauser wegen Übertretung von Art. 14 Abs. 1 lit. a HRG mit Fr. 400.-- bzw. Fr. 80.-. Dagegen erhob ersterer Einspruch, worauf die Busse auf Fr. 300.-- herabgesetzt wurde.
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Die II. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern bestätigte am 3. Juni 1955 das Urteil des Gerichtspräsidenten, welches Spillmann auf dem Wege der Appellation angefochten hatte.
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C.- Jakob Spillmann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil sei aufzuheben und zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: |
1. Nach Art. 1 HRG ist Handelsreisender im Sinne dieses Gesetzes und bedarf einer Ausweiskarte, wer als Inhaber, Angestellter oder Vertreter eines Fabrikations- oder Handelsgeschäftes Bestellungen auf Waren aufsucht. Diese Ausweiskarte ist gemäss Art. 3 Abs. 1 die taxfreie Grossreisendenkarte für Handelsreisende, die ausschliesslich mit Wiederverkäufern oder mit solchen Unternehmungen in Verkehr treten, welche die Waren im eigenen Betrieb verwenden, für alle andern Handelsreisenden muss nach Art. 3 Abs. 2 die Kleinreisenden- oder Taxkarte gelöst werden. Wer ohne Taxkarte Bestellungen bei andern als den in Art. 3 Abs. 1 erwähnten Kunden aufsucht oder aufsuchen lässt, wird nach Art. 14 Abs. 1 lit. a mit Busse bis zu Fr. 1000.-- bestraft.
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Nach der tatsächlichen Feststellung des Gerichtspräsidenten von Konolfingen, dessen Ausführungen die Vorinstanz folgt, suchte Grossglauser in der Zeit vom 19. Februar bis 14. November 1954, ohne im Besitze einer roten Taxkarte zu sein, ausserhalb des Geschäftssitzes der Mobilia A.-G. im Gebiete des Kantons Bern verschiedene Bestellungen bei andern als in Art. 3 Abs. 1 HRG erwähnten Kunden auf, indem er selbst einen Kaufvertrag für die genannte Firma abschloss und ihr im übrigen sog. Vorzahlungsverträge vermittelte. Daran ist der Kassationshof gebunden (Art. 277 bis Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b BStP). Dass Grossglauser durch den Abschluss eines Kaufvertrages eine Bestellung auf Waren aufgesucht hat, steht ausser Frage. Dem Zweck des Gesetzes entsprechend umfasst aber der Begriff des Aufsuchens von Bestellungen nicht bloss die eigentliche Bestellungsaufnahme, sondern auch jede Vorarbeit dazu (Art. 18 VHRG;BGE 70 IV 42E. 2 Abs. 2 und 3). In den sog. Vorzahlungsverträgen, welche die Mobilia A.-G. mit ihren Kunden abzuschliessen pflegt, verpflichten sich diese, innert 10 Jahren für eine bestimmte Summe Möbel zu kaufen. Ihrem Wesen nach sind somit diese Rechtsgeschäfte darauf angelegt, die Verwirklichung eigentlicher Bestellungen in bindender Weise vorzubereiten. Wer daher den Abschluss solcher Vorzahlungsverträge vermittelt, leistet Vorarbeit zur späteren Bestellungsaufnahme. Da Grossglauser in dieser Weise tätig gewesen ist, hat er im Sinne von Art. 1 HRG Bestellungen auf Waren aufgesucht.
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Hiezu hätte er der in Art. 1 HRG vorgeschriebenen Ausweiskarte bedurft. Mit Recht bestreitet der Beschwerdeführer nicht mehr, dass für die Frage, ob der Besitz einer Taxkarte erforderlich sei, nichts darauf ankommt, ob der Ausweispflichtige Agent oder (unselbständiger) Vertreter ist. Das Anwendungsgebiet des HRG ist ein weiteres als dasjenige des Bundesgesetzes über das Anstellungsverhältnis der Handelsreisenden vom 13. Juni 1941. Es schliesst auch den selbständigen Agenten ein. Diese Auslegung ergibt sich aus den Grundgedanken des Gesetzes. Das HRG will unter anderem den ortsansässigen Handel, welcher der Besteuerung in seinem Absatzgebiet unterliegt, gegen die Konkurrenz der dieser Besteuerung nicht unterliegenden auswärtigen Firmen schützen (BGE 66 I 134, BGE 70 IV 43). In die Interessensphäre des lokalen Handels greift aber der Kleinreisende einer auswärtigen Unternehmung nicht nur ein, wenn er als Handelsreisender im Sinne des HRAG auftritt, sondern auch wenn er als selbständiger Agent handelt.
