BGE 82 IV 103 |
22. Urteil des Kassationshofes vom 13. Juli 1956 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. |
Regeste |
Art. 192 Ziff. 2, Art. 213 Abs. 2 und 4 StGB. |
Sachverhalt |
A.- B. fuhr in der Zeit zwischen Sommer 1950 und Sommer 1952 mit seiner im März 1934 geborenen Tochter wiederholt per Auto von X Richtung Y. Unweit Y hielt er jeweils den Wagen an, entblösste seinen Penis und stiess ihn seiner Tochter, an der er sich schon in früheren Jahren unzüchtig vergangen hatte, zwischen die Schenkel.
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B.- Die II. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich sprach B. am 27. Januar 1956 unter anderem der wiederholten Unzucht mit einer unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als sechzehn Jahren (Art. 192 Ziff. 2 Abs. 1 StGB) schuldig und verurteilte ihn unter Anrechnung von siebzehn Tagen Untersuchungshaft zu achtzehn Monaten Zuchthaus und drei Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit.
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C.- B. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung von der Anklage der Unzucht mit einer unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als sechzehn Jahren an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, die in der Zeit zwischen Sommer 1950 und Sommer 1952 an seiner Tochter begangenen beischlafsähnlichen Handlungen seien verjährt.
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: |
213 Abs. 4 StGB), während für Unzucht mit unmündigen Pflegebefohlenen mangels einer besonderen Verjährungsvorschrift die ordentliche zehnjährige Frist gilt (Art. 70 Abs. 2 StGB). Darin liegt ein Widerspruch. Das wurde auch in BGE 72 IV 137 anerkannt. Angesichts der Stellung aber, welche die besondere Verjährungsbestimmung im Rahmen des Art. 213 StGB einnimmt, hat es der Kassationshof abgelehnt, den Anwendungsbereich der zweijährigen Verjährungsfrist auf den Tatbestand der einfachen Blutschande (Art. 213 Abs. 1 StGB) zu beschränken und das qualifizierte Delikt (Art. 213 Abs. 2 StGB) der ordentlichen Verjährung von zehn Jahren zu unterstellen. Er hielt dafür, dass es dem Strafrichter nicht zustehe, sich über die Regelung des Art. 213 StGB hinwegzusetzen, möge auch der Wortlaut des Gesetzes noch so sehr auf ein Versehen zurückgeführt werden (vgl. ebenso LOGOZ, Kommentar, N. 5 zu Art. 213; PFENNINGER, SJZ 46, S. 326; SCHWANDER, Das schweiz. Strafrecht, S. 322; WILLI, SJZ 46, S. 325; anders WAIBLINGER, ZbJV 84, S. 467 und die Frage offen lassend in Berner Festgabe für den schweiz. Juristenverein 1955, S. 239, Anm. 1). Daran ist festzuhalten.
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2. Dem widersetzt sich auch der Beschwerdeführer nicht. Dagegen macht er geltend, es liege in Art. 192 StGB eine Wertungslücke vor, die durch analoge Anwendung der kürzeren Verjährungsfrist des Art. 213 Abs. 4 StGB auf den Tatbestand der Unzucht mit unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als sechzehn Jahren auszufüllen sei, "soweit es sich beim Täter um den Vater des Opfers handelt". Dem ist nicht beizupflichten. Das Versehen des Gesetzgebers, auf das nach dem Gesagten die bestehende Ungereimtheit offenbar zurückzuführen ist, liegt nicht in Art. 192 StGB, sondern in der Regelung des Art. 213 StGB. Dass für Unzucht mit unmündigen Pflegebefohlenen keine besondere Verjährungsvorschrift besteht, sondern die ordentliche Verjährungsfrist des Art. 70 Abs. 2 StGB gilt, entspricht der dem Gesetz innewohnenden Wertung: Art. 192 StGB will die heranwachsende Jugend gegen Angriffe auf ihre sittliche Unversehrtheit schützen. Das ergibt sich aus seiner Einordnung unter die strafbaren Handlungen gegen die Sittlichkeit und dem Randtitel, währenddem Art. 213 StGB unter den Verbrechen und Vergehen gegen die Familie aufgeführt ist. Der von Art. 192 StGB verfolgte Zweck wird aber durch die 10-jährige Verjährungsfrist besser gewährleistet als durch die kürzere des Art. 213 Abs. 4 StGB. Die analoge Anwendung dieser Bestimmung auf den Tatbestand der Unzucht mit unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als sechzehn Jahren hätte eine erhebliche Schwächung des strafrechtlichen Jugendschutzes zur Folge und widerspräche damit der ratio legis.
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Abgesehen davon würde die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Lösung neuen Widersprüchen rufen. So dürfte beispielsweise der Vater, der an seinem unmündigen mehr als sechzehn Jahre alten Kinde "andere unzüchtige Handlungen" vornimmt, nach Ablauf von drei Jahren (Art. 213 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB) nicht mehr verfolgt werden, während dieselben Verfehlungen gegenüber einem im gleichen Familienverband lebenden Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind, das denselben Schutz geniessen soll wie das eigene Kind (vgl. Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 2, Art. 192 Ziff. 2 Abs. 1; PFENNINGER, SJZ 46, S. 326), noch nach zehn Jahren geahndet werden könnten. Folgerichtig müsste somit die kürzere Verjährungsfrist aus dem gleichen Grund, aus dem sie in Art. 213 StGB Eingang gefunden hat (Schutz des Familienfriedens; vgl. WAIBLINGER, Festgabe 1955, S. 239, Anm. 1), nicht nur auf "andere unzüchtige Handlungen" des Vaters mit dem eigenen Kinde, sondern überhaupt auf alle Sittlichkeitsdelikte zwischen Familiengenossen Anwendung finden. Die Folgen einer solchen Ordnung wären jedoch unabsehbar und sachlich nicht zu rechtfertigen. Daraus erhellt, dass die im Gesetz liegende Ungereimtheit weder durch richterliche Auslegung noch Rechtsfindung, sondern einzig durch Gesetzesänderung zu beheben ist.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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