26. Entscheid der Anklagekammer vom 18. Juli 1956 i.S. Tribunale di appello del Cantone Ticino gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
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Regeste
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Art. 264, 279, 283 Abs. 1 Satz 2 und 300 Abs. 1 BStP. Art. 97 ZG.
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Art. 74 Ziff. 3 und 96 Abs. 2 Z G, Art. 52 und 53 WUStB, Art. 41 und 42 LStB.
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Gerichtsstand des subjektiven Mittäters; Begehungsort bei Zollübertretungen und Hinterziehungen der Warenumsatzsteuer und der Luxussteuer (Erw. 2 bis 4).
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Sachverhalt
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A.- Der früher in Zürich, jetzt in Tel Aviv wohnhafte Emanuel Guttmann wird beschuldigt:
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a) der Zollübertretung unter erschwerenden Umständen gemäss Art. 74 Ziff. 3 (Unterlassung der Anmeldung zollpflichtiger Waren beim Grenzübertritt) und 82 Ziff. 2 ZG (gewerbs- und gewohnheitsmässige Verübung);
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b) der Hinterziehung der Warenumsatzsteuer und Luxussteuer gemäss Art. 52 und 53 WUStB vom 29. Juli 1941 bzw. Art. 41 und 42 LStB vom 13. Oktober 1942.
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Das eidg. Finanz- und Zolldepartement büsste Guttmann am 24. Juni 1955 mit Fr. 44'308.60. Da sich dieser der Strafverfügung nicht unterzog, wurde der Fall durch Vermittlung der Bundesanwaltschaft den Behörden des Kantons Tessin zur gerichtlichen Beurteilung überwiesen. Der Procuratore pubblico sottocenerino erhob zuhanden der Assisi pretoriali di Mendrisio gegen Guttmann Anklage mit dem Antrag auf Bestätigung der administrativen Verfügung.
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Hiegegen rekurrierte Guttmann an die Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello des Kantons Tessin, indem er u.a. die Zuständigkeit der Tessiner Gerichte bestritt mit der Begründung, er habe an seinem damaligen Wohnort Zürich gehandelt, wo auch die zollamtliche Untersuchung zuerst angehoben worden sei.
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B.- Auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft unterbreitet das Tribunale di appello den Fall der Anklagekammer des Bundesgerichtes mit dem Hinweis, dass die Bundesanwaltschaft die Tessiner Gerichte als zuständig betrachte, so dass ein Konflikt mit Guttmann vorliege.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, die sich im kantonalen Verfahren zur Sache nicht äussern wollte, weil in ihrem Kanton kein Strafverfahren hängig sei, verneint in ihrer Vernehmlassung an das Bundesgericht dessen Zuständigkeit, stellt jedoch für den Fall der Bejahung den Gerichtsstand Zürich in Abrede.
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Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
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Die Voraussetzungen dieser Vorschrift treffen dann nicht zu, wenn eine Bundesbehörde gesetzlich befugt ist, die zuständige kantonale Behörde verbindlich zu bestimmen. Das ist nach dem klaren Wortlaut von Art. 18 und 254 BStP der Fall, wenn der Bundesrat eine Bundesstrafsache einem Kanton überweist. Darüber hinaus hat die Anklagekammer eine verbindliche Gerichtsstandsverfügung, die ihre Entscheidungsbefugnis ausschliesst, bisher auch angenommen, wenn das eidg. Justiz- und Polizeidepartement gestützt auf eine Delegation des Bundesrates die Beurteilung strafbarer Handlungen, die teils der Bundesgerichtsbarkeit, teils der kantonalen Gerichtsbarkeit unterstehen, in Anwendung von Art. 344 Ziff. 1 Abs. 1 StGB in der Hand der kantonalen Behörde vereinigt; ebenso lautet die Praxis in Fällen, wo das eidg. Militärdepartement auf Grund der ihm vom Bundesrat in Art. 16 lit. c der Verordnung über die Militärstrafrechtspflege generell erteilten Delegation die Beurteilung von Straftaten, die teils der militärischen, teils der bürgerlichen Gerichtsbarkeit unterstellt sind, nach Art. 221 MStG einem bürgerlichen Gericht überträgt (BGE 81 IV 264). Eine ausdrückliche Vorschrift, wonach in solchen Delegationsfällen durch die Überweisung der Departemente der Gerichtsstand der Kantone verbindlich bestimmt wird, besteht indessen nicht. Es liesse sich deshalb auch die Auffassung vertreten, die Zuweisung sei nur eine vorläufige, mit der Folge, dass in einem allfälligen Streit über die Zuständigkeit noch die Anklagekammer angerufen werden könnte.
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Jedenfalls stellt sich die Frage, ob die Zuweisung von Strafsachen durch Bundesstellen an eine kantonale Behörde den Gerichtsstand endgültig festlege, dann unabhängig von der erwähnten Rechtsprechung, wenn es sich, wie hier, nicht um Delegationsfälle, sondern um Fiskalstrafsachen handelt, die (gleich den übrigen Verwaltungsstrafsachen, Art. 321 ff. BStP) von Gesetzes wegen den kantonalen Gerichten zur Beurteilung zu überweisen sind, sofern auf Freiheitsstrafe zu erkennen ist oder gegen Strafverfügungen Einsprache erhoben wurde. Die Überweisung erfolgt bei Zolldelikten auf Veranlassung des Zolldepartementes durch die Bundesanwaltschaft (Art. 97 ZG), bei Übertretungen anderer fiskalischer Bundesgesetze durch die Verwaltung selbst (Art. 300 Abs. 1 BStP).
