BGE 98 IV 134
 
24. Urteil des Kassationshofes vom 2. Juni 1972 i.S. Vogel gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
 
Regeste
Art. 31 Abs. 2 der eidgenössischen Lebensmittelverordnung.
2. Die Rüge, diese Vorschrift verletze den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, ist mit staatsrechtlicher Beschwerde vorzutragen (Erw. 2).
 
Sachverhalt
A.- Am 25. und 26. Februar 1970 nahm Julius Vogel als Reisender der diätetische Lebensmittel herstellenden Firma Edifors in Privathäusern in Beinwil a/See Bestellungen für Kraftwein und Hefekraftwein auf. Da die Bestellungsaufnahme von solchen Erzeugnissen nur bei Wiederverkäufern gestattet ist (Art. 31 Abs. 2 LMV), wurde er von der Polizei verzeigt und vom Bezirksamt Kulm mit Strafbefehl vom 2. Juni 1970 in eine Busse von Fr. 100.-- verfällt.
Auf Einsprache des Gebüssten hin bestätigte das Bezirksgericht Kulm die Geldstrafe.
Die von Vogel gegen dieses Urteil erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau am 7. Januar 1972 ab.
B.- Der Angeklagte führt Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
b) Grundlage der eidg. Verordnung über den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen (LMV) ist Art. 54 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen (LMG). Dieser beauftragt den Bundesrat, die nötigen Vorschriften zum Schutze der Gesundheit und zur Verhütung von Täuschungen im Verkehr mit Waren und Gegenständen, die den Bestimmungen dieses Gesetzes unterliegen, zu erlassen. Art. 54 Abs. 1 LMG bestimmt also bloss den Zweck, den die zu erlassenden Ausführungsvorschriften zu verfolgen haben, und überlässt es dem Ermessen des Bundesrates, über Art und Umfang der Massnahmen zu befinden, die er zur Erreichung des gesetzten Zieles für geeignet und nötig hält. Es ist deshalb zunächst zu prüfen, ob Art. 31 Abs. 2 LMV den von Art. 54 Abs. 1 LMG vorgeschriebenen Zwecken dient, also den Schutz der Gesundheit und die Verhütung von Täuschungen im Verkehr mit Waren und Gegenständen, die den Bestimmungen des LMG unterliegen, sicherzustellen vermag. Dabei darf der Richter nicht etwa sein eigenes Ermessen an die Stelle jenes des Bundesrates treten lassen. Vielmehr hat er sich auf die Prüfung zu beschränken, ob sich der Bundesrat mit dem Erlass von Art. 31 Abs. 2 LMV eines Mittels bedient habe, das objektiv dem durch Art. 54 Abs. 1 LMG verfolgten Zweck dient, d.h. ob das Verbot der Bestellungsaufnahme von diätetischen Lebensmitteln beim Konsumenten zum Schutze der Gesundheit oder zur Verhütung von Täuschungen im Verkehr überhaupt geeignet ist (BGE 92 IV 109 /10).
Art. 182 Abs. 3 LMV schreibt vor, dass Anpreisungen für diätetische Nährmittel vom eidgenössischen Gesundheitsamt bewilligt werden müssen. Diese Bewilligung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Hersteller oder Verkäufer ein Gutachten eines schweizerischen Universitätsinstitutes oder einer staatlichen Klinik beibringt, wonach das betreffende Mittel zweckentsprechend zusammengesetzt sei und ihm die behaupteten Eigenschaften und Wirkungen tatsächlich zukommen. Mit dieser Vorschrift will der Genuss- und Nährwert derartiger Erzeugnisse gewährleistet und verhindert werden, dass diätetischen Lebensmitteln von Seiten der Verbraucher Eigenschaften zugeschrieben werden, die ihnen allenfalls den Charakter von Heilmitteln verleihen könnten.
Es ist nun Erfahrungstatsache, dass im Verkauf von Haus zu Haus durch Reisevertreter zwecks Erhöhung der Bestellungsaufnahmen beim Kunden oft falsche Vorstellungen über die Beschaffenheit und den Zweck der feilgehaltenen Ware geweckt werden, indem dieser günstigere und mitunter sogar unzutreffende heilende Eigenschaften nachgesagt werden. Gerade im Falle von diätetischen Lebensmitteln besteht also die Gefahr, dass der Reisevertreter bei unerfahrenen, unbeholfenen oder leicht beeinflussbaren Personen versucht ist, dem von ihm angebotenen Erzeugnis in Wirklichkeit nicht zukommende Eigenschaften hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Wirkung zuzuschreiben. Dadurch lassen sich namentlich kränkliche Leute dazu verleiten, im Hinblick auf den versprochenen heilenden Charakter das angepriesene Produkt, vielfach in grösseren Mengen, zu bestellen. Im Vertrauen auf die behauptete gesundheitsfördernde Eigenschaft versäumen die Käufer dann oft, sachkundigen ärztlichen Rat einzuholen und dementsprechend die gegen ein bestimmtes Leiden wirklich wirksamen Heilmittel anzuwenden. Es liegt daher im Interesse der Gesundheit und des Schutzes vor Täuschungen im Verkehr, dass die Bestellungsaufnahme von diätetischen Lebensmitteln beim Verbraucher untersagt wird. Die beanstandete Beschränkung, Bestellungen von diätetischen Lebensmitteln nur bei Wiederverkäufern zuzulassen, dient somit unzweifelhaft dem in Art. 54 Abs. 1 LMG angestrebten Schutz der Gesundheit. Infolgedessen wird Art. 31 Abs. 2 LMV durch die Delegationsnorm gedeckt.
