BGE 92 IV 118
 
31. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Juli 1966 i.S. R. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
 
Regeste
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1, 63 StGB; Unzucht mit Kindern.
 
Sachverhalt
A.- Als im April oder Mai 1965 R. eines Abends bei Familie C. in E. zu Besuch weilte, war auch die ihm bekannte Haushaltschülerin B. anwesend, die, am 20. Juli 1949 geboren, damals noch nicht ganz 16 Jahre alt war. Es wurde Kaffee mit Träsch getrunken, worauf R. zudem noch Wein konsumierte. Als man spät nach Mitternacht auseinanderging, wurde R. wegen des schlechten Wetters von Frau C. anerboten, in ihrer Wohnung zu übernachten. Es wurde ihm dabei das Bett im Kinderzimmer angewiesen. Das war aber das Bett, in welchem das Mädchen B. schon in der vorhergehenden Nacht geschlafen hatte. Nachdem die Eheleute C. sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen hatten, begab sich B. und, der erhaltenen Einladung folgend, nachher auch R. in jenes Bett. Dabei kam es vor dem Einschlafen und wieder vor dem Aufstehen am Morgen zu Liebkosungen, zu Betastungen am Geschlechtsteil des Mädchens und beide Male auch zu eigentlichem Geschlechtsverkehr zwischen den beiden.
B.- Am 21. Januar 1966 wurde R. vom Kriminalgericht des Kantons Luzern wegen wiederholter Unzucht mit Kindern zu 10 Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug verurteilt.
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft verschärfte das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 19. April 1966 die Strafe auf 1 Jahr Zuchthaus verbunden mit zweijähriger Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit.
C.- R. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und Rückweisung der Strafsache an die Vorinstanz zur Ausfällung einer angemessenen Gefängnisstrafe unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs.
D. - Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
 