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2. Nach Art. 1 VVO zum HRG haben im schweizerischen Handelsregister emgetragene Firmen, die für ihre Vertreter eine Ausweiskarte für Handelsreisende wünschen, ein schriftliches Gesuch an die kantonale Abgabestelle des Amtskreises zu richten, wo die Firma ihren Sitz hat. Daraus geht hervor, dass grundsätzlich die Firma für die Taxkarte zu sorgen hat. Dieser gesetzlichen Pflicht kann sie sich nicht dadurch entschlagen, dass sie die Kosten hiefür dem Vertreter oder Agenten aufbürdet oder diesen vertraglich zur selbständigen Beschaffung des Ausweises verpflichtet. Anders könnte es nur sein, wenn ein Agent selber im Handelsregister eingetragen ist und reine Agententätigkeit ausübt. Dies war jedoch bei Grossglauser nicht der Fall, sodass seine Ausweiskarte einzig durch die Mobilia A.-G. erlangt werden konnte. Da sie ihn vertraglich mit dem Aufsuchen von Bestellungen bei Kunden beauftragte, hatte sie dafür zu sorgen, dass er mit der durch das Gesetz vorgeschriebenen Taxkarte reiste. Dies hat sie nach verbindlicher Feststellung des angefochtenen Entscheides nicht getan. Darin liegt ein Verstoss gegen die Vorschriften des HRG.
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a) Wie gesagt, will das HRG unter anderem den ortsansässigen Handel gegen die Konkurrenz auswärtiger Firmen schützen (BGE 66 I 134;BGE 70 IV 43). Daneben zielt es wie das Bundesgesetz betr. die Patenttaxen der Handelsreisenden vom 24.7.1892, an dessen Stelle es getreten ist, auf einen Ausgleich zwischen den kantonalen Finanzbedürfnissen und den Interessen der reisenden Kaufleute ab (Art. 12 Abs. 2 HRG; Botschaft des Bundesrates vom 11.1. 1929 in BBl. 1929 I, S. 55). Ausser diesen gewerbepolitischen und fiskalischen Momenten finden sich im HRG auch solche gewerbepolizeilicher Natur, indem das Publikum vor Missbräuchen im Reiseverkehr geschützt werden soll (BGE 66 I 134; RUCK, Verwaltungsrecht II, S. 150 f.). Daraus erhellt, dass das HRG inhaltlich unverkennbar verwaltungsrechtlichen Charakter hat und die in den Artikeln 13 - 15 niedergelegten Strafbestimmungen dem Verwaltungsstrafrecht angehören (vgl. für das Patenttaxengesetz: KRONAUER, Kompendium des Bundesstrafrechts, S. 267 (unter dem Titel Bundespolizeigesetze); RENOLD, Das schweizerische Bundesverwaltungsstrafrecht, S. 158).
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b) In BGE 64 I 53 hat die I. Zivilabteilung des Bundesgerichtes entschieden, dass Aktiengesellschaften und Genossenschaften auf dem Gebiete des Verwaltungsstrafrechtes straffähig sind. Wenn deshalb Art. 14 Abs. 1 lit. a HRG denjenigen mit Strafe bedroht, der ohne Taxkarte bei andern als in Art. 3 Abs. 1 erwähnten Kunden Bestellungen aufsuchen lässt, so könnte darunter an sich eine Aktiengesellschaft verstanden sein. Indessen schliesst weder der Wortlaut noch der Sinn der Bestimmung aus, dass anstelle der juristischen Person deren fehlbare Organe bestraft werden. Es kann zwar nicht wohl angenommen werden, das Gesetz wolle bald die juristische Person als solche, bald deren Organe persönlich für Übertretungen des Art. 14 Abs. 1 lit. a HRG strafbar erklären. Vielmehr ist davon auszugehen, dass grundsätzlich immer die verantwortlichen Organe belangt werden können. Eine solche Ordnung liegt umso näher, als die juristische Person ganz allgemein nur durch ihre Organe handeln kann und im vorliegenden Fall Art. 16 HRG in Verbindung mit Art. 398 lit. a und Art. 334 StGB die allgemeinen Bestimmungen des auf dem Boden des Schuldprinzips stehenden StGB für anwendbar erklärt. Dazu kommt, dass die Einhaltung der Vorschriften des HRG im öffentlichen Interesse liegt, was die stärker wirkende Sanktion der Bestrafung physischer Personen in zusätzlichem Masse rechtfertigt (vgl. BGE 64 I 54). Es war daher zulässig, anstelle der Mobilia A.-G. deren verantwortliches und fehlbares Organ ins Recht zu fassen.
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