39. Urteil des Kassationshofes vom 22. Dezember 1961 i.S. Polizeirichteramt der Stadt Zürich gegen Beerle.
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Regeste
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Art. 10 Abs. 4 SVG.
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Sachverhalt
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A.- Beerle steuerte am 24. Juni 1960 ein Personenauto auf der Fahrt durch die Winterthurerstrasse in Zürich zwischen den Schutzinseln der Tramhaltestelle "Langmauerstrasse" hindurch, statt vorschriftsgemäss dem blauen Fahrtrichtungspfeil folgend rechts der Traminsel zu fahren. Auf Anzeige suchte ihn am folgenden Tag in seiner Wohnung ein Polizeimann auf, der ihm einen entsprechenden Vorhalt machte und von ihm verlangte, Führer- und Fahrzeugausweis vorzuweisen. Beerle weigerte sich, dieser Aufforderung Folge zu leisten.
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B.- Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich verfällte Beerle am 14. Juli 1960 wegen Nichtbeachtung des Fahrtrichtungssignals (§ 15 Abs. 2 und 3 der kantonalen Verordnung über die Strassensignalisation vom 30. April 1953) und wegen Übertretung der Kontrollvorschriften (Art. 61 Abs. 1 Satz 4 MFG) in eine Busse von Fr. 25.-.
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Auf Einsprache des Gebüssten sprach ihn der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich am 16. Dezember 1960 mit Bezug auf die Übertretung des Art. 61 MFG frei und bestimmte die Busse für den kantonalrechtlichen Übertretungstatbestand auf Fr. 15.-. Den Freispruch begründete der Einzelrichter damit, dass Beerle im Zeitpunkt der Ausweiskontrolle kein Motorfahrzeug geführt habe und deshalb nicht Führer gewesen sei, wie Art. 61 Abs. 1 Satz 4 MFG voraussetze.
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C.- Das Polizeirichteramt führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, Beerle sei im Sinne der Bussenverfügung auch wegen Verletzung von Art. 61 Abs. 1 MFG zu bestrafen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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Nach Art. 61 Abs. 1 Satz 4 MFG wird mit Busse bestraft, wer das Fahrzeug oder einen Ausweis der Kontrolle entzieht. Diese Bestimmung enthält die Sanktion zur Vorschrift des Art. 12 MFG, wonach die Ausweise und das Fahrzeug jederzeit von den kantonalen Behörden kontrolliert werden können (Abs. 1) und die Ausweise stets mitzuführen sind (Abs. 2).
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Ob das Wort "jederzeit" in Art. 12 Abs. 1 MFG den Sinn habe, die Ausweiskontrolle könne zu beliebiger Zeit und an jedem Ort durchgeführt werden (vgl. STREBEL, N. 3 au Art. 12 MFG) oder ob der Führer sich nur solange der Kontrolle zu unterziehen habe, als sein Fahrzeug am öffentlichen Verkehr teilnimmt, wie die Vorinstanz annimmt, kann dahingestellt bleiben. Art. 12, soweit er die Kontrolle der Ausweise betrifft, und Art. 61 MFG sind gemäss Art. 4 des BRB über die Gestaltung der Ausweise für Motorfahrzeuge und ihre Führer vom 8. November 1960 am 1. Dezember 1960 ausser Kraft getreten, und auf den gleichen Zeitpunkt ist Art. 12 MFG durch Art. 10 Abs. 4 SVG ersetzt worden, der wie folgt lautet:
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"Die Ausweise sind stets mitzuführen und den Kontrollorganen auf Verlangen vorzuweisen; dasselbe gilt für besondere Bewilligungen."
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Das neue Recht stellt somit den Grundsatz, dass die Ausweise jederzeit kontrolliert werden können, nicht mehr auf. Es bestimmt bloss, dass die Ausweise stets mitzuführen und auf Verlangen vorzuweisen sind. Die Pflicht zum Vorweisen der Ausweise steht danach in engem Zusammenhang mit der Pflicht, sie stets mitzuführen. Die eine wie die andere Vorschrift dient der unmittelbaren Kontrolle des Motorfahrzeugverkehrs; sie sollen namentlich die Feststellung ermöglichen, ob ein in den öffentlichen Verkehr gebrachtes Fahrzeug hiezu behördlich zugelassen und sein Führer zum Führen von Fahrzeugen der betreffenden Kategorie berechtigt ist. Die Pflicht, die Ausweise stets mitzuführen, bedeutet, wie schon unter der Herrschaft des Art. 12 Abs. 2 MFG, der in Art. 10 Abs. 4 SVG wörtlich übernommen wurde, nichts anderes, als dass die Ausweise sooft und solange mitzuführen sind, als das Fahrzeug, sei es im Betrieb oder nicht, am öffentlichen Verkehr teilnimmt (STREBEL, N. 22 zu Art. 12 und N. 12/13 zu Art. 1 MFG). Weiter als diese Pflicht kann nach dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 4 SVG aber auch die Pflicht, die Ausweise auf Verlangen vorzuweisen, nicht gehen. Den gleichen Sinn hat auch § 4 Abs. 2 Satz 2 der deutschen Strassenverkehrs-Zulassungsordnung, der Art. 10 Abs. 4 SVG fast wörtlich entspricht; die deutsche Rechtsprechung lässt ausserhalb des öffentlichen Verkehrs die Ausweiskontrolle nur zu, wenn und solange mit der beendeten Fahrt noch ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht (FLOEGEL/HARTUNG, Strassenverkehrsrecht, 13. Aufl., N. 10 und 11 zu § 4 StVZO; MÜLLER, Strassenverkehrsrecht, 21. Aufl., S. 505 Anm. 10).
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Im vorliegenden Falle wurde die Kontrolle der Ausweise weder im öffentlichen Verkehr noch unmittelbar anschliessend, sondern erst am Tage nach der beanstandeten Fahrt, in der Wohnung des Fahrzeugführers, durchgeführt. Dieser war deshalb nach Art. 10 Abs. 4 SVG nicht verpflichtet, sich ihr zu unterziehen. Wird Art. 12 MFG, der im Zeitpunkt der Kontrolle noch Geltung hatte, anders ausgelegt und angenommen, die Kontrolle habe auch noch nachträglich vorgenommen werden dürfen, so kommt Art. 10 Abs. 4 SVG als die mildere Bestimmung zur Anwendung (Art. 2 Abs. 2 StGB in Verbindung mit Art. 102, 333 StGB und Art. 102 Ziff. 1 SVG). Der Beschwerdegegner ist daher von der Anschuldigung der Übertretung einer bundesrechtlichen Vorschrift über die Ausweiskontrolle zu Recht freigesprochen worden. Ob seine Weigerung, die Ausweise vorzuweisen, allenfalls wegen Übertretung eines kantonalrechtlichen Übertretungstatbestandes nach kantonalem Recht strafbar wäre, ist hier nicht zu überprüfen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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