BGE 86 IV 19 |
7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Februar 1960 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen X. und Y. |
Regeste |
1. Art. 204 Ziff. 1 Abs. 3 StGB. Auch bei Werken der Kunst kommt es darauf an, ob die Darstellung auf den unbefangenen Betrachter unzüchtig wirke; Umstände, welche die Wirkung eines Kunstwerkes beeinflussen können (Erw. 1 und 2). |
Aus den Erwägungen: |
Diese Begriffsbestimmung gilt für alle öffentlichen Darstellungen ohne Ausnahme. Auch die Kunst untersteht dem allgemeinen Gebot des Art. 204, und es kommt daher bei künstlerischen Veröffentlichungen ebenfalls auf die Wirkung an, welche die Darstellung auf den unbefangenen Beschauer hat. Besondere Umstände, welche die Wirkung eines Kunstwerkes beeinflussen können, sind bei dessen Beurteilung zu berücksichtigen. In Betracht fällt, dass der nackte menschliche Körper von jeher Gegenstand der bildenden Künste war und dass die Öffentlichkeit in Kunstausstellungen und Museen an der Darstellung des Nackten an sich keinen Anstoss nimmt. Sodann ist in Rechnung zu stellen, dass auch der Grad der künstlerischen Vollendung eine Rolle spielen kann; selbst bei einem Werk, das einen Vorgang geschlechtlicher Art zur Darstellung bringt, kann die aesthetische Wirkung so überwiegen, dass das Bild seinen unzüchtigen Charakter durch die künstlerische Gestaltung verliert. Bei solcher Betrachtungsweise bleibt der Kunst die Freiheit künstlerischen Gestaltens gewahrt. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der die Kunst den in Art. 204 gesetzten Schranken der öffentlichen Sittlichkeit in geschlechtlichen Dingen unterwerfen, das Kunstschaffen aber nicht beengen wollte (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die Bekämpfung der unzüchtigen Veröffentlichungen vom 30. September 1925, BBl 1924 III 1026; Votum Gautier, Prot. 2. Exp. Komm., Bd. 3 S. 267).
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Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegner sind aber die Absichten und Vorstellungen des Künstlers nicht ausschlaggebend. Weder genügt für die Strafbarkeit, dass der Hersteller des Bildes unzüchtige Zwecke verfolgte, noch entschuldigt ihn, dass er in einwandfreier Absicht handelte. Massgebend ist, ob die Darstellung ihrem Inhalte nach, d.h. durch das, was im Bilde erkennbar zum Ausdruck gebracht wird, objektiv geeignet ist, unzüchtig zu wirken (RITTLER, ZStR 47 S. 88; SCHÖNKE/SCHRÖDER, Kommentar zu § 184 DStGB S. 697). Das ist auch der Sinn von Art. 204 StGB, dessen Wortlaut nur voraussetzt, dass der Gegenstand unzüchtig ist, nicht aber auch, dass er in unzüchtiger Absicht hergestellt, verbreitet oder veröffentlicht worden sei. Wäre eine unzüchtige Absicht erforderlich, so hätte dies wie in anderen Tatbeständen, in denen eine besondere Absicht Tatbestandsmerkmal ist, im Gesetz ausdrücklich gesagt werden müssen. Eine dahingehende Ordnung wäre übrigens unhaltbar; der Nachweis der unzüchtigen Absicht wäre namentlich auf dem Gebiete der Kunst schwierig zu erbringen, und er müsste auch immer dann scheitern, wenn der Urheber eines unzüchtigen Bildes ein ideales Ziel anstrebte, es aber nicht wirksam genug zum Ausdruck zu bringen vermochte. Der Schutzzweck des Art. 204 StGB bliebe somit weitgehend unerfüllt. Die Willensrichtung des Künstlers ist deshalb für die Frage der Unzüchtigkeit nur von Bedeutung, wenn und soweit sie im Werke selber sichtbar verkörpert wird.
