5. Urteil des Kassationshofes vom 3. März 1972 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen Läderach.
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Regeste
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Art. 140 Ziff. 1 StGB.
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Art. 142 StGB.
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Ob eine Sache von geringem Wert sei, entscheidet sich nach den objektiven und subjektiven Umständen des einzelnen Falles (Erw. 2).
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Sachverhalt
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A.- Läderach trat am 1. Februar 1970 bei der Auto-Silo AG in Schaffhausen als Tankwart und Personalchef-Stellvertreter in Dienst. Sein monatliches Gehalt setzte sich aus einem Grundlohn von Fr. 1100.-- und Trinkgeldern in Höhe von Fr. 500.-- bis Fr. 600.-- zusammen. Gemäss interner Regelung hatten die Tankwarte sämtliche von Kunden erhaltenen Trinkgelder in eine gemeinsame Kasse zu legen, deren Inhalt jeweils bei Schichtwechsel gleichmässig unter die beteiligten Angestellten verteilt wurde. Nachgewiesenermassen hat Läderach am 6., 9. und 10. März 1970 bei seiner Arbeit als Tankwart Trinkgelder, die er von den Kunden erhalten hatte und die er abmachungsgemäss in die gemeinsame Trinkgeldkasse der diensttuenden Angestellten hätte einlegen müssen, in die eigene Tasche gesteckt und überdies Trinkgelder, die sein Arbeitskollege Attanasio in die gemeinsame Kasse gelegt hatte, an sich genommen. Insgesamt hatte Läderach in den genannten Tagen Trinkgelder im Höchstbetrag von Fr. 26.25 in eigenem Nutzen verwendet.
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B.- Am 30. April 1971 verurteilte das Kantonsgericht Schaffhausen Läderach wegen wiederholter und fortgesetzter Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 10 Tagen.
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Auf Berufung des Verurteilten und der Staatsanwaltschaft bejahte zwar auch das Obergericht des Kantons Schaffhausen die unrechtmässige Verwendung anvertrauter Gelder durch Läderach. Es hielt jedoch dafür, dass es sich dabei um geringfügige Veruntreuungen im Sinne von Art. 142 StGB gehandelt habe, und setzte Läderach mangels Strafantrags mit Urteil vom 17. September 1971 ausser Strafverfolgung.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei insoweit aufzuheben, als es Läderach mit Bezug auf die begangenen Veruntreuungen ausser Strafverfolgung gesetzt habe, und es sei die Sache zur Verurteilung des Beschwerdegegners wegen fortgesetzter und wiederholter Veruntreuung nach Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Läderach beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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a) Die Qualifikation der erstgenannten Handlungen als Veruntreuung wird vom Beschwerdegegner mit Recht nicht angefochten. Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz bestand zwischen dem Beschwerdegegner und seinem Arbeitskollegen Attanasio bezüglich der Trinkgelder ein Vertrauensverhältnis, und gestützt auf dieses verwalteten sie die Trinkgeldkasse gemeinsam und hatten auch beide gleicherweise Zugang dazu. Keiner von ihnen durfte nach Belieben und allein über deren Inhalt verfügen. Vielmehr wurde dieser nach der Arbeit von ihnen gleichmässig unter sich verteilt. Angesichts dessen hat der kantonale Richter mit Fug angenommen, der Inhalt der Trinkgeldkasse sei dem Beschwerdegegner anvertraut gewesen. Dass Attanasio an den in der Kasse befindlichen Trinkgeldern Mitgewahrsam gehabt hat, steht der Annahme einer Veruntreuung nicht entgegen. Art. 140 StGB und entsprechend auch Art. 142 StGB stellen nicht darauf ab, ob sich die Sache im ausschliesslichen Gewahrsam des Täters befunden hat, sondern einzig darauf, ob sie ihm anvertraut gewesen ist. Die dem Eigentümer oder einem Dritten neben dem Täter zustehende tatsächliche Verfügungsgewalt schliesst demnach die Anwendung jener Bestimmungen nicht aus (BGE 71 IV 8, BGE 72 IV 153).