Aus den Erwägungen:
Der Beschwerdeführer ficht das Urteil der Vorinstanz an, weil sie in Verletzung von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 und Art. 63 StGB ihr Ermessen überschritten und nach Strafart und Strafmass ein willkürlich hartes Urteil gefällt habe, welches Verschulden, persönliche Verhältnisse und die besonderen Tatumstände nicht berücksichtige.
In die Strafzumessung kann der Kassationshof eingreifen, wenn der Sachrichter das Ermessen überschritten, d.h. ein offensichtlich unhaltbares, willkürlich hartes (oder mildes) Urteil gefällt hat (BGE 78 IV 72). Er kann dies ferner tun, wenn die Strafe nach unzutreffenden rechtlichen Gesichtspunkten zugemessen worden ist (BGE 81 IV 123).
Bei der Strafzumessung für Unzuchtsdelikte gemäss Art. 191 StGB sind Sinn und Zweck der durch das Bundesgesetz vom 5. Oktober 1950 vorgenommenen Revision dieser Bestimmung zu berücksichtigen. Damals wurde in Ziff. 1 Abs. 1 die Mindeststrafe von einem Jahr Zuchthaus auf sechs Monate Gefängnis herabgesetzt, was die obligatorische Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit (Art. 52 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) ausschaltete und die Gewährung des bedingten Strafvollzuges ermöglichte. Dadurch wollte nicht der Schutz des Kindes gegenüber den grundsätzlich als schwer erachteten Angriffen abgeschwächt werden. Wohl aber sollte dem Richter ermöglicht werden, lediglich eine Gefängnisstrafe (von mindestens sechs Monaten) auszusprechen in Fällen, wo die Zuchthausstrafe in Anbetracht der Umstände des Einzelfalles und des Verschuldens (Art. 63 StGB) des Täters eine zu harte Sanktion wäre (vgl. LOGOZ, Commentaire, Partie spéc. I, N. 7 a zu Art. 191). In diesem Sinne hat der Kassationshof bereits im Jahre 1953 zum rev. Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB Stellung genommen (nicht veröffentlichter Entscheid vom 1. Mai 1953 i.S. S.). Die kantonale Instanz hatte damals die Auffassung vertreten, dass die mildere Strafart, Gefängnis, nur in ganz bestimmten (Härte-) Ausnahmefällen in Frage komme, nämlich bei ernstgemeinten Liebesverhältnissen zwischen Jugendlichen und Mädchen unter sechzehn Jahren, oder wenn 15-16 jährige Mädchen, die bereits sittlich verdorben sind, systematisch auf die Verführung älterer Männer ausgehen. Tatsächlich haben derartige Fälle aus der Strafrechtspraxis zur Revision von 1950 Anlass gegeben. In das Gesetz wurde jedoch eine entsprechende Beschränkung nicht aufgenommen, und sie ergibt sich auch nicht aus den Beratungen. Darnach wollte an der strengen Ahndung der Sittlichkeitsverbrechen an Kindern nichts geändert werden, die Herabsetzung der Strafminima sollte aber ermöglichen, den Verhältnissen des einzelnen Falles besser Rechnung zu tragen und von der bisherigen Minimalstrafe, einem Jahr Zuchthaus, abzusehen, wo diese als unangemessen hart empfunden werden müsste (Sten. Bull. StR 1949 S. 614 f., NR 1950 S. 204 ff.).
Über Grund und Zweck der Revision des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB setzt sich die Vorinstanz hinweg, indem sie nicht sämtlichen strafmindernden Umständen Rechnung trägt. Zwar liegen keine Strafmilderungsgründe im Sinne des Art. 64 StGB vor. Insbesondere bestand, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, offensichtlich kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihm und Frau C., weil diese eine gute Kundin des ihn beschäftigenden Taxiunternehmens war. Auch ist straferschwerend nach Art. 63 StGB zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer den Geschlechtsverkehr mit einem Mädchen ausübte, von dem er, nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz, wusste, dass es leicht debil war.
Anderseits aber sind erhebliche Umstände gegeben, die das Verschulden verringern und gemäss Art. 63 StGB strafmindernd ins Gewicht fallen. Der Beschwerdeführer geniesst einen guten Leumund und ist abgesehen von Bussen wegen Widerhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht vorbestraft. Wie die Vorinstanz feststellt, weist nichts darauf hin, dass R. sich mit der Absicht zu Familie C. begeben hätte, sich dort mit B. in sexuelle Beziehungen einzulassen. Er ergriff auch nicht die Initiative dazu. Als er nach Hause gehen wollte, lud ihn vielmehr Frau C. ein, in ihrer Wohnung zu übernachten, und wies ihm dabei das Bett im Kinderzimmer an, in dem das Mädchen schon in der vorhergehenden Nacht geschlafen hatte. Die Vorinstanz stellt fest, dass sich der Beschwerdeführer durch das gemeinsame Nächtigen mit dem Mädchen in eine ausserordentliche Versuchung begab. Diese Versuchung ist indessen gesetzt worden durch das die Grenze der Strafbarkeit jedenfalls streifende Verhalten der Eheleute C. (gegen welche die Strafuntersuchung aus Beweisgründen unter teilweiser Kostenauferlegung eingestellt worden ist). Überdies war das nicht mehr unberührte Mädchen in jenem Zeitpunkt nur noch zwei oder drei Monate von der Schutzaltersgrenze entfernt. Beim zweiten Geschlechtsverkehr am Morgen stand R. zwar, wie die Vorinstanz feststellt, nicht mehr unter Alkoholeinfluss. Hingegen hatten die beiden wenige Stunden vorher schon in gleicher Weise geschlechtliche Beziehungen gehabt und anschliessend im gleichen Bett genächtigt. Schliesslich war R. zur Zeit der Tat erst 24-jährig, was bei der Strafzumessung wesentlich ins Gewicht fallen muss.
Gerade auf Umstände und Täter dieser Art findet die revidierte Strafandrohung des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB Anwendung. Aus der Tat ergibt sich weder eine ehrlose Gesinnung noch sonstwie ein derart schweres Verschulden, dass eine Zuchthausstrafe samt Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit erforderlich wäre. Dem hat die Vorinstanz Rechnung zu tragen. Generalpräventive Überlegungen vermögen daran nichts zu ändern. Das Verschulden hat im Vordergrund zu bleiben.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben und die Strafsache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht hat eine Gefängnisstrafe ohne Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit auszusprechen, das Strafmass im Sinne der Erwägungen neu festzusetzen und die Gewährung des bedingten Strafvollzugs zu prüfen.