BGE 94 IV 51
 
14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. September 1968 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen X.
 
Regeste
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB.
 
Sachverhalt
A.- Das Strafgericht Basel-Stadt verurteilte den 1932 geborenen X. am 2. April 1968 wegen unzüchtiger Handlungen mit und vor einem 10-jährigen Mädchen zu fünf Monaten Gefängnis, schob den Vollzug der Strafe bedingt auf und setzte dem Verurteilten drei Jahre Probezeit.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte am 12. Juni 1968 dieses Urteil.
B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichtes aufzuheben und die Sache zur Verweigerung des bedingten Strafvollzuges an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Sie macht geltend, X. habe die Tat trotz eindeutiger Angaben des Kindes stets bestritten; um der Strafe zu entgehen, habe er dem Opfer selbst eine peinliche Befragung vor Gericht nicht erspart, es vielmehr in Kauf genommen, dass dem Kind durch nochmaliges Aufgreifen des Vorfalles weiterer Schaden zugefügt werde. Dadurch habe er aber Charaktermängel erkennen lassen, die den bedingten Strafvollzug ausschlössen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes (BGE 75 IV 155Erw. 2, BGE 82 IV 5) darf daraus, dass ein Angeklagter die Auskunft verweigert, die Tat bestreitet oder sich gar aufs Leugnen verlegt, nicht leichthin gefolgert werden, er lasse sich durch eine bedingt vollziehbare Strafe nicht bessern. Ein solches Verhalten im Verfahren kann auf sehr verschiedene Beweggründe zurückgehen, ist folglich nicht notwendigerweise ein Zeichen fehlender Reue oder mangelnder Einsicht in die Verwerflichkeit der begangenen Tat. Wer bloss leugnet, weil er sich der Tat schämt, die Strafe fürchtet, um seine Stellung oder um das Fortkommen seiner Angehörigen bangt und ihnen Schande ersparen will, der verdient im Hinblick auf die voraussichtliche Wirkung des bedingten Strafvollzugs eher mehr Vertrauen als einer, der das Verbrechen offen zugibt, es aber nicht für verwerflich hält oder sich gegenüber den Folgen seiner Tat gleichgültig zeigt; jedenfalls sagt die Tatsache allein, dass der eine die Tat leugnet und der andere sie gesteht, oft noch nichts darüber, ob und mit welchen Mitteln sie sich bessern lassen.
Anders ist es, wenn der Angeklagte sich nicht mit dem Leugnen im eigenen oder fremden Interesse begnügt, sondern dazu übergeht, die Strafbehörden bewusst irrezuführen, die Schuld auf andere abzuschieben, Zeugen oder Geschädigte wider besseres Wissen zu belasten oder als Lügner hinzustellen. Wer mit solchen Mitteln einer Verurteilung zu entgehen sucht oder ein milderes Urteil erwirken will, bekundet besondere Skrupellosigkeit, lässt daher in der Regel nicht erwarten, dass ihn eine bedingt aufgeschobene Strafe dauernd bessern werde. Das gleiche gilt für den Fall, dass der Angeklagte allen Beweisen zum Trotz weiter leugnet, bloss weil er recht behalten will oder ihm das Lügen ein Bedürfnis ist, ferner für den Fall, dass er seine Schuld gegen alle Offenkundigkeit bestreitet, den begangenen Fehler und dessen Verwerflichkeit also nicht einsieht (vgl.BGE 73 IV 87Erw. 3,BGE 77 IV 70). Eine solche Einstellung bietet ebenfalls keine Gewähr für eine dauernde und innere Besserung durch eine blosse Warnstrafe, zumal wenn ein Angeklagter auch sonst als rechthaberisch, einsichtslos oder lügnerisch gilt.
Die angeführten Beispiele machen deutlich, dass gültige Schlüsse auf den Charakter und damit auf die Aussichten für künftiges Verhalten des Verurteilten nicht schon aus dem Bestreiten der Tat, sondern bloss aus den Gründen gezogen werden können, welche den Angeklagten zum Leugnen bewegen. Der Richter muss daher zu ergründen suchen, warum ein Angeklagter selbst eine erwiesene Tat noch bestreitet und es auf eine Verurteilung ohne Geständnis ankommen lässt, ob er aus mangelnder Einsicht in die Verwerflichkeit der Verfehlung oder dergleichen oder aus einem andern Grunde leugnet. Der Richter tut zudem gut, die dabei gewonnene Ansicht im Lichte des gesamten Vorlebens und Charakters des Angeklagten zu überprüfen. Nur dann lässt sich schlüssig sagen, ob der Angeklagte durch das Leugnen ein Mass von Einsichtslosigkeit bekundet habe, das eine schlechte Voraussage rechtfertigt (BGE 82 IV 5 und 82 Nr. 16).
2. Nach der Auffassung des Strafgerichtes, dem die Vorinstanz gefolgt ist, hat X. die Tat vor allem aus Angst um das wirtschaftliche Fortkommen für sich und seine Familie bestritten; es bestehe ernsthaft Anlass zur Annahme, dass er wegen des Vorfalles und dessen Folgen um seine Existenz gebangt und sie nicht ein weiteres Mal habe verlieren wollen, nachdem er bereits 1959 wegen Krankheit wieder von vorne habe anfangen müssen. An diese auf Beweiswürdigung beruhende Schlussfolgerung ist der Kassationshof gebunden. Es ist eine Beweis-, nicht eine Rechtsfrage, aus welchem Grunde der Angeklagte die Tat bestritt und welchen Zweck er damit verfolgte (vgl.BGE 74 IV 205, BGE 81 IV 283, BGE 83 IV 77). Dass das Leugnen des Verurteilten auch anders ausgelegt werden könnte und die Vorinstanzen im Zweifel zu seinen Gunsten entschieden haben, hilft darüber nicht hinweg. Die blosse Beantwortung einer Beweisfrage ist noch keine rechtliche Beurteilung einer Tatsache, mag sie noch so schwierig sein, eine irrtümliche Würdigung der Beweislage folglich noch keine Verletzung eines Rechtssatzes.
Die Annahme der kantonalen Instanzen, der Angeklagte habe vorwiegend aus Angst geleugnet, berechtigte sie aber durchaus, dem Verurteilten eine günstige Prognose zu stellen. Dass er trotz genauer Angaben des Mädchens weiter leugnete und dadurch das Erscheinen des Kindes in der Hauptverhandlung nötig machte, erweckt zwar Bedenken. Dem steht jedoch gegenüber, dass der Verurteilte, ausser einer Busse wegen Übertretung von Verkehrsvorschriften, keine Vorstrafen aufweist, einen guten Ruf geniesst und sich vom Hilfsarbeiter zum Fachmann emporgearbeitet hat. Auch hat er stets bloss seine Täterschaft, nicht aber den vom Kind bezeugten Sachverhalt bestritten. Das war für das Mädchen nicht ehrenrührig. Unter diesen Umständen durften die kantonalen Instanzen annehmen, dass der Verurteilte sich durch eine bedingt vollziehbare Strafe von weitern Verbrechen und Vergehen abhalten lasse; jedenfalls fällt eine solche Würdigung der Besserungsaussichten nicht aus dem Rahmen des Ermessens, das dem kantonalen Richter nach Art. 41 Ziff. 1 StGB zusteht (BGE 77 IV 142, BGE 82 IV 151).
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.