BGE 92 IV 171
 
44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. November 1966 i.S. Vicari gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
 
Regeste
Art. 70 ff., 73 ff., StGB.
Die Verfolgungsverjährung, die am gleichen Tag aufhört, wird durch die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde nicht wieder in Gang gesetzt, sondern kann erst im Falle der Aufhebung des angefochtenen Entscheides von der Eröffnung des Bundesgerichtsentscheides an weiterlaufen.
 
Aus den Erwägungen:
a) Vergehen gegen die Ehre verjähren ordentlicherweise in zwei Jahren (Art. 178 Abs. 1 StGB), im Falle der Unterbrechung dieser Frist spätestens nach Ablauf von vier Jahren (Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB). Die Verfolgung der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Äusserungen, die er am 7. und 14. August 1962 tat, ist demnach unter der Voraussetzung, dass ihr nicht vorher ein Ende gesetzt wurde, am 6. bzw. 13. August 1966 um 24 Uhr absolut verjährt (Art. 71 StGB, BGE 77 IV 209).
b) Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils, das am 12. Juli 1966 gefällt und den Parteien am 26. August 1966 durch Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung eröffnet wurde, mit der Begründung, dass die Strafverfolgung erst mit der Eröffnung des schriftlich begründeten Urteils und infolgedessen nach Ablauf der Verjährungsfrist abgeschlossen worden sei. Der Einwand hält nicht stand. Die Strafverfolgung ist beendet, sobald das vom kantonalen Richter in der Sache gefällte Urteil vollstreckbar wird, was zutrifft, wenn der materiellrechtliche Entscheid im kantonalen Verfahren nicht mehr überprüft werden kann. Urteile derletzten kantonalen Instanz, die durch kein ordentliches kantonales Rechtsmittel mehr anfechtbar sind, werden daher bereits mit der Ausfällung vollstreckbar, unabhängig davon, in welchem Zeitpunkt und in welcher Form sie eröffnet werden. Die kantonalen Prozessvorschriften betreffend die Eröffnung des Urteils sind bundesrechtlich nur für den Beginn der Rechtsmittelfristen des Art. 272 Abs. 1 und 2 BStP von Bedeutung; sie ändern nichts daran, dass die Eröffnung des Urteils nicht mehr ein Akt der Strafverfolgung ist, sondern nur noch Mitteilung, dass und auf welche Weise die Verfolgung abgeschlossen wurde (nicht veröffentlichte Urteile des Kassationshofes vom 31. Oktober 1950 i.S. Theiler, vom 27. Oktober 1956 i.S. Baud, vom 29. Oktober 1957 i.S. Kronenberger, vom 20. Februar 1959 i.S. Schläpfer, vom 19. Oktober 1962 i.S. Zöllig und BGE 91 IV 145). Das am 12. Juli 1966 gefällte Urteil des Obergerichts ist somit innerhalb der Verjährungsfrist vollstreckbar geworden.
c) Auch die Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass die Verjährungsfrist jedenfalls nach Erlass des nicht rechtskräftig gewordenen obergerichtlichen Urteils abgelaufen sei, ist unzutreffend. Wie bereits dargelegt wurde, ist die Strafverfolgung mit der Ausfällung des letztinstanzlichen Urteils, das sofort vollstreckbar wurde, beendet worden, und dies hatte zur Folge, dass gleichzeitig auch die Verfolgungsverjährung aufhörte und die Vollstreckungsverjährung zu laufen begann. Auch die Einreichung einer Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts liess die Verfolgungsverjährung nicht weiterlaufen. Dieses Rechtsmittel hemmt die Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils nicht von Gesetzes wegen, sondern gemäss Art. 272 letzter Absatz BStP nur dann, wenn der Kassationshof oder sein Präsident es besonders verfügt. Selbst wenn die Einstellung des Vollzuges angeordnet worden wäre, was im vorliegenden Fall nicht zutraf, hätte sie nicht das Wiederaufleben der Verfolgungsverjährung, sondern nur das Ruhen der Vollstreckungsverjährung bewirkt (BGE 72 IV 106 /7, 164; BGE 73 IV 14 /15). Nur wenn der Kassationshof das kantonale Urteil aufhebt und die Sache zur Fortsetzung der Strafverfolgung an das kantonale Gericht zurückweist, wird die Verfolgungsverjährung wieder in Gang gesetzt (BGE 72 IV 107, BGE 73 IV 14) und läuft der noch nicht abgelaufene Teil der Verjährungsfrist von der Eröffnung des Bundesgerichtsentscheides an weiter (nicht veröffentlichte Urteile des Kassationshofes vom 17. November 1964 i.S. Künzler und vom 2. November 1965 i.S. Louis). Die Strafsache ist daher noch nicht verjährt.