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Unbestreitbar ist, dass die Wirkung, die von einem Bilde ausgeht, eine verschiedenartige sein kann, je nach dem Ort oder der Art der Veröffentlichung oder je nach dem Personenkreis, für den es bestimmt ist. Ein im Strassenschaufenster einer Kunsthandlung ausgestelltes Bild kann als unzüchtig empfunden werden, während es in einem Museum oder in einer Kunstgalerie das Schamgefühl des nämlichen Betrachters unter Umständen nicht verletzt. Die Frage, ob bei der Ermittlung des Bildcharakters ausser auf den Inhalt der Darstellung auch auf die Begleitumstände der Veröffentlichung abgestellt werden soll, d.h. ob der Begriff des Unzüchtigen ein relativer sei, wie in der deutschen Lehre und Rechtsprechung angenommen wird, kann indessen offen bleiben, da es im vorliegenden Falle nicht darauf ankommt.
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2. Im Bild der gekreuzigten Frau steht unverkennbar das Sexuelle im Vordergrund. Es tritt betont in Erscheinung durch die im Zentrum des Bildes wiedergegebene weibliche Scham, die zwar in Halbdunkel gehüllt, aber in ihren Umrissen deutlich sichtbar ist, und ferner durch die gespreizten Oberschenkel, deren Stellung den Blick des Betrachters zwangsläufig auf die Geschlechtspartie lenkt und den Eindruck einer zum Geschlechtsakt bereiten Frau erweckt. Insofern wirrkt die Darstellung obszön. Die unzüchtige Wirrkung ist jedoch nicht eine ausgeprägte. Ob dies auf die Art der künstlerischen Gestaltung zurückzuführen sei, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lassen Gesichtsausdruck und übrige Körperhaltung der Nackten nicht eine wollüstige Empfindung erkennen, und auch sonst enthält das Bild keinerlei Hinweis auf das Geschlechtliche oder eine Anspielung auf einen Liebesvorgang. Ausserdem kommt die Idee der leidenden Frau, welche X. vorgeschwebt hat, wenigstens andeutungsweise zum Ausdruck, wenn auch nicht in den eher nichtssagenden Gesichtszügen der Abgebildeten, so doch in der dargestellten Kreuzigung. Gesamthaft betrachtet und unter Berücksichtigung, dass Nacktdarstellungen als solche das gesunde Schamgefühl Erwachsener nicht verletzen, wirkt das Bild der gekreuzigten Frau nicht in einem Grade anstössig, dass es in nicht leicht zu nehmender Weise gegen den geschlechtlichen Anstand verstiesse; es ist demnach nicht unzüchtig im Sinne des Art. 204 StGB.
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Die Bestimmung trifft auch nicht zu, wenn vom Begriff der relativen Unzüchtigkeit ausgegangen wird. Die Veröffentlichungen auf dem Barfüsserplatz waren, was die Örtlichkeit und den äusseren Rahmen anbetrifft, ohne Zweifel aussergewöhnlich und geeignet, auch Schaulustige anzulocken, die für Kunst kein Verständnis haben oder innerlich nicht darauf eingestellt waren. Letzteres kann aber auch in Kunstausstellungen nicht verhindert werden, und dass den Veranstaltungen Kinder beigewohnt hätten, ist unwahrscheinlich, auf alle Fälle nicht festgestellt. Dazu kommt, dass beide Demonstrationen nur kurze Zeit dauerten und dass zum mindesten fraglich ist, ob selbst bei den besseren Beleuchtungsverhältnissen vor dem Kasino eine grössere Anzahl von Personen das Bild in seinen Einzelheiten wahrnehmen konnte. Jedenfalls liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Wirkung des Bildes auf dem Barfüsserplatz anstössiger gewesen wäre als diejenige, die es an sich hat.
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Die Beschwerdegegner wurden daher in diesem Anklagepunkt zu Recht freigesprochen.
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3. Nach Art. 261 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt.
