BGE 92 IV 77 |
20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Juli 1966 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen Kümpel. |
Regeste |
Art. 42 StGB. |
Der Richter darf von der Verwahrung, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen zu ihrer Anordnung erfüllt sind, nicht deswegen absehen, weil er eine vormundschaftliche oder administrative Massnahme für geeigneter hält. |
Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Verurteilten durch die Vollzugsbehörde. |
Sachverhalt |
A.- Der 1905 geborene P. Kümpel ist in der Zeit von 1924 bis 1960 wegen Verbrechen und Vergehen - meistens wegen Betruges, mehrmals wegen gewerbsmässigen Betruges - dreissigmal zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Nachdem er bis 1941 rund 20 Gefängnisstrafen verbüsst hatte, wurde die ihm 1943 vom Kriminalgericht des Kantons Luzern u.a. wegen gewerbsmässigen Betruges auferlegte Strafe von zwei Jahren Zuchthaus in Verwahrung umgewandelt, die bis zum 12. August 1946 dauerte. Am 12. Mai 1947 verurteilte ihn das Krimi nalgericht des Kantons Schwyz wegen gewerbsmässigen Betruges zu zwei Jahren Zuchthaus, worauf er am 27. April 1948 in die Verwahrung zurückversetzt wurde. Seine Entlassung erfolgte am 4. August 1951. Am 16. Juli 1959 ordnete das Ober gericht des Kantons Thurgau, das Kümpel wegen Unzucht vor einem Kind und wiederholter widernatürlicher Unzucht zu einem Jahr Gefängnis verurteilte, erneut die Verwahrung an. Am 24. Mai 1960 verfällte ihn das Obergericht des Kantons Solothurn wegen gewerbsmässigen Betruges in eine Zusatzstrafe von einem Jahr Zuchthaus. Am 18. September 1962 wurde er mit einer Probezeit von drei Jahren aus der Verwahrung bedingt entlassen, und gleichzeitig wurde die über ihn verhängte Vormundschaft aufgehoben.
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B.- Das Kantonsgericht Schaffhausen verurteilte Kümpel am 25. Juni 1965 wegen Wuchers, Betruges, Diebstahls sowie fortgesetzter und wiederholter Widerhandlung gegen das kantonale Wirtschaftsgesetz zu einem Jahr Zuchthaus und Franken 500.-- Busse sowie zu zehn Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit und ordnete anstelle des Strafvollzuges die Verwahrung des Verurteilten nach Art. 42 StGB auf unbestimmte Zeit an.
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Das Obergericht des Kantons Schaffhausen, an das Kümpel Berufung einlegte, bestätigte durch Urteil vom 25. März 1966 den erstinstanzlichen Schuldspruch, setzte dagegen die Strafe auf ein Jahr Gefängnis und Fr. 200.-- Busse herab und nahm von einer Verwahrung Abstand.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zur Anordnung der Verwahrung und zur Einstellung des Verurteilten in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Kümpel beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
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Aus den Erwägungen: |
2. Der in Art. 42 StGB vorausgesetzte Hang zu Verbrechen oder Vergehen ist beim Beschwerdegegner auf Grund der grossen Zahl der wegen Verbrechen und Vergehen verbüssten Freiheitsstrafen offenkundig. Von einer wesentlichen Verminderung dieses Hanges, die nach der Auffassung der Vorinstanz seit dem Jahre 1951 eingetreten sein soll, kann nicht die Rede sein. Der Beschwerdegegner hat die Unzuchtsdelikte, deretwegen er am 16. Juli 1959 zu einer in Verwahrung umgewandelten Zuchthausstrafe verurteilt wurde, im Zeitraum von 1952 bis 1957 begangen, und in den Jahren 1958 und 1959 machte er sich wiederum des gewerbsmässigen Betruges schuldig, weshalb ihn das Obergericht des Kantons Solothurn am 24. Mai 1960 in eine Zusatzstrafe von einem Jahr Zuchthaus verfällte. Er konnte sich also nach der am 4. August 1951 erfolgten Entlassung aus der Verwahrungsanstalt ebenso wie vor 1951 nur kurze Zeit halten. Desgleichen ist er nach dem 18. September 1962, als er mit einer Probezeit von drei Jahren aus der Verwahrung bedingt entlassen wurde, verhältnismässig rasch rückfällig geworden. Die Zeit von knapp einem Jahr und drei Monaten, die bis zur Wiederaufnahme der deliktischen Tätigkeit verfloss, lässt weder eine ins Gewicht fallende Besserung erkennen, noch kann daraus oder aus andern Umständen abgeleitet werden, die neuen Straftaten seien nicht die Folge seiner verbrecherischen Neigung. Dieser Zusammenhang wird insbesondere nicht dadurch widerlegt, dass der Beschwerdegegner nach seiner Entlassung aus der Verwahrung von den Fürsorgebehörden nicht oder nicht mehr genügend betreut worden ist. Auch das im vorliegenden Verfahren eingeholte Gutachten der Heil- und Pflegeanstalt Breitenau vom 7. April 1965 bezeichnet den Beschwerdegegner immer noch als haltlos-willensschwachen Psychopathen mit ausgesprochener Tendenz zu Vermögensdelikten.
