BGE 98 IV 156 |
30. Urteil des Kassationshofes vom 23. Juni 1972 i.S. A. gegen Generalprokurator des Kantons Bern. |
Regeste |
Art. 13 StGB. |
Sachverhalt |
B.- Der Gerichtspräsident VIII von Bern verurteilte sie am 12. Oktober 1971 wegen Diebstahls zu 14 Tagen Gefängnis als Zustatzstrafe zum Urteil des Gerichtspräsidenten VI von Bern vom 23. April 1971. Er nahm an, ihre Zurechnungsfähigkeit sei bei Begehung der Tat in leichtem bis mittlerem Grad vermindert gewesen (Art. 11 StGB).
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Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 29. Februar 1972 Schuldspruch und Strafe. Es lehnte die Anwendung von Art. 11 StGB ab und trug der "besonderen Situation" der Angeklagten lediglich im Rahmen von Art. 63 StGB Rechnung.
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Der Generalprokurator beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: |
2. Wie die Vorinstanz feststellt, leidet die Tochter der Beschwerdeführerin, mit der diese zusammenlebt, an schubweise auftretender Schizophrenie. Das legt die Möglichkeit nahe, dass die Krankheit in der einen oder andern Form auch bei der Beschwerdeführerin besteht. Das Obergericht verweist weiter auf ein Schreiben vom 20. April 1972 des Psychiaters Dr. O., der die Tochter der Beschwerdeführerin behandelt. Darin teilt der Spezialarzt dem Anwalt der Beschwerdeführerin im Sinne "vorläufiger summarischer Angaben" mit, er kenne die Beschwerdeführerin seit vier Jahren und habe feststellen können, dass sie unter den psychischen Störungen und den abnormen Reaktionen ihrer einzigen Tochter sehr leide. Unter dem Drucke dieser unerfreulichen Situation habe auch sie eindeutig mit echten und tiefgehenden depressiven Verstimmungen reagiert. Sollte Frau A. die ihr zur Last gelegten Ladendiebstähle begangen haben, so stehe für ihn ausser Frage, dass dazu in erheblichem Masse der Umstand beigetragen habe, dass die seit Jahren dauernde übergrosse seelische Belastung wegen der Krankheit ihrer Tochter bei ihr einen seelischen Ausnahmezustand erzeugt habe. Diese Umstände, zu denen noch das hartnäckige Bestreiten der Tat trotz erdrückender Indizien kommt, hätten bei der Vorinstanz Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit wecken sollen, über die sie sich umso weniger hinwegsetzen durfte, als sie keinen persönlichen Eindruck von der Angeklagten hatte. Die Sache ist deshalb an das Obergericht zurückzuweisen. Dieses hat den Geisteszustand der Beschwerdeführerin durch einen oder mehrere Sachverständige untersuchen zu lassen. In Würdigung der Begutachtung wird es sodann die Sache hinsichtlich Schuld, Strafe und Gewährung des bedingten Strafvollzugs neu prüfen müssen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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