2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. März 1965 i.S. Taupe gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.
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Regeste
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Art. 69 StGB.
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Sachverhalt
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A.- Taupe und Schönherr, die beide tags zuvor bei Feldkirch illegal in die Schweiz gekommen waren, drangen in der Nacht vom 29./30. September 1964 in Trimmis bei Chur in die Gebäude der Baustoffwerke Trimmis AG ein, wo sie mit einem Schneidbrenner und einer Bohrmaschine den Kassenschrank öffneten, dem sie über Fr. 10'500.-- entnahmen. Am 1. Oktober 1964 wurden die beiden Österreicher in Zürich, wo sie sich wegen ihres Geldbesitzes des Diebstahls verdächtig machten, wegen Flucht- und Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft versetzt. Nachdem Taupe am 7. Oktober und Schönherr am Tage darauf nach anfänglichem Leugnen den Einbruchdiebstahl in Trimmis gestanden hatten, wurden sie am 12. Oktober in die Strafanstalt Sennhof in Chur übergeführt; dort blieben sie bis zur gerichtlichen Beurteilung in Haft. Taupe gelang am 25. Oktober anlässlich des Sonntagsgottesdienstes die Flucht, doch konnte er am Abend des folgenden Tages wieder verhaftet werden.
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B.- Das Kantonsgericht von Graubünden verurteilte Taupe am 18. Dezember 1964 unter anderem wegen qualifizierten Diebstahls zu 18 Monaten Zuchthaus, abzüglich die von 7. bis 25. Oktober 1964 erstandene Untersuchungshaft, und zu fünf Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit sowie zu 15 Jahren Landesverweisung.
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C.- Taupe führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde. Er verlangt, dass ihm die vom 7. Oktober bis zur gerichtlichen Hauptverhandlung ausgestandene Haft auf die Freiheitsstrafe voll angerechnet werde.
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D.- Die Staatsanwaltschaft Graubünden beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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a) Die Kollusions- und Fluchtgefahr, deretwegen Taupe am 1. Oktober in Zürich in Untersuchungshaft gesetzt worden ist, ergab sich nicht aus einem bestimmten Verhalten nach der Tat, sondern die Gefahr der Kollusion wurde wegen des noch nicht abgeklärten Diebstahlverdachts und die Fluchtgefahr im Hinblick darauf, dass Taupe als Ausländer keinen festen Wohnsitz in der Schweiz hatte, von Gesetzes wegen vermutet (§ 49 lit. a und b zürch. StPO). Die Verhaftung des Beschwerdeführers und seine Haftbelassung nach dem Geständnis vom 7. Oktober wie auch die nach seiner Überführung nach Chur von den Bündner Behörden auf Grund von § 83 der bündnerischen StPO erlassene Haftverfügung stützten sich auf allgemeine, abstrakte Gründe, welche die Anrechnung der Haft nicht ausschliessen. Nur soweit Taupe anfänglich einen Diebstahl leugnete, hat er durch ein Verhalten nach der Tat das Verfahren erschwert und damit die Untersuchungshaft verlängert, weshalb ihm das Kantonsgericht, was nicht angefochten wird, die Haft vom 1. bis 7. Oktober nicht angerechnet hat.
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b) Der Beschwerdeführer hält die Nichtanrechnung der nach der Entweichung vom 25./26. Oktober bis zur gerichtlichen Beurteilung ausgestandenen Untersuchungs- und Sicherheitshaft für unzulässig, weil keine Anzeichen dafür vorlägen, dass die Haft, wenn er den Fluchtversuch nicht unternommen hätte, aufgehoben oder abgekürzt worden wäre; aus der Haftbelassung des Mitbeschuldigten Schönherr, der keine Flucht unternahm, ergebe sich vielmehr, dass auch Taupe in Haft behalten worden wäre, weshalb sein Verhalten für die nachfolgende Haft nicht kausal gewesen sein könne.