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Für eine selbständige Bestimmung des Gerichtsstandes durch die Bundesanwaltschaft bzw. die Verwaltungsbehörde kann angeführt werden, dass den Betroffenen die Möglichkeit zur Anfechtung der Verfügung auf dem Wege der Verwaltungsbeschwerde an die übergeordnete Verwaltungsinstanz und letztlich an den Bundesrat offen steht, wobei vor beiden Instanzen sowohl die Verletzung von Bundesrecht und die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhaltes wie die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung geltend gemacht werden können (Art. 23bis Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesverwaltung und Art. 127 OG; BGE 81 IV 266). Auch räumt Art. 283 BStP der Verwaltung das Recht ein, zwischen dem Gerichtsstand des Wohnortes und demjenigen des Begehungsortes zu wählen. Diese Vorschrift gilt aber gemäss Art. 279 BStP nur unter dem Vorbehalt besonderer Bestimmungen der fiskalischen Bundesgesetze und ihrer Ausführungsverordnungen. Wo diese eine selbständige Ordnung treffen, besteht es daher nicht. Abgesehen hievon schliesst das Wahlrecht die Möglichkeit eines Entscheides darüber, welches der tatsächliche Wohn- oder Begehungsort sei, nicht aus. In diesem Umfange bestände jedenfalls auch beim Wahlrecht der Verwaltung Anlass zur endgültigen Bestimmung des Gerichtsstandes durch die Anklagekammer.
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Darüber hinaus erscheint die Zuständigkeit der Anklagekammer allgemein sachlich gerechtfertigt. Nicht nur wird dadurch eine einheitliche Anwendung der Gerichtsstandsbestimmungen in höherem Masse gewährleistet als es bei dem über dieses oder jenes Departement führenden Beschwerdeweg der Fall wäre, sondern diese Lösung entspricht auch dem Bestreben nach einer möglichst raschen Abklärung der Gerichtsstandsfrage besser als die Durchführung eines über verschiedene Instanzen führenden Verwaltungsverfahrens. Zudem ist dieser Kompetenzordnung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, insbesondere nach dem Grundsatz der Gewaltentrennung, der Vorzug zu geben. In diesem Sinne hat sich denn auch der Bundesrat in dem mit ihm hierüber geführten Meinungsaustausch ausgesprochen.
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Kann aber nach dem Gesagten in Fiskal- (und übrigen Verwaltungs-)strafsachen der Überweisung eines Falles durch die Verwaltung nur vorläufige Bedeutung zukommen, ist die Zuständigkeit des Bundesgerichtes zu bejahen und auf das vorliegende Gesuch einzutreten.
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Eine Zollübertretung begeht u.a., wer zollpflichtige Waren beim Grenzübertritt ganz oder teilweise zur Zollbehandlung anzumelden unterlässt (Art. 74 Ziff. 3 ZG). "Begangen" wird demnach das Zollvergehen beim Grenzübertritt; denn dort hätte die unterlassene Handlung erfolgen müssen (LOGOZ, Kommentar, N. 4 zu Art. 7). Dieser Grenzübertritt fand vorliegend im Zollkreis Chiasso, also im Kanton Tessin, statt. Indessen wird Guttmann, bei dem es mindestens vorläufig allein zur gerichtlichen Beurteilung kommt, der subjektiven Mittäterschaft (vgl. BGE 80 IV 266) beschuldigt. Gehandelt hat er seinerseits an seinem Wohnort Zürich, wo er mündliche Weisungen und Aufträge erteilte, Briefe absandte usw. Somit wurde die Zollübertretung, wie sie Gegenstand der Beschuldigung bildet, sowohl im Kanton Tessin als im Kanton Zürich begangen.
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Nicht anders verhält es sich hinsichtlich der Hinterziehungen der Warenumsatzsteuer und der Luxussteuer; jene waren nur im Zusammenwirken einerseits der Handlungsweise in Zürich, anderseits der vorgetäuschten Ausfuhr im Tessin möglich; beides sind massgebende Vorgänge der Deliktsausführung.
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Liegt aber der Ausführungsort in der Schweiz, fällt der Ort des eingetretenen Erfolges als solcher ausser Betracht (vgl.BGE 68 IV 54).
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Daran vermag nach dem eingangs Gesagten auch der Hinweis auf das der Verwaltung durch Art. 283 Abs. 1 BStP (vgl. auch Art. 41 Abs. 1 WUStB und Art. 29 Abs. 1 LStB) eingeräumte Wahlrecht nichts zu ändern. Ob von diesem überhaupt die Rede sein kann, erscheint schon angesichts des in Art. 279 BStP zugunsten besonderer Bestimmungen fiskalischer Bundesgesetze und ihrer Ausführungsverordnungen gemachten Vorbehaltes zweifelhaft (vgl. Art. 96 ZG und die Verweisung von Art. 53 WUStB und Art. 42 LStB; BLUMENSTEIN, Grundzüge des schweiz. Zollrechtes, S. 103 V; anders SPITZ, Das schweiz. Zollstrafrecht, S. 160 unten). Die Frage kann jedoch offen bleiben, weil die Bundesanwaltschaft den Fall an die Behörden des Begehungsortes wies und daher zu entscheiden war, wo dieser liege.
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Demnach erkennt die Anklagekammer:
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Die Behörden des Kantons Zürich werden berechtigt und verpflichtet erklärt, Emanuel Guttmann für alle ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
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