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b) Der Beschwerdegegner bezeichnet dagegen in seiner Vernehmlassung als bundesrechtswidrig die Unterstellung seines Verhaltens unter Art. 140 bzw. 142 StGB, soweit dieses darin bestand, dass er von Kunden erhaltene Trinkgelder nicht abmachungsgemäss in die Trinkgeldkasse gelegt, sondern für sich verwendet hat. Er macht geltend, diese Trinkgelder persönlich erhalten zu haben, weswegen sie in sein Eigentum übergegangen seien. Dann aber seien sie für ihn keine fremden Sachen mehr gewesen, und es könne infolgedessen von einer Veruntreuung nicht die Rede sein.
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Der Umstand, dass die Kunden, die um die betriebsinterne Abmachung wahrscheinlich nicht wussten, die Trinkgelder dem Beschwerdegegner vorbehaltlos und ohne die Auflage, sie in die Trinkgeldkasse einzulegen, gegeben haben, dürfte den Tatsachen entsprechen, ist jedoch im vorliegenden Falle unbehelflich. Gemäss vertraglicher Abmachung zwischen der Auto-Silo AG und ihren Tankwarten bestand deren Gehalt aus einem Grundlohn und den Trinkgeldern. Diese mussten von den jeweils diensttuenden Angestellten in eine gemeinsame Kasse gelegt und bei Schichtwechsel gleichmässig aufgeteilt werden. Jeder der Tankwarte war somit kraft jener internen Vereinbarung, der auch der Beschwerdegegner zugestimmt hatte, beim Empfang der Trinkgelder gleichsam Treuhänder seiner Arbeitskollegen, die gleich dem Beschwerdegegner aus der Vereinbarung vermögensrechtliche Ansprüche ableiteten. Die in seinen Besitz gelangten Trinkgelder waren ihm demnach im Vertrauen darauf belassen, dass er sie bestimmungsgemäss verwende, d.h. an die gemeinsame Kasse abliefere. Dass diese Zweckbestimmung ihnen nicht von den Kunden beigelegt wurde, tut nichts zur Sache. Auch dem Arbeitgeber, dem zur Bezahlung der AHV-Beiträge seiner Angestellten einzig die Geschäftseinnahmen zur Verfügung stehen, sind diese im Umfang jener Beträge anvertraut, obschon seine Kunden ohne entsprechende Auflage an ihn persönlich bezahlt hatten, die Zweckbestimmung der Gelder insoweit also nicht von den Kunden ausgegangen war. Damit stimmt auch überein, dass es nach Art. 140 und 142 StGB belanglos ist, von wem der Täter die Sache erhält, ob vom Verletzten oder von einem Dritten. Entscheidend ist, dass er die Sache hat, und dies auf Grund eines Vertrauensverhältnisses (BGE 94 IV 139), das auf einer vertraglichen Vereinbarung beruhen kann, an welcher die Person, die dem Täter die Sache gegeben hat, in keiner Weise beteiligt ist. Im vorliegenden Falle waren somit die dem Beschwerdegegner von den Kunden gegebenen Trinkgelder kraft der betriebsinternen Regelung in dem Augenblick anvertraut, in welchem sie in seine Hände gelangten. Dass sie möglicherweise mit der Inempfangnahme zivilrechtlich sein Eigentum wurden, ändert nichts daran, dass sie jedenfalls wirtschaftlich fremdes Gut waren, über das er nicht nach Belieben verfügen durfte (BGE 81 IV 233).
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2. Die Staatsanwaltschaft wirft ihrerseits dem Obergericht vor, insofern Bundesrecht verletzt zu haben, als es auf den vorliegenden Fall anstelle von Art. 140 Ziff. 1 StGB die Bestimmung des Art. 142 StGB angewendet habe. Es habe aus dem Wortlaut dieses Artikels geschlossen, dass es im Gegensatz zu Art. 138 StGB bei Art. 142 StGB lediglich auf die Geringfügigkeit des Objekts und nicht auf die Motive des Täters ankomme. Eigenartigerweise habe dann aber die Vorinstanz doch bei der Qualifikation der Tat auch das Vorleben des Beschwerdegegners berücksichtigt. Diese widersprüchliche Haltung zeige, dass die vom blossen Gesetzeswortlaut abgeleitete Auffassung nicht zu befriedigen vermöge. Es sei mit der betont subjektiven Grundhaltung unseres Strafrechtes nicht vereinbar, einfach auf die objektive Geringfügigkeit der veruntreuten Sache abzustellen. Ausschlaggebend sei vielmehr, ob die Tat vor allem nach subjektiven Momenten als geringfügig erscheine. Davon könne jedoch im vorliegenden Fall keine Rede sein. Einmal hätten die Trinkgelder für die Tankwarte der Auto-Silo AG einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Entlöhnung gebildet. Zum andern habe Läderach zum Nachteil eines ihm unterstellten Arbeitskollegen gehandelt, was seinen Vertrauensmissbrauch als ausgesprochen gemein erscheinen lasse. Wenn man den Begriff des geringen Wertes in Art. 142 StGB als ein normatives Tatbestandsmerkmal auffasse, das vom Richter in wertender Würdigung aller, auch der subjektiven Umstände der Tat im Einzelfall anzuwenden sei, dann könnten die vom Beschwerdegegner begangenen Handlungen, auch wenn man gemäss BGE 68 IV 135 die Deliktsbeträge für die drei in Frage stehenden Tage einzeln betrachte, nicht mehr als geringfügige Veruntreuungen bezeichnet werden.