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Diese Auffassung hält nicht stand. Gewiss wurde in BGE 90 IV 70 ausgeführt, für die Nichtanrechnung genüge, "dass die Haft mit dem Verhalten des Beschuldigten ursächlich zusammenhange, d.h. dass dieser sie durch ein anderes Benehmen hätte abwenden oder verkürzen können". Damit wurde der zwischen der Haft und dem Verhalten des Beschuldigten erforderliche Kausalzusammenhang, wie er bisher verstanden worden ist, nicht neu umschrieben. In BGE 90 IV 69 f. werden unter Ziff. 1 lediglich Erwägungen aus früheren Entscheidungen, auf die im einzelnen verwiesen wird, zusammengefasst. Der erwähnte Satz, auf den sich der Beschwerdeführer beruft, bezog sich in BGE 81 IV 23, dem er entnommen ist, nur auf Fälle, in denen das Verhalten des Beschuldigten kein Haftgrund im Sinne des kantonalen Prozessrechtes ist, sondern die Haft nur mittelbar, durch Verzögerung des Verfahrens, zur Folge hat, wie dann, wenn der Beschuldigte im Untersuchungsverfahren die Auskunft verweigert, die Tat leugnet, irreführende Angaben macht oder wenn er, um dem Strafvollzug zu entgehen, offensichtlich trölerisch ein Rechtsmittel einlegt oder aufrechterhält. In diesen Fällen kann gesagt werden, der Beschuldigte hätte die Haft durch ein anderes Benehmen verkürzen oder abwenden können. Das heisst aber nicht, dass jedes Verhalten nach der Tat nur dann für die Haft kausal sei, wenn ohne dieses Verhalten die Verhaftung unterblieben oder eine bereits bestehende Haft aufgehoben oder verkürzt worden wäre. Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes ist der Kausalzusammenhang nicht allgemein an eine solche Voraussetzung geknüpft, insbesondere dann nicht, wenn der Täter durch sein Verhalten einen besonderen Haftgrund setzt. Es kommt dann vielmehr einzig darauf an, ob das Verhalten des Täters tatsächlich massgebender Grund dafür war, dass er verhaftet oder in Haft behalten worden ist. Wird diese Frage bejaht, so hat der Beschuldigte im Sinne des Art. 69 StGB die Haft herbeigeführt oder verlängert, und sie darf daher für solange, als die Dauer der Haft auf sein Verhalten zurückzuführen ist, ihm nicht auf die Strafe angerechnet werden, gleichgültig, ob neben dem konkreten noch ein abstrakter Haftgrund bestand und ob die Verhaftung oder Haftbelassung ohne den besondern Haftgrund aus dem allgemeinen angeordnet worden wäre (BGE 73 IV 94ff.). Hievon abzugehen und in Fällen, in denen die Haft sowohl mit einem abstrakten als auch mit einem konkreten Haftgrund gerechtfertigt werden kann, den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Haft und dem vom Beschuldigten zu vertretenden Verhalten stets auszuschliessen, hätte zur Folge, dass es auf den Grund, aus dem die Haft in Wirklichkeit verfügt oder beibehalten wurde, nicht mehr ankäme und dass die Haft ohne Rücksicht auf das Benehmen des Beschuldigten immer angerechnet werden müsste. Das widerspräche dem Zweck des Art. 69 StGB, der verhindern will, dass die Haft, zu der der Täter absichtlich Anlass gegeben hat, angerechnet werde. Es wäre auch nicht zu rechtfertigen, dass der eine Täter, der z.B. durch Verdunkelungsmassnahmen der Strafverfolgung entgegenzuwirken oder durch Flucht sich der Strafe zu entziehen sucht, in den Genuss der Haftanrechnung käme, während sie dem andern, der die Untersuchung durch Leugnen, Auskunftsverweigerung u. dgl. erschwert, versagt bliebe.
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Der Umstand, dass im vorliegenden Falle die allgemeine Fluchtgefahr neben der besondern, wie sie sich aus dem Fluchtversuch des Beschwerdeführers ergab, fortbestand und die Haft darum mit grosser Wahrscheinlichkeit auch ohne diesen Fluchtversuch aufrechterhalten worden wäre, schliesst daher nicht aus, dass vom 26. Oktober an nicht mehr die abstrakte, sondern die konkrete Fluchtgefahr massgebender Grund für die Fortdauer der Haft war. Es wäre auch keineswegs unbillig, Taupe die Folgen seines Verhaltens tragen zu lassen, dem Mitbeschuldigten Schönherr, der keinen Fluchtversuch unternahm, dagegen die Haft anzurechnen.
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