26. Urteil des Kassationshofes vom 6. Juli 1962 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Hagen und Martinelli.
|
Regeste
|
Art. 299 Abs. 2 und 3, 305 Abs. 1 BStP, 101 Abs. 3 und 110 Abs. 2 ZG: Ruhen der Verfolgungsverjährung bei Zollvergehen.
|
2. Unter Verwaltungsgericht ist neben der verwaltungsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts auch die Eidg. Zollrekurskommission zu verstehen (Erw. 3).
|
3. Bestreitet nur ein Beteiligter die Festsetzung der Abgabe beim Verwaltungsgericht, so ruht die Verjährung auch gegenüber dem Beschuldigten, der selber nicht Beschwerde führt (Erw. 4b).
|
Sachverhalt
|
A.- Hagen und Martinelli liessen vom 2. September 1956 bis 20. Februar 1957 insgesamt 4298 falsche Goldmünzen italienischer Herkunft in die Schweiz einführen, ohne sie zur Zollbehandlung anzumelden. Martinelli nahm die Münzen jeweils in Chiasso entgegen und leitete sie an Hagen weiter, der sie im In- und Ausland verkaufte.
|
Das Eidg. Finanz- und Zolldepartement büsste Martinelli und Hagen wegen Zollübertretung (Art. 74 Ziff. 3 ZG), Bannbruches (Art. 76 Ziff. 2 ZG) sowie Hinterziehung der Warenumsatz- und Luxussteuer (Art. 52 WUStB und Art. 41 LStB) mit Fr. 17'297.50 bzw. Fr. 11'525.80. Die Strafverfügung wurde Martinelli am 26. November, Hagen am 2. Dezember 1958 zugestellt. Beide verlangten gerichtliche Beurteilung.
|
|
B.- Am 25. und 27. November 1958 wurden die Beschuldigten von den zuständigen Zollkreisdirektionen zur Bezahlung der durch die unangemeldete Einfuhr der Münzen hinterzogenen Abgaben (Zoll, Warenumsatz- und Luxussteuer) von insgesamt Fr. 13'627.05 aufgefordert. Hagen beschwerte sich dagegen bei der Eidg. Oberzolldirektion. Diese erklärte am 28. April 1959 die Beschwerde wegen Verspätung insoweit als unzulässig, als sie sich gegen die Festsetzung des Zoll- und Warenumsatzsteuerbetrages richtete. Hagen zog diesen Entscheid am 16. Mai an die Eidg. Zollrekurskommission weiter. Den Betrag der hinterzogenen Luxussteuer setzte die Oberzolldirektion in Anwendung von Art. 41 Abs. 5 LStB auf Fr. 8298.69 fest. Hagen erhob hiegegen Einsprache, die aber abgewiesen wurde, worauf er am 22. September 1959 auch mit dieser Sache an die Zollrekurskommission gelangte. Diese entschied am 30. Juni 1960, indem sie die Beschwerde mit Bezug auf die Luxussteuer dem Bundesgericht überwies, hinsichtlich der Einreihung der Münzen in die Tarif-Nr. 874a sowie in bezug auf die Zollzahlungs- und Warenumsatzsteuerpflicht dagegen abwies. Die Luxussteuerbeschwerde wurde am 6. September 1960 von Hagen zurückgezogen und am 7. September von der verwaltungsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts als erledigt abgeschrieben.
|
C.- Am 12. Januar 1961 verfügte das Eidg. Finanz- und Zolldepartement, dass die Fiskalstrafsache den zuständigen kantonalen Behörden zur gerichtlichen Beurteilung zu überweisen sei. Dies hatte nach Art. 97 ZG durch die Bundesanwaltschaft zu geschehen, die die Sache am 2. Februar 1961 an die Bezirksgerichtskommission Kreuzlingen weiterleitete mit dem Antrag, die Beschuldigten seien im Sinne der Strafverfügung der Verwaltung zu büssen.
|
Die Bezirksgerichtskommission Kreuzlingen verurteilte Martinelli und Hagen am 18. Dezember 1961 zu den gleichen Bussen wie die Verwaltung.
|
|
D.- Die Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau sprach sie am 30. März 1962 wegen Verjährung frei.
|
Sie führte aus, die Verfolgungsverjährung habe am 20. Februar 1957, als die Beschuldigten die letzte Straftat verübten, begonnen; mit der Eröffnung der Strafverfügungen sei sie unterbrochen worden. Die neue Frist von zwei Jahren sei am 2. Dezember 1960 abgelaufen, sofern nicht die inzwischen gefällten Entscheide über die Leistungspflicht die Verjährung neuerdings unterbrachen oder die Verfolgungsverjährung während der Dauer des von Hagen veranlassten Beschwerdeverfahrens ruhte. Der Entscheid der Oberzolldirektion vom 28. April 1959, derjenige der Zollrekurskommission vom 30. Juni 1960 und die Abschreibungsverfügung des Bundesgerichts vom 7. September 1960 hätten sich zwar auf die Beschwerden bezogen, welche Hagen gegen die Festsetzung der hinterzogenen Abgaben geführt habe; da die geschuldeten Steuerbeträge gemäss Art. 101 Abs. 3 ZG vor Erlass der Strafverfügung festzusetzen seien, hätten die fraglichen Beschwerdeentscheide aber das Strafverfahren nicht beeinflussen und infolgedessen auch keine gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlungen sein können. Ein Ruhen der Verjährung sei zu verneinen, weil ein solches weder vom Zollgesetz oder vom Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege ausdrücklich vorgesehen werde, noch sich aus Art. 299 Abs. 2 oder 305 Abs. 1 BStP ableiten lasse.