2. a) Der Beschwerdeführer rügt sodann auch eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit durch Art. 31 Abs. 2 LMV. Da die Anpreisungen diätetischer Lebensmittel vom eidgenössischen Gesundheitsamt bewilligt werden müssten, sei Gewähr für eine sachliche Aufklärung des Verbrauchers gegeben. Werde eine Bewilligung missbräuchlich verwendet, so könne das Gesundheitsamt sie widerrufen. Behaupte ein Kleinreisender gegenüber einem Kaufsinteressenten vom angepriesenen Erzeugnis eine krankheitheilende oder krankheitverhütende Wirkung, so verletze er Art. 182 Abs. 1 LMV und könne gemäss Art. 41 LMG bestraft werden. Einem Kleinreisenden, der sich eines unredlichen Geschäftsgebarens schuldig mache, werde zudem die Taxkarte entzogen. Wenn diese administrativen und strafrechtlichen Repressivmittel angewendet würden, so erübrige sich daher ein Verbot der Bestellungsaufnahme von diätetischen Lebensmitteln beim Verbraucher.
b) Mit diesem Einwand rügt der Beschwerdeführer, dass Art. 31 Abs. 2 LMV den Grundsatz der Verhältnismässigkeit jedes Eingriffs in Freiheitsrechte verletze. In der Tat erheischt dieser Grundsatz, der nicht nur für Gesetzes-, sondern auch für auf gesetzlicher Delegation beruhende Verordnungsbestimmungen des Bundesrates gilt, dass Einschränkungen der Freiheitsrechte, also unter anderem auch der Handels- und Gewerbefreiheit, nicht über das Mass hinausgehen, welches unerlässlich ist, um den angestrebten gewerbepolizeilichen Zweck zu erfüllen. Diese Einschränkungen müssen also das im öffentlichen Interesse verfolgte Ziel, so wie es im Gesetz umschrieben wird, unter möglichster Schonung der Freiheit des Einzelnen verwirklichen. Die eingesetzten Mittel haben mithin in einem vernünftigen Verhältnis zu dem vom Gesetz gesteckten Ziele zu stehen, müssen sich mit andern Worten mit den dazu wirklich notwendigen Freiheitsbeschränkungen begnügen (BGE 93 I 219 E. 6, BGE 92 I 35 E. 7 und BGE 91 I 464). Dieser Grundsatz der Verhältnismässigkeit jedes Eingriffs in Freiheitsrechte - also namentlich auch im Bereich der Handels- und Gewerbefreiheit - wird durch die Bundesverfassung gewährleistet (BGE 97 I 843 E. 4, BGE 94 I 397 E. 3, BGE 93 I 219 und BGE 92 I 35 E. 7).
Deshalb hat das Bundesgericht auf eine entsprechende Rüge hin grundsätzlich eine bundesrätliche Vollziehungsverordnung auch daraufhin zu überprüfen, ob sie das Prinzip der Verhältnismässigkeit eines in ihr statuierten Eingriffs in ein Freiheitsrecht wahre oder nicht (BGE 97 I 844 E. 6, BGE 94 I 397 E. 3 und dortige Hinweise). Allein, die fragliche Rüge kann - gerade weil sie einen Verfassungsgrundsatz beschlägt - nicht im eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren erhoben werden. Denn dieses Rechtsmittel ist nur gegen Verletzungen eidg. Gesetzesrechtes gegeben (Art. 269 Abs. 1 BStP). Verstösse gegen verfassungsmässige Rechte hingegen sind kraft ausdrücklicher Bestimmung mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen (Art. 269 Abs. 2 BStP). Der vom Beschwerdeführer im vorliegenden Fall erhobene Einwand, Art. 31 Abs. 2 LMV wahre die sich aus der Verfassung ergebende Schranke der Verhältnismässigkeit des Eingriffs in die Handels- und Gewerbefreiheit nicht, hätte daher nicht mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde, sondern mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss Art. 84 ff. OG vorgetragen werden sollen. Das hat zur Folge, dass in diesem Punkte nicht auf die erhobene Nichtigkeitsbeschwerde eingetreten werden kann (BGE 92 IV 109 /10, BGE 91 I 34 E. 1,BGE 76 IV 290E. 1 undBGE 75 IV 79E. 1).
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.