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Die Auffassung des Obergerichtes, wonach Art. 142 StGB im Unterschied zu Art. 138 StGB kein Handeln des Täters aus einem besonderen entlastenden Motiv oder einer besonderen seelischen Verfassung heraus voraussetzt, trifft zu. Es genügt in der Tat als Privilegierungsgrund die Geringfügigkeit der veruntreuten Sache (GERMANN, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, S. 269, N. 1 zu Art. 142; LOGOZ, N. 1 und 2 zu Art. 142). Das will jedoch nicht heissen, dass dieser Begriff bloss im objektiven Sinne zu verstehen sei. Auch wenn Art. 142 StGB nicht zusätzlich einen bestimmten Beweggrund des Handelns verlangt, so ist die veruntreute Sache nichtsdestoweniger unter Berücksichtigung aller, d.h. sowohl der objektiven wie der subjektiven Umstände zu würdigen, mit der Folge, dass ein und derselbe Wert je nach den Besonderheiten des konkreten Falles einmal als gering erscheint, das andere Mal nicht. Es wäre denn auch nicht einzusehen, warum der Begriff der Sache von geringem Wert nach Art. 142 StGB anders ausgelegt werden sollte als in Art. 138 StGB. Wenn das Bundesgericht in Anwendung der letztgenannten Bestimmung entschieden hat, dass es für die Beantwortung der Frage nach der Geringfügigkeit der Sache auf alle, auch die subjektiven Umstände ankomme (BGE 80 IV 242), so hat es damit nicht in erster Linie die in Art. 138 StGB selber genannten Motive gemeint, die neben der Geringfügigkeit der Sache selbständige Tatbestandsmerkmale darstellen, sondern ganz allgemein das Verschulden des Täters im Auge gehabt, was insbesondere auch aus der Tatsache folgt, dass es unter den subjektiven Umständen ausdrücklich das Wissen des Täters um die wirtschaftliche Lage des Opfers erwähnt hat (BGE 68 IV 135, BGE 75 IV 54; LOGOZ, a.a.O. N. 2 zu Art. 138 mit Verweisungen). Dass der Gesetzgeber in Art. 142 StGB vom Erfordernis besonderer Beweggründe abgesehen hat, führt somit nicht zum Schluss, dass der Begriff der Geringfügigkeit der Sache anders zu verstehen sei als in Art. 138 StGB. Er ist in beiden Bestimmungen vielmehr der gleiche (HAEFLIGER, Der Deliktsbetrag, ZStR 70, S. 86; LOGOZ, N. 1 zu Art. 142 StGB; SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Nr. 547 i.f. in Verbindung mit Nr. 543 Ziff. 1).
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Im vorliegenden Fall hat das Obergericht unter Berufung auf BGE 68 IV 135 zunächst festgestellt, dass "im Zweifel" der Richter den Umständen des einzelnen Falles Rechnung tragen müsse. Sodann hat es seine Auffassung, wonach ein Betrag von Fr. 26.25 zweifellos einen geringen Wert darstelle, einzig mit der starken Geldentwertung der letzten Jahre begründet, um schliesslich zum Ergebnis zu gelangen, es liege "in Würdigung aller Umstände, vor allem auch der Tatsache, dass der Angeklagte mit Ausnahme von vier Strassenverkehrsdelikten ... nicht vorbestraft ist", bloss eine geringfügige Veruntreuung vor.
