Die Auslegung des Art 190 StGB durch die Staatsanwaltschaft hat wohl dessen Wortlaut für sich, geht aber weiter, als es dem Sinn der Bestimmung entspricht. Diese will die geschlechtliche Freiheit schützen und die Ehre und Unversehrtheit einer Frau gewährleisten, die nicht in der Lage ist, zwischen einer dem Sittengesetz entsprechenden und einer verpönten Befriedigung des Geschlechtstriebes zu unterscheiden, oder sich gegen geschlechtliche Zumutungen zu wehren (vgl. LOGOZ, N. 1a der Vorbemerkungen zu Art. 187 bis 192 sowie N. 1 zu Art. 190 StGB). Das Opfer muss sich in einem Zustand befinden, der beim Täter im Sinn einer verminderten Zurechnungsfähigkeit gewürdigt würde (THORMANN/VON OVERBECK, Nr. 1 zu Art. 190 StGB): es muss in der Fähigkeit beeinträchtigt sein, das Unrecht der Tat, die an ihm begangen wird, einzusehen, und gemäss dieser Einsicht zu handeln. Dies trifft bei den leichteren Formen des Schwachsinns, die unter dem Begriff der Debilität zusammengefasst werden, nicht notwendigerweise zu. Die Auswirkungen einer mangelhaften geistigen Veranlagung oder Entwicklung brauchen nicht auf allen Gebieten gleich stark in Erscheinung zu treten (GARTMANN, ZStR 1952, S. 107/8). Lässt auch der Schwachsinn die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung
in der Regel nicht unberührt, so werden doch manche Debile durch ihre Beschränktheit nicht daran gehindert, vernünftig zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem zu unterscheiden, die Bedeutung des Geschlechtsverkehrs und dessen mögliche Folgen zu erkennen, ihre Triebe zu beherrschen und ungehörigen Zumutungen entgegenzutreten. Verfügt eine geistesschwache oder in ihrer geistigen Gesundheit beeinträchtigte Frau über diese Fähigkeiten, so bedarf sie keines besonderen strafrechtlichen Schutzes. Art. 190 StGB gelangt in solche Fällen nicht zur Anwendung.