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Geschütztes Rechtsgut ist die Glaubensfreiheit, genauer die Achtung vor dem Mitmenschen und seiner Überzeugung in religiösen Dingen und damit gleichzeitig auch der religiöse Friede. Gegenüber der religiösen Überzeugung anderer hat sich auch der Künstler an die allgemeinen Schranken des Gesetzes zu halten. Wenn bei der Anwendung von Art. 204 StGB zu berücksichtigen ist, ob die Darstellung ein Kunstwerk ist oder nicht, weil künstlerische Gestaltung und Angewöhnung an künstlerische Nacktdarstellungen einem anstössigen Bild diese Wirkung nehmen können, so treffen solche Gründe in den Fällen des Art. 261 StGB nicht zu. Auch die Gesetzesmaterialien zu Art. 261 bestätigen, dass nie die Absicht bestand, den Künstlern in der Beschimpfung oder Verspottung des Glaubens eine grössere Freiheit als anderen zuzugestehen.
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Lohner, der sich widersetzte, vertrat die Auffassung, dass mehr der Schutz des Rechtsgutes als der verbrecherische Wille des Täters in den Vordergrund zu stellen sei, und er beantragte deshalb, statt boshaft oder böswillig die Worte "in gemeiner Weise" einzufügen. In diesem Sinne wurde einstimmig beschlossen (Prot. 2. Exp. Kommission, Bd. 4 S. 312/3, 326, 332). In der Tat wäre es unbefriedigend und mit dem Zweckgedanken des Art. 261 Abs. 1 schlecht vereinbar, wenn gemeine Gotteslästerung oder Religionsverhöhnung deswegen straflos bleiben müsste, weil der Täter aus "ehrlicher" Überzeugung gehandelt hat.
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Mit dem Merkmal "in gemeiner Weise" wollte lediglich verhindert werden, dass schon sachliche Kritik als Beschimpfung oder Verspottung gelte und jede geringfügige Übermarchung strafrechtlich verfolgt werde. Der Ausdruck bedeutet somit nichts anderes, als dass die Verletzung eine gewisse Schwere erreichen, die Glaubensbeschimpfung eine grobe sein muss (SCHWANDER, Freiburger Veröffentlichungen, Bd. 12, S. 109). Ob dieses Mass erfüllt sei, ist nach den Umständen, insbesondere nach dem Durchschnittsempfinden der Anhänger des angegriffenen Glaubens zu beurteilen.
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5. Im vorliegenden Falle sind die Merkmale des Art. 261 Abs. 1 StGB objektiv erfüllt. Im Bilde wird nicht irgendein Kreuz, sondern das Christuskreuz der christlichen Religionen dargestellt. Die Form des Kreuzes und die Inschrift am Kopf des Stammes erinnern den Christen unfehlbar an den Kreuzestod von Christus. An Stelle des Leibes Christi hängt jedoch eine nackte Frauengestalt am Kreuz, die mit gespreizten Beinen die deutlich sichtbare Scham offen zur Schau stellt, als ob sie zum Geschlechtsakt bereit wäre. Eine solche ans Unzüchtige im Sinne von Art. 204 StGB grenzende Darstellung, mit dem Erlösungstod Christi in Parallele gesetzt, stellt eine grobe Entwürdigung des Christuskreuzes als Symbol christlicher Glaubenssätze dar und verletzt daher in gemeiner Weise die religiöse Überzeugung anderer. Der Umstand, dass die dargestellte Frau keine Dornenkrone trägt und ans Kreuz gebunden statt genagelt ist, hebt die religiöse Gedankenverbindung nicht auf. Ebenso ist unerheblich, dass für die Inschrift am Kreuz nicht die üblichen Buchstaben INRI oder IHS verwendet wurden; die angebrachten Schriftzeichen IMP sind ähnlich und ohne weiteres geeignet, an Christus zu erinnern und das Frauenbild mit dem gekreuzigten Heiland in Zusammenhang zu bringen.
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