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Indem die Vorinstanz damit eine Berücksichtigung aller Umstände, einschliesslich der subjektiven Verhältnisse, grundsätzlich bloss im Zweifelsfall für geboten hielt, hat sie verkannt, dass die Rechtsprechung zu Art. 138 StGB inzwischen über die Aussagen in BGE 68 IV 135 hinausgegangen und in Übereinstimmung mit der Lehre (LOGOZ, N. 2 i.f. und die dort angeführte Literatur, insbes. HAEFLIGER, a.a.O.) allgemein eine Würdigung des Wertes der Sache auch nach subjektiven Gesichtspunkten gefordert hat (BGE 80 IV 242). Des weitern ist nicht ersichtlich, was das Obergericht mit der Würdigung "aller Umstände" ausser der erwähnten Geldentwertung und dem Vorleben des Beschwerdegegners im einzelnen gemeint hat. Die Geldentwertung jedoch stellt ein bloss objektives Wertungsmoment dar, und was die Tatsache anbelangt, dass Läderach bis anhin nur wegen Strassenverkehrsdelikten bestraft worden ist, handelt es sich dabei um einen Umstand, der wohl im Rahmen der Strafzumessung beachtlich ist (Art. 63 StGB), darüber jedoch, ob die veruntreute Sache von geringem Wert gewesen sei, im vorliegenden Fall nichts auszusagen vermag.
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Angesichts dessen lässt sich eine Rückweisung der Sache zu neuer Entscheidung nicht umgehen. Zwar ist der Vorinstanz zuzugestehen, dass bei Anlegung bloss objektiver Masstäbe die veruntreuten Gelder von geringem Wert waren, zumal wenn man von dem auch von der Staatsanwaltschaft insoweit nicht angefochtenen, auf wiederholte und fortgesetzte Tatbegehung lautenden Schuldspruch ausgeht. Danach hat nämlich das Obergericht in Übereinstimmung mit dem Kantonsgericht angenommen, dass Läderach an den drei hier in Betracht fallenden Tagen (6., 9. und 10. März 1970) jeweils bei Arbeitsantritt den Vorsatz gefasst hatte, einen Teil der Trinkgelder zu veruntreuen. Entsprechend hat es drei zunächst zeitlich getrennte Tatgruppen unterschieden und diese als wiederholte Veruntreuungen bezeichnet, um sodann die innerhalb einer jeden Tatgruppe verübten und durch ein und denselben Vorsatz gedeckten Handlungen als fortgesetzte Begehung zu qualifizieren. Da nach der Rechtsprechung bei wiederholter Tatbegehung der Wert der verschiedenen veruntreuten Sachen nicht zusammenzuzählen ist (BGE 68 IV 99), belaufen sich im vorliegenden Falle die drei Deliktswerte, wie sie nach dem angefochtenen Urteil auf die genannten drei Tage entfallen, auf Fr. 12.-, Fr. 7.85 und Fr. 6.40. Das sind objektiv gesehen geringfügige Beträge, die zweifelsfrei unterhalb jenes obersten Grenzwertes liegen, der in jedem Fall die Veruntreuung nach Art. 142 StGB von derjenigen des Art. 140 StGB scheidet (vgl. SJZ 1969, S. 79).
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Indessen ergibt sich weder aus dem angefochtenen Urteil noch aus den Akten, in welchem Verhältnis diese Beträge zum Tagesverdienst des Geschädigten standen, welches dessen vermögensrechtliche Lage war, ob dieser für den Unterhalt einer eigenen Familie oder weiterer Angehöriger aufzukommen hatte, wie gross die Zahl der ihm gegenüber Unterhaltsberechtigten war usw. Diese Fragen wird die Vorinstanz noch beantworten müssen. Sollte sich dabei ergeben, dass jene Beträge einen nicht unwesentlichen Teil eines Taglohns des Geschädigten ausmachten, dass dieser angesichts seiner familienrechtlichen Verpflichtungen dringend auf seinen vollen Verdienst angewiesen war und dass dem Beschwerdegegner in seiner Stellung als Personalchef-Stellvertreter und Tankwart dies bekannt war, dann könnte von geringfügigen Veruntreuungen im Sinne des Art. 142 StGB nicht mehr die Rede sein, und es wäre Läderach unbekümmert um die objektive Geringfügigkeit der unrechtmässig verwendeten Geldbeträge wegen Veruntreuung nach Art. 140 Ziff. 1 StGB zu bestrafen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Beschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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