BGE 84 IV 153
 
44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Oktober 1958 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Spycher.
 
Regeste
Art. 67 Ziff. 1 Abs. 1, Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.
 
Sachverhalt
Ernst Spycher beging am 8. und am 14. November 1957, als noch nicht fünf Jahre vergangen waren, seit er eine Gefängnisstrafe verbüsst hatte, Unzucht mit Kindern. Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte ihn deswegen am 28. Februar 1958 zu einem Jahr Zuchthaus.
Der Generalprokurator beantragt mit Nichtigkeitsbeschwerde, das Urteil sei wegen Verletzung der Art. 67 und 68 StGB aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Strafe neu festsetze.
 
Aus den Erwägungen:
Spycher hat wiederholt mit Kindern unzüchtige Handlungen im Sinne von Art. 191 Ziff. 2 StGB vorgenommen. Daher trifft der Strafschärfungsgrund des Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu. Nach dieser Vorschrift verurteilt der Richter den Täter, der durch (eine oder) mehrere Handlungen mehrere Freiheitsstrafen verwirkt hat, zu der Strafe der schwersten Tat und erhöht deren Dauer angemessen. Nach Auffassung des Generalprokurators soll das Obergericht die Vorschrift verletzt haben, indem es Spycher zu einem Jahr Zuchthaus, also zur gesetzlichen Mindestdauer dieser Strafart, verurteilte. Er macht geltend, Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB sei dahin zu verstehen, dass durch die Ermittlung der Strafe für die schwerste Tat zugleich festgelegt werde, welcher Art die Gesamtstrafe sei; diese Vorschrift gestatte nicht, statt die Dauer der Einsatzstrafe zu erhöhen, auf eine strengere, alternativ angedrohte Strafart zu erkennen.
Diese Auffassung mag zwar den Wortlaut der angeführten Bestimmung für sich haben. Sie würde aber dazu führen, dass immer dann, wenn der Richter nach den Grundsätzen des Art. 63 StGB für die schwerste Tat zwar die mildere der alternativ angedrohten Strafarten für angezeigt hält, aber annähernd oder überhaupt auf das Höchstmass dieser Strafart erkennt, eine Strafschärfung wegen der anderen Straftaten, wie zahlreich und schwer sie auch sein mögen, von vorneherein nur in sehr beschränktem Masse möglich oder überhaupt ausgeschlossen wäre. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes sein. Träfe die vom Generalprokurator vertretene Auffassung zu, so hätte der Richter im vorliegenden Falle, je nachdem er für die schwerste Tat eine Gefängnis- oder eine Zuchthausstrafe für angemessen hält, an sich eine Gesamtstrafe von vier Tagen bis zu drei Jahren Gefängnis oder von einem Jahr und einem Tag bis zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus aussprechen, dagegen - abgesehen von der angedrohten Mindestdauer (drei Tage Gefängnis) - einzig auf ein Jahr Zuchthaus nicht erkennen dürfen. Für eine solche Beschränkung des richterlichen Ermessens besteht kein sachlicher Grund.
Entsprechend verhält es sich mit Bezug auf die Strafschärfung wegen Rückfalls (Art. 67 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Wäre dem Richter, wie der Generalprokurator geltend macht, verwehrt, diese dadurch vorzunehmen, dass er von der leichteren zu der schwereren der alternativ angedrohten Strafarten übergeht, so würde der Rückfall immer dann zu keiner strengeren Bestrafung des Verurteilten führen, wenn der Richter bei alternativer Strafandrohung für die Tat als solche das gesetzliche Höchstmass der milderen Strafart als angemessene Sühne erachtet.