|
E.- Die Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil der Rekurs-Kommission sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung der Beschuldigten an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie bestreitet, dass die Strafverfolgung verjährt sei.
|
F.- Hagen und Martinelli schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
|
|
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
|
|
|
a) Der hinterzogene Zollbetrag bildet die Grundlage für die Strafzumessung und muss daher vorweg, jedenfalls vor Erlass der Strafverfügung ermittelt werden (Art. 101 Abs. 3 ZG). Das Gleiche gilt für die Hinterziehung der Warenumsatz- und Luxussteuer (Art. 52 Abs. 1 WUStB, Art. 41 Abs. 1 LStB). Ist der geschuldete Abgabebetrag festgesetzt, so steht der Bestrafung des Beschuldigten, allfällige Beschwerden gegen die Festsetzung der Abgabe vorbehalten, nichts mehr im Wege. Das Zollgesetz hält die Entscheide über die Strafe und die Abgabe, wie übrigens auch die Anfechtungsmittel gegen diese Verfügungen und die einzuhaltenden Fristen, besonders deutlich auseinander.
|
Es kann daher vorkommen, dass die Festsetzung des Abgabebetrages schon vor Erlass der Strafverfügung, aber auch erst nachher, unter Umständen sogar erst während des gerichtlichen Strafverfahrens durch Beschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten wird. Letzteres scheint vor allem deshalb möglich, weil nach Art. 112 ZG die Frist für die erstmalige Anbringung einer Beschwerde 60 Tage beträgt. Das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege hat diese Möglichkeiten nicht übersehen.
|
Es enthält klare Regelungen für die Fälle, dass die Leistungspflicht beim Verwaltungsgericht vor Erlass der Strafverfügung oder während des gerichtlichen Strafverfahrens angefochten wird. Im ersten Falle hat die Verwaltungsbehörde den Entscheid über die Strafe aufzuschieben, bis über die Beschwerde entschieden ist (Art. 299 Abs. 2 BStP), im zweiten stellt der Richter das Strafverfahren bis zum gleichen Zeitpunkt ein (Art. 305 Abs. 1 BStP).
|
Was zu geschehen hat, wenn die Leistungspflicht nach Erlass der Strafverfügung, aber vor Eröffnung des gerichtlichen Strafverfahrens durch Beschwerde angefochten wird, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Es ist indes offensichtlich, dass die Verwaltung auch in diesem Falle den Beschwerdeentscheid des Verwaltungsgerichts abzuwarten hat. Das folgt aus Art. 299 Abs. 3 BStP, wonach eine neue Strafverfügung zu erlassen ist, wenn das Verwaltungsgericht den Abgabeanspruch nur teilweise schützt. Eine vorgängige Überweisung zur gerichtlichen Beurteilung im Sinne von Art. 300 Abs. 2 BStP fällt damit ausser Betracht; denn nach Eröffnung des gerichtlichen Strafverfahrens bedarf es selbst für den Fall, dass das Verwaltungsgericht den hinterzogenen Abgabebetrag anders festsetzt als die Verwaltung, keiner neuen Strafverfügung mehr. Abgesehen hievon darf nicht übersehen werden, dass die Sache beim zuständigen Strafgericht durch Überweisung der Akten anhängig gemacht wird (Art. 300 Abs. 1 und 2 BStP). Diese Überweisung kann die Verwaltung aber erst vornehmen, wenn die Akten dem Verwaltungsgericht nicht mehr zur Verfügung stehen müssen.
