BGE 89 IV 103 |
21. Urteil des Kassationshofes vom 29. April 1963 i.S. Rahm gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. |
Regeste |
Art. 25 Abs. 1 MFG. |
Verkehrswidriges Betreten der Strasse durch einen Fussgänger, das für den Motorfahrzeugführer nicht rechtzeitig erkennbar war (Erw. 2). |
Sachverhalt |
A.- Rahm führte am 13. Juni 1962 gegen 10.30 Uhr einen VW-Lieferungswagen mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/Std von Zürich-Oerlikon durch die Schaffhauserstrasse stadtauswärts. Nach der Strassenunterführung warf er einen Blick nach rechts in die Friesstrasse, die in einem stumpfen Winkel in die Schaffhauserstrasse einmündet, und stellte fest, dass kein Vortrittsberechtigter nahte. Als er nach diesem Kontrollblick, der ungefähr eine Sekunde dauerte, wiederum geradeaus auf seine Fahrbahn schaute, gewahrte er in höchstens 20-24 m Entfernung eine Frau, die, ohne sich nach links umzusehen, an der Ecke Schaffhauser-/Friesstrasse vom Trottoir auf die Schaffhauserstrasse trat und diese zu überqueren begann. Obschon Rahm sofort bremste, konnte er nicht verhindern, dass sein Wagen 1/2 bis 1 Meter vor seinem Stillstand mit dem linken vordern Teil Frau Bader noch erfasste und zu Boden warf. Die Verunfallte, die im 83. Altersjahr stand, starb wenige Tage später an den Folgen der erlittenen Verletzungen.
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B.- Das Obergericht des Kantons Zürich sprach Rahm am 4. Dezember 1962 der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 200.--. Es wirft ihm vor, er habe etwas zu lange in die Friesstrasse geblickt. Hätte er seine Aufmerksamkeit einen Bruchteil einer Sekunde früher wieder auf seine Fahrbahn gerichtet, so wäre es ihm möglich gewesen, Frau Bader schon auf eine Entfernung von 25-30 m wahrzunehmen. Dies hätte genügt, um den Wagen rechtzeitig zum Stehen zu bringen und den Zusammenstoss zu vermeiden.
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C.- Rahm führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: |
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Auf Strassenverzweigungen hat der wartepflichtige Motorfahrzeugführer nach rechts zu beobachten, und er muss dies, um seiner Vorsichtspflicht zu genügen, mit grosser Aufmerksamkeit tun (BGE 84 IV 59). Das kann er nicht, wenn er die zu beobachtende Strasse nur mit den unscharfen Randbereichen seines Blickfeldes erfasst; erforderlich ist vielmehr, dass die Gesichtsachse zur Seite gewendet wird. Für diese Bewegung, das Ueberblicken der Verkehrslage in der Strasse mit Vortrittsrecht und den neuerlichen Wechsel der Blickrichtung auf die eigene Fahrbahn braucht es erfahrungsgemäss auch dann mindestens eine Sekunde Zeit, wenn sich kein vortrittsberechtigtes Fahrzeug der Kreuzung nähert. Hievon abgesehen könnte eine Pflichtwidrigkeit auch nicht angenommen werden, wenn der Beschwerdeführer für seine Beobachtung z.B. eine Viertels- oder eine Drittelssekunde mehr gebraucht hätte, als normalerweise notwendig gewesen wäre. Die Dauer solcher Reaktionen kann nachträglich nur annähernd abgeschätzt, nicht auf Sekundenbruchteile genau ermittelt werden, so dass Zeitberechnungen, die sich auf Bruchteile von Sekunden stützen, zumindest sehr gewagt, wenn nicht wirklichkeitsfremd erscheinen. Vor allem aber würden die an die Verkehrsteilnehmer gestellten Anforderungen überspannt, wenn man mit Sekundenbruchteilen messen wollte, ob jemand seine Sorgfaltspflicht erfüllt habe und damit strafrechtlich verantwortlich sei oder nicht. Wie die Erfahrung lehrt, gibt es kaum einen Motorfahrzeugführer, der imstande wäre, immer und überall in theoretisch kürzester Zeit zu reagieren. Die Reaktionsfähigkeit ein und derselben Person ist gewissen Schwankungen unterworfen, und dem muss auch im Strafrecht in vernünftigen Grenzen Rechnung getragen werden. Mit der Annahme des Obergerichts, der Beschwerdeführer habe um den Bruchteil einer Sekunde zu lange nach rechts geblickt, kann daher keine Fahrlässigkeit begründet werden.
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2. Eine andere Pflichtwidrigkeit kann nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststeht, dem Beschwerdeführer nicht zum Vorwurf gemacht werden. Seine Geschwindigkeit von ca. 40 km/Std war, wie auch das Obergericht annimmt, auf der 8 m breiten, übersichtlichen Schaffhauserstrasse, auf der nur wenig Verkehr herrschte, nicht übersetzt. Er brauchte sie an der Einmündung der Friesstrasse wegen der Beobachtung nach rechts, die nur ungefähr eine Sekunde dauerte, nicht herabzusetzen. Dazu wäre er unter den gegebenen Umständen nur verpflichtet gewesen, wenn er hätte erkennen können, dass sich einer der Fussgänger, die sich auf dem Trottoir an der Ecke Schaffhauser-/Friesstrasse befanden, unberechenbar verhalten werde. Hiefür fehlen bestimmte Anhaltspunkte. Es ist nicht festgestellt, wie sich Frau Bader verhalten hat, bevor sie die Schaffhauserstrasse betrat; insbesondere ist nicht bekannt, ob sie vom angrenzenden Gartenareal, in dem sie sich vorher aufgehalten hat, in einem Zuge über das Trottoir geschritten oder ob sie auf diesem noch eine Weile stillgestanden ist. Aus der Tatsache allein, dass das Trottoir von Fussgängern begangen wurde, was der Beschwerdeführer sehen konnte, als er die Einmündung der Friesstrasse erreichte, musste er nicht darauf schliessen, dass sich einer dieser Fussgänger verkehrswidrig benehmen werde. Insbesondere hatte der Beschwerdeführer, da nicht feststeht, dass Anzeichen dafür erkennbar waren, nicht damit zu rechnen, dass an einer Stelle, die nicht durch einen Fussgängerstreifen bezeichnet war, eine erwachsene Person die Strasse überquere, ohne darauf zu achten, dass sich ihr ein Wagen bereits auf 25-30 m genähert hatte. Dass der Beschwerdeführer in der Sekunde, während der er pflichtgemäss seine Aufmerksamkeit nach rechts in die Friesstrasse richtete, nicht zugleich sah, dass im gleichen Augenblick Frau Bader auf seine Fahrbahn hinaustrat, kann ihm nicht als Fehler angerechnet werden.
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Da der Zusammenstoss mit Frau Bader nicht auf ein Verschulden des Beschwerdeführers zurückgeführt werden kann, ist dieser von der Anklage der fahrlässigen Tötung freizusprechen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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