BGE 83 IV 59
 
15. Entscheid der Anklagekammer vom 7. Mai 1957 i.S. Goldsmith gegen ausserordentlichen eidgenössischen Untersuchungsrichter.
 
Regeste
Art. 55 BV, Art. 74, 77, 79 und 88 Abs. 1 BStP, Art. 27 Ziff. 3 Abs. 2 und Ziff. 6 StGB.
2. Rechtliche Natur der vom eidg. Untersuchungsrichter gegen einen Zeugen wegen ungerechtfertigter Verweigerung der Aussage verhängten Zwangshaft; Überprüfungsbefugnis der Anklagekammmmer (Erw. 4).
 
Sachverhalt
A.- In der wegen Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 StGB), der passiven Bestechung (Art. 315 StGB) und allenfalls wegen politischen Nachrichtendienstes (Art. 272 StGB) oder militärischen Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten (Art. 301 StGB) hängigen Voruntersuchung gegen Max Ulrich und Unbekannt lud der ausserordentliche eidgenössische Untersuchungsrichter Michael Goldsmith, Korrespondent der Associated Press in Genf, auf den 26. April 1957 als Zeugen vor. Das geschah, damit Goldsmith Auskunft gebe, wann, durch wen und auf welche Weise er die in der von ihm verfassten Agenturmeldung vom 20. März 1957 enthaltenen Angaben erhalten habe, wonach ein Funktionär der Bundesanwaltschaft im Verdacht stehe, vertrauliche Nachrichten an eine ausländische Botschaft verraten zu haben. Goldsmith leistete der Vorladung Folge, verweigerte aber die Aussage, indem er unter Berufung auf Art. 55 BV und Art. 27 StGB geltend machte, als Journalist seine Informationsquelle nicht preisgeben zu können. Einen Grund zur Zeugnisverweigerung im Sinne der Art. 75, 77 oder 79 BStP führte er zunächst nicht an. Nachträglich berief er sich auf Art. 79 BStP mit der Begründung, seine Ehre als Journalist und Mensch würde in höchstem Masse betroffen, wenn er die Namen seiner Gewährsleute bekannt gäbe, denen er ehrenwörtlich versprochen habe, sie geheim zu halten.
B.- Der ausserordentliche eidgenössische Untersuchungsrichter verhängte am 26. April 1957, um 20.30 Uhr, über Goldsmith wegen ungerechtfertigter Verweigerung des Zeugnisses die Zwangshaft nach Art. 88 Abs. 1 BStP und ordnete den sofortigen Vollzug an. Am 27. April 1957, um 19.00 Uhr, wurde Goldsmith wieder entlassen.
C.- Mit Eingaben vom 27. und 29. April 1957 beschwert sich Goldsmith bei der Anklagekammer des Bundesgerichtes gegen die Haftverfügung des Untersuchungsrichters mit dem Antrag, sie sei aufzuheben, und es sei dem Beschwerdeführer eine angemessene Entschädigung für die von ihm "verbüsste Haftzeit" zuzubilligen.
D.- Der Untersuchungsrichter beantragt Abweisung der Beschwerde.
 
