Die Entstehungsgeschichte des Art. 90 SVG zeigt indessen, dass die Anwendung des Art. 237 StGB in allen von Art. 90 SVG erfassten Fällen ausgeschlossen werden wollte. Während der Gesetzesberatung wurde die bisherige Praxis zu Art. 237 StGB als zu uneinheitlich und zu weitgehend beanstandet. Kistler rügte vor allem, dass Art. 237 StGB schon in Fällen leichten verkehrswidrigen Verhaltens Anwendung finde, auf rücksichtslose Fahrer dagegen nicht, wenn keine (konkrete) Gefährdung anderer oder nur eine solche der Wageninsassen vorliege. Er schlug deshalb im Bestreben, im SVG eine bessere und zugleich abschliessende Regelung zu treffen, vor, den bundesrätlichen Entwurf, der in Art. 83 lediglich den Übertretungstatbestand der heutigen Ziff. 1 des Art. 90 vorsah, dahin zu ergänzen, dass in einem weiteren Absatz die rücksichtslose Verletzung von Verkehrsregeln sowie die auf diese Weise geschaffene Gefährdung anderer mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Busse bedroht werde und dass in einem dritten Absatz die Anwendung von Art. 237 StGB auf Verkehrsteilnehmer
ausgeschlossen werde (Prot. Komm. NR S. 368; StenBull NR 1956 S. 300 f.). Die Kommission des Nationalrates stimmte den Grundgedanken dieses Antrages zu, beschloss aber, den Text anders zu fassen, und erhob die von Pfister vorgelegte Fassung, die mit dem heutigen Art. 90 und seiner Gliederung übereinstimmt, zum Kommissionsantrag, der von beiden Räten ohne Änderung angenommen wurde. Aus welchem Grunde die Vorschrift über den Ausschluss von Art. 237 StGB nicht als Ziff. 3, sondern als Abs. 2 von Ziff. 2 in den Text aufgenommen wurde, ist nirgends begründet worden. Die nationalrätliche Kommission ging jedoch davon aus, dass Art. 237 StGB - im Unterschied zur bisherigen Praxis - nur noch in schweren, nicht mehr in leichten Fällen anwendbar sein solle, weshalb sie in Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG, der jene Bestimmung ersetzen sollte, das Vergehen der Gefährdung anderer mit den Worten "grobe Verletzung" und "ernstliche Gefahr" enger als in Art. 237 StGB umschrieb (Prot. Komm. NR S. 384, 423). Nach dieser Auffassung stellte sich die Frage der Konkurrenz zwischen Art. 237 StGB und Art. 90 Ziff. 1 SVG gar nicht mehr, was erklärlich macht, dass der Ausschluss von Art. 237 StGB auf die Fälle des Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG beschränkt wurde. Dass die Anwendung von Art. 237 StGB entgegen dem Wortlaut und der Systematik des Art. 90 SVG sowohl in den Fällen der Ziff. 2 wie der Ziff. 1 dieser Bestimmung ausgeschlossen werden wollte, ergibt sich auch aus den Ausführungen der Berichterstatter Guinand und Eggenberger im Nationalrat (StenBull NR 1957 S. 267-269).