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Das Obergericht ist nicht dieser Überzeugung, angesichts der Wirkungslosigkeit der bisherigen Strafen, die der Beschwerdegegner in grosser Zahl verbüsste, mit Recht nicht. Es geht aber unter Hinweis auf GERMANN (Bemerkungen in der Textausgabe zu Art. 42 StGB) davon aus, dass der schwere Eingriff der Verwahrung erst gerechtfertigt sei, wenn Strafen und andere Massnahmen versagen oder voraussichtlich nicht wirksam sind, und es hält dafür, dass im vorliegenden Falle eine geeignete vormundschaftliche Versorgung genüge, um die Gesellschaft vor dem heute 61-jährigen, gesundheitlich geschädigten Beschwerdegegner zu sichern, weshalb es anordnete, dieser sei nach der Erstehung der Gefängnisstrafe der Verwaltungsbehörde zuzuführen, damit diese die erforderlichen Massnahmen treffe.
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Diese Anordnung verstösst gegen das Strafgesetz. Nach diesem ist in bundesrechtlichen Strafsachen die Strafe auszufällen oder die Massnahme anzuordnen, die das StGB für den betreffenden Fall vorsieht. Der Richter, der das Gesetz anzuwenden hat, kann die ihm obliegende Aufgabe nicht einer andern Behörde übertragen, damit diese den vom StGB mit seiner Massnahme verfolgten Zweck mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verwirklichen versuche, und dies auf die Gefahr hin, dass die andere Behörde nichts oder zu wenig vorkehrt und die gesetzliche Vorschrift unerfüllt bleibt. Der Richter ist daher nicht befugt, von der strafrechtlichen Massnahme, die neben oder anstelle der Strafe zu verhängen ist, deswegen abzusehen, weil er eine andere, im Gesetz nicht vorgesehene Massnahme, z.B. eine vormundschaftliche oder administrative, für geeigneter oder zweckmässiger hält.
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Etwas anderes wollte offenbar auch GERMANN in seinen Bemerkungen zur Textausgabe nicht sagen. Wenn dort von "andern Massnahmen" die Rede ist, so können darunter nur Massnahmen des StGB verstanden werden. Das ergibt sich auch aus der an der erwähnten Stelle angeführten Abhandlung des gleichen Autors (ZStR 1946, 169 ff.), wo nirgends erklärt wird, dass die Verwahrung nach Art. 42 StGB erst dann anzuordnen sei, wenn auch vom StGB nicht vorgesehene, insbesondere vormundschaftliche oder administrative Massnahmen versagen oder keine bessernde Wirkung versprechen.
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Desgleichen ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichts, auf die GERMANN ebenfalls verweist, nie in Erwägung gezogen worden, dass der Schutz der Öffentlichkeit vor unverbesserlichen Gewohnheitsverbrechern auch durch vormundschaftliche oder administrative Massnahmen sichergestellt werden könne. Es ist im Gegenteil angenommen worden, dass an die Stelle der Verwahrung nach Art. 42 StGB nur Massnahmen des StGB treten können, so die Verwahrung oder Versorgung vermindert Zurechnungsfähiger in einer Heil- und Pflegeanstalt nach Art. 14 oder 15 StGB oder die Einweisung in eine Trinkerheilanstalt nach Art. 44 StGB (BGE 86 IV 204, BGE 88 IV 10). Wo dagegen eine andere Massnahme des StGB ausser Betracht fällt, muss zur Sicherung der Gesellschaft gegen Rechtsbrecher, die durch Strafen nicht zu bessern sind, die Verwahrung nach Art. 42 StGB angeordnet werden. Dementsprechend ist auch entschieden worden, dass selbst dann, wenn eine frühere Verwahrung noch andauert, der Richter nicht auf ihre Neuanordnung verzichten kann (BGE 83 IV 6). Ebenso darf er gegenüber einem aus der Verwahrung bedingt Entlassenen, der rückfällig geworden ist, nicht deshalb von der erneuten Anordnung der Massnahme Umgang nehmen, weil dieser gemäss Art. 42 Ziff. 6 StGB mit der Rückversetzung in die früher verhängte Verwahrung zu rechnen hat (nicht veröffentlichte Urteile des Kassationshofes vom 19. Mai 1961 i.S. Jaggi und vom 30. Dezember 1964 i.S. Huber).
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Der richterlichen Anordnung der Verwahrung steht auch nicht entgegen, dass der Beschwerdegegner gesundheitlich geschädigt ist. Seinem Gesundheitszustand kann bei der Wahl der Anstalt, in der die Verwahrung vollzogen wird, Rechnung getragen werden. In Frage kommt auch eine offene Anstalt oder eine Heil- und Pflegeanstalt. Hierüber hat nicht der Richter, sondern die Vollzugsbehörde zu befinden.
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