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1. Aus dem Grundsatz der Pressefreiheit, auf den sich der Beschwerdeführer beruft, ergibt sich nicht ohne weiteres ein Recht des Journalisten, als Zeuge in einem Strafverfahren die Aussage zu verweigern; dies selbst dann nicht, wenn anzunehmen wäre, das durch Art. 55 BV gewährleistete Freiheitsrecht schliesse den Schutz der Anonymität als eines notwendigen Elementes zur Erfüllung der der Presse obliegenden besonderen Aufgabe (vgl. BGE 70 IV 24 E. 2) in sich. Vielmehr werden Inhalt und Umfang der Pressefreiheit durch die jeweilige Bundesgesetzgebung bestimmt und begrenzt. Diese Umschreibung ist für das Bundesgericht gemäss Art. 113 Abs. 3 BV verbindlich. Danach allein ist somit zu entscheiden, ob und allenfalls in welchem Masse die Pressefreiheit dem Einzelnen besondere Rechte verleiht (BGE 43 I 42; BGE 70 IV 24, 151; BGE 73 IV 15; BGE 77 IV 99; BGE 80 II 41).
Zwar hat diese Ordnung durch Art. 27 Ziff. 3 Abs. 2 StGB eine Änderung erfahren, indem dem Redaktor die Befugnis eingeräumt wurde, den Namen des Verfassers einer in dem von ihm redigierten Blatt erschienenen strafbaren Äusserung unter bestimmten Voraussetzungen zu verschweigen. Allein hieraus lässt sich für den vorliegenden Fall nichts ableiten. Da kein Pressedelikt in Frage steht, scheidet eine unmittelbare Anwendung von Art. 27 Ziff. 3 Abs. 2 StGB zum vorneherein aus.
Auch ist dieser Bestimmung durch Analogieschluss nichts zugunsten des Beschwerdeführers zu entnehmen. Das Recht auf Anonymität, welches Art. 27 StGB der Presse einräumt (vgl. BGE 82 IV 3), ist kein uneingeschränktes. Vielmehr findet, wie die Freiheit der Presse im allgemeinen, so auch die Anerkennung des Redaktionsgeheimnisses ihre Grenzen an den lebenswichtigen Interessen, d.h. den Existenzgrundlagen des Staates. Das Interesse des Staates an der eigenen Sicherheit geht in diesem Fall dem Interesse an der freien Meinungsäusserung vor. Da die Einvernahme Goldsmiths als Zeugen unmittelbar mit der Frage zusammenhing, ob der Beschuldigte Ulrich oder eine andere noch unbekannte Person verbotenen politischen Nachrichtendienst (Art. 272 StGB), also ein die Sicherheit des Staates berührendes Delikt (Art. 27 Ziff. 6 StGB) begangen habe, beruft sich der Beschwerdeführer in jedem Fall vergeblich auf Art. 27 Ziff. 3 Abs. 2 StGB. Ist dem so, kann dahingestellt bleiben, ob diese Bestimmung auf den Korrespondenten einer Nachrichtenagentur Anwendung finde (vgl. BGE 82 IV 81).
3. Dem Beschwerdeführer ist auch insoweit nicht zu folgen, als er zur Begründung seines Antrages Art. 79 BStP heranzieht. Diese Vorschrift will verhüten, dass die Pflicht, Zeugnis abzulegen, zum Zwang gegen den Zeugen führe, die eigene Schuld oder Schande zu gestehen oder einem Angehörigen derart zu schaden (Botschaft des Bundesrates, a.a.O., S. 602). Das hat indessen nicht den Sinn, dass sich der Zeuge schon dann seiner Aussagepflicht entziehen könne, wenn er durch Ablegung des Zeugnisses ein freiwillig gegebenes Versprechen zur Geheimhaltung bräche und sich dadurch einen Ehrennachteil zuzöge. Die Benachteiligung der Ehre muss nach Art. 79 BStP unmittelbar aus dem Inhalt des Zeugnisses und nicht bloss aus der Tatsache der Aussage folgen, wie das angeblich der Fall gewesen wäre, wenn der Beschwerdeführer Zeugnis abgelegt hätte. Was in der Beschwerde unter Berufung auf Art. 79 BStP vorgebracht wird, hält daher nicht stand.
4. Nach Art. 88 Abs. 1 BStP kann der Richter den Zeugen, der ohne gesetzlichen Grund die Aussage verweigert, auf höchstens vierundzwanzig Stunden in Haft setzen. Dabei handelt es sich nicht um eine Strafe, sondern um ein dem Richter in die Hand gegebenes prozessuales Zwangsmittel gegen renitente Zeugen. Ob diese Massnahme anzuwenden sei, entscheidet er nach pflichtgemässem Ermessen. Hierin hat die Anklagekammer nicht einzugreifen, es sei denn die Haftverfügung stelle eine Ermessensüberschreitung dar (vgl. BGE 77 IV 56). Darüber zu befinden wird jedoch das Bundesgericht mit der vorliegenden Beschwerde nicht angerufen.
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Die Beschwerde wird abgewiesen.