3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1960 i.S. Dellenbach gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
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Regeste
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Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 und 2 StGB. Widerruf des bedingten Strafvollzuges; besonders leichter Fall.
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2. Kann aus dem Umstand, dass die wegen der neuen Tat ausgefällte Strafe verjährt bzw. seit Begehung der neuen Tat verhältnismässig lange Zeit verstrichen ist und der Täter sich unterdessen wohl verhalten hat, abgeleitet werden, der Fall sei "besonders leicht"?
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Sachverhalt
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A.- Das Strafamtsgericht von Bern verurteilte Dellenbach am 2. Mai 1956 wegen Betruges, Urkundenfälschung, Veruntreuung und Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustande zu sieben Monaten Gefängnis und Fr. 100.-- Busse, schob den Vollzug der Freiheitsstrafe bedingt auf und stellte den Verurteilten für vier Jahre auf Probe.
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Während dieser Probezeit führte Dellenbach wiederholt ein Motorfahrzeug, obwohl ihm durch die Polizeidirektion des Kantons Bern der Führerausweis auf unbestimmte Zeit entzogen worden war. Er wurde deswegen am 7. September und am 15. Oktober 1956 vom Gerichtspräsidenten VII von Bern nach Art. 61 Abs. 2 MFG mit zwanzig bzw. zehn Tagen Haft bestraft.
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B.- Durch Entscheid vom 6. Oktober 1959 ordnete das Obergericht des Kantons Bern als Appellationsinstanz den Vollzug der mit Urteil vom 2. Mai 1956 ausgefällten Gefängnisstrafe an, mit der Begründung, durch die wiederholten Übertretungen des Art. 61 Abs. 2 MFG habe Dellenbach das bei Gewährung des bedingten Strafvollzuges auf ihn gesetzte Vertrauen getäuscht.
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C.- Dellenbach führt gegen diesen Entscheid Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, er sei aufzuheben und das Obergericht anzuweisen, auf den Vollzug der Gefängnisstrafe zu verzichten.
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D.- Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
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Aus den Erwägungen:
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Die Strafen, in die der Beschwerdeführer wegen der während der Probezeit begangenen Widerhandlungen gegen Art. 61 MFG verfällt wurde, sind verjährt. Daraus leitet der Beschwerdeführer ab, dass diese Übertretungen auch nicht mehr zum Widerruf des bedingten Strafvollzuges führen könnten. Dabei verkennt er jedoch, dass nach ständiger Rechtsprechung die Anordnung des Strafvollzuges wegen Täuschung des auf den Verurteilten gesetzten Vertrauens nicht davon abhängt, ob das beanstandete Verhalten überhaupt strafbar ist, gegen den Verurteilten ein Strafverfahren eingeleitet und eine Strafe ausgefällt wurde (nicht veröffentlichte Entscheidungen des Kassationshofes vom 15. November 1946 i.S. Pulver und vom 5. Juli 1954 i.S. Zäch; fernerBGE 79 IV 113Erw. 3). Steht demnach der Annahme einer Vertrauenstäuschung im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB und damit dem Widerruf des bedingten Strafvollzuges beispielsweise nicht entgegen, dass die Strafverfolgung für die neue Verfehlung verjährt ist, so muss der Vollzug der bedingt aufgeschobenen Strafe erst recht auch gestattet sein, wenn die wegen der neuen Tat ausgefällte Strafe verjährt ist. Die gegenteilige Auffassung liefe darauf hinaus, denjenigen, der das Vertrauen des Richters durch eine strafbare Handlung täuscht, dafür auch bestraft worden ist, sich aber dem Vollzug der Strafe zu entziehen versteht, besser zu stellen als jene, die das Vertrauen des Richters nicht durch eine strafbare Handlung täuschen oder die für die neue Verfehlung ausgefällte Strafe verbüsst haben. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes sein.
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Ebenso abwegig ist die Annahme, die Verjährung der wegen der neuen Tat ausgefällten Strafe habe ohne weiteres zur Folge, dass der Fall im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB als besonders leicht zu betrachten sei. Ob ein solcher gegeben sei, hängt von den objektiven und subjektiven Umständen der Tat, insbesondere von der Natur der Verfehlung und dem Verschulden des Täters ab. Die Verjährung der Strafe, die für die neue Tat ausgefällt wurde, gibt über diese Verhältnisse ebensowenig Aufschluss wie der Umstand, dass die Begnadigungsbehörde den Vollzug dieser Strafe bedingt aufgeschoben oder überhaupt erlassen hat. Wie die Begnadigung (BGE 83 IV 3) macht daher auch der Eintritt der Vollstreckungsverjährung den Fall nicht zu einem besonders leichten im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB.
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Unbekümmert darum, ob die allenfalls wegen der neuen Tat ausgesprochene Strafe verjährt sei, kann die Anwendung des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB indessen wenigstens in Grenzfällen davon abhangen, ob seit der neuen Verfehlung verhältnismässig lange Zeit verstrichen ist und der Verurteilte sich unterdessen wohl verhalten hat. Trifft das zu, so spricht es dafür, dass es sich bei der neuen Verfehlung eher um einen einmaligen Fehltritt, als um den Ausfluss einer Charakterschwäche oder geradezu eines deliktischen Hanges handelt. Das genügt freilich für sich allein nicht zur Annahme eines besonders leichten Falles, vermag die nach Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB zu treffende Entscheidung jedoch in Zweifelsfällen zu Gunsten des Verurteilten zu beeinflussen.
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Daraus kann der Beschwerdeführer jedoch nichts zu seinen Gunsten ableiten. Nach dem in Erw. 1 Gesagten wiegen seine während der Probezeit begangenen Verfehlungen sowohl nach der objektiven wie nach der subjektiven Seite so schwer, dass von einem Grenzfall von vorneherein nicht die Rede sein kann. Zudem hat sich der Beschwerdeführer auch seit Begehung der Widerhandlungen gegen Art. 61 MFG keineswegs wohl verhalten, denn die Vorinstanz stellt - offensichtlich mit Bezug auf diesen Zeitabschnitt - für den Kassationshof verbindlich fest, dass Leumund und persönliche Verhältnisse des Beschwerdeführers schlecht seien, dass er namentlich als charakterlich leichter und verschlagener Bürger gelte, der einer regelmässigen und geordneten Arbeit aus dem Weg gehe und seine Frau des öftern betrüge. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob seit den neuen Verfehlungen verhältnismässig lange Zeit verstrichen ist.
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