|
b) Bei einer Beschwerde gegen die Festsetzung des geschuldeten Abgabebetrages oder gegen die Leistungspflicht überhaupt ist somit die weitere Strafverfolgung jedenfalls vom Erlass der Strafverfügung an von Gesetzes wegen auszusetzen, bis das Verwaltungsgericht über die Beschwerde entschieden hat. Der gleiche Schluss ist übrigens auch aus Art. 101 Abs. 3 ZG zu ziehen, wonach der rechtskräftig gewordene Zollansatz als Grundlage für die administrative und die richterliche Strafbemessung dient. Diese Regelung kann anderseits aber nur dahin verstanden werden, dass die Verfolgungsverjährung während des Beschwerdeverfahrens ruht, eine Wirkung, die das Gesetz zwar nicht ausdrücklich vorsieht, die jedoch anerkannt werden muss. Denn sind die Strafbehörden von Gesetzes wegen daran verhindert, weitere Verfolgungshandlungen vorzunehmen und damit die Verjährung zu unterbrechen, so kann diese auch nicht weiterlaufen. Andernfalls würde der Eintritt der Verjährung weitgehend vom Verhalten desjenigen abhängig gemacht, der die Leistungspflicht oder den Abgabebetrag bestreitet; dieser könnte namentlich in grösseren oder rechtlich schwierigen Fällen durch Verzögerung des Beschwerdeverfahrens die Verfolgungsverjährung herbeiführen und damit eine Bestrafung vereiteln. Dass dies nicht der Sinn des Gesetzes sein kann, liegt auf der Hand. Das Ruhen der Verjährung für die Dauer des Beschwerdeverfahrens ergibt sich zwangsläufig aus dem Sinn und Zweck der Regelung, welche den Entscheid über die Strafe zwar stets nach demjenigen über die Leistungspflicht ausrichten, aber nicht dazu Hand bieten will, die Durchführung des Strafverfahrens zu gefährden oder gar zu verunmöglichen. Diese Auslegung ist, wenn sie auch weiter geht als der Wortlaut der Art. 299 Abs. 2 und 3 und Art. 305 Abs. 1 BStP, durchaus zulässig, da sie dem wahren Sinn der Bestimmungen entspricht (vgl. BGE 77 IV 167; ferner GERMANN, Kommentar zum StGB, N. 10 zu Art. 1 und dort angeführte Lehre und Rechtsprechung).
|
Ist im Einzelfall davon auszugehen, dass die Verjährung während des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens ruht, so stellt sich die Frage nach einer Unterbrechung der Verjährung in dieser Zeit nicht mehr.
|
|
4. a) Es ist unbestritten, dass die zweijährige Verjährungsfrist mit der Zustellung der Strafverfügung, welche gegenüber Hagen am 2. Dezember 1958 erfolgte, wegen Unterbrechung neu zu laufen begann. Da die Verjährung aber von der Einreichung der Beschwerde an die verwaltungsgerichtliche Instanz bis zu deren Entscheid ruhte, nämlich vom 16. Mai 195,,,9 bis 30. Juni 1960 in bezug auf Zoll und Warenumsatzsteuer, vom 22. September 1959 bis 7. September 1960 hinsichtlich der Luxussteuer, waren am 2. Februar 1961, als die Bundesanwaltschaft die Strafsache der Bezirksgerichtskommission Kreuzlingen überwies, von der Frist erst rund 12 1/2 bzw. 14 1/2 Monate verstrichen. Mit der Überweisung zur gerichtlichen Beurteilung wurde sie erneut unterbrochen und begann damit wieder von vorne zu laufen. Die Strafverfolgung gegen Hagen ist somit noch nicht verjährt.
|
b) Martinelli hat gegen die Festsetzung der hinterzogenen Abgaben keine Beschwerde erhoben, obschon er hiezu befugt gewesen wäre. Hätten indes die von Hagen angerufenen Beschwerdeinstanzen die objektive Abgabepflicht verneint, so wäre der Entscheid auch Martinelli zugute gekommen, da nach Art. 110 Abs. 2 ZG die Beschwerde, die von einem dazu Berechtigten erhoben wird, auch für alle andern zur Beschwerde befugten Personen wirkt. Im Strafpunkt verhielte es sich nicht anders, weil gemäss Art. 299 Abs. 3 BStP die Strafverfügung für alle Beteiligten dahinfällt, wenn der Abgabeanspruch nach dem Beschwerdeentscheid des Verwaltungsgerichts objektiv nicht begründet ist (vgl. hiezu Art. 305 Abs. 2 BStP). Diese Wirkung hat ihren Grund darin, dass bei Fiskaldelikten, wie sie hier in Frage stehen, die Strafe stets von der Frage abhängt, ob und in welchem Betrage eine Abgabepflicht besteht (vgl. Botschaft zum BStP, BBl 1929 II 652 und 655; ferner STÄMPFLI, ZStR 43, S. 137 und 147 f.). Es entspricht dieser innern Abhängigkeit der Strafe vom Entscheid über die Leistungspflicht, die Verfolgungsverjährung für den Fall, dass ein Beteiligter die Festsetzung der Abgabe beim Verwaltungsgericht bestreitet, auch gegenüber dem Beschuldigten ruhen zu lassen, der selber nicht Beschwerde führt. Zu einer gegenteiligen Annahme besteht jedenfalls hier kein Anlass, wo Hagen und Martinelli gestützt auf denselben Sachverhalt als Mittäter verfolgt und überwiesen wurden und beide die gleiche objektive Abgabepflicht trifft.
|
Ruhte somit die Verfolgungsverjährung während der Dauer des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens auch gegenüber Martinelli, so war die Strafverfolgung gegen ihn ebenfalls nicht verjährt, als die Strafsache zur gerichtlichen Beurteilung überwiesen wurde. Die zweijährige Verjährungsfrist, welche mit der Zustellung der Strafverfügung vom 26. November 1958 wieder von vorne begann, war bis zur Überweisung lediglich um eine Woche länger gelaufen als gegenüber Hagen.
|
|
|
Demnach erkennt der Kassationshof:
|
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der Rekurs-Kommission des Obergerichtes des Kantons Thurgau vom 30. März 1962 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
|