BGE 98 IV 305 |
59. Urteil des Kassationshofes vom 14. November 1972 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen. |
Regeste |
1. Art. 274 BStP. |
2. Art. 64 Abs. 5 StGB. Tätige Reue. |
Aufrichtige Reue verlangt vom Täter ein Verhalten, das eine besondere Anstrengung darstellt und deutlich mit dem beurteilten Delikt in Zusammenhang steht, als durch dieses veranlasst erscheint und nicht bloss auf taktischen Gründen beruht (Erw. 2). |
Sachverhalt |
X. focht dieses Urteil mit der Berufung an das Obergericht des Kantons Schaffhausen an, wobei er u.a. geltend machte, es sei als tätige Reue strafmildernd zu bewerten, dass er seit einem Jahr als Mitgleid der "Hydra" drogenfrei lebe und nun sein Dasein unter Verzicht auf erhebliche ökonomische Vorteile und finanziellen Erfolg als Berufsarbeiter in den Kampf gegen die Droge gestellt habe.
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Am 2. Juni 1972 bestätigte das Obergericht den erstinstanzlichen Entscheid. Es verneinte dabei das Vorliegen tätiger Reue mit der Begründung, dass diese nach Art. 22 Abs. 2 StGB nur gegeben sei, wenn der Täter aus eigenem Antrieb zum Nichteintritt des Erfolgs beigetragen oder den Eintritt des Erfolgs verhindert habe. Letzteres bedeute aber, dass der Täter den Erfolg seiner deliktischen Tätigkeit verhindert haben müsse. Auf X. treffe das nicht zu. Den Schaden, den er bei seinen jungen Kollegen verursacht habe, indem er sie zum Drogenkonsum verleitete und möglicherweise in die Drogenabhängigkeit geführt habe, könne er an diesen Geschädigten nicht gutmachen. Von tätiger Reue könne deshalb nicht die Rede sein.
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B.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde wirft X. dem Obergericht vor, es habe zu Unrecht unter Hinweis auf Art. 22 Abs. 2 StGB angenommen, tätige Reue liege nur vor, wenn jemand aus eigenem Antrieb zum Nichteintritt des Erfolgs beigetragen oder den Eintritt des Erfolgs verhindert habe; diese Auffassung sei zu eng und gehe aus vom unvollendeten Delikt (Art. 22 StGB); er habe jedoch die Anwendung von Art. 64 StGB verlangt; auch in der mündlichen Eröffnung habe der Präsident des Obergerichtes Gewicht darauf gelegt, dass der Beschwerdeführer nicht aus eigenem Antrieb gehandelt habe; darauf komme jedoch nach Art. 64 StGB nichts an; im übrigen bekunde ein junger, schwer drogenabhängiger Mann, der sich aufraffe, ohne Drogen zu leben, und sich einer Organisation im Kampf gegen die verbotenen Drogen zur Verfügung stelle, tätige Reue.
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Mit Eingabe vom 17. Oktober 1972 teilte das Obergericht dem Bundesgericht mit, dass bei der Urteilsredaktion ein Versehen unterlaufen sei, das es im Sinne einer Erläuterung folgendermassen richtigstellen wolle: Der Anwalt des Beschwerdeführers habe im kantonalen Verfahren den Strafmilderungsgrund der tätigen Reue nach Art. 64 StGB angerufen, und das Obergericht habe bei der Urteilsberatung geprüft, ob das Verhalten von X. nach Vollendung der Rauschgiftdelikte die Anwendung des Strafmilderungsgrundes der tätigen Reue zu rechtfertigen vermöge. Die Frage sei verneint worden, weil die vom Beschwerdeführer behauptete Drogenabstinenz als solche keine tätige Reue darstelle. Die ebenfalls geltend gemachte Mitarbeit im "Sozialpädagogischen Kollektiv der Hydra" habe es nach Art. 64 StGB ebenfalls nicht berücksichtigen können, da keinerlei konkrete Angaben über die Bekämpfung des Drogenkonsums vorgebracht und glaubhaft gemacht worden seien.
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Am 25. Oktober 1972 ersuchte der Beschwerdeführer das Bundesgericht, auf die Eingabe des Obergerichtes vom 17.Oktober 1972 nicht einzutreten. Nach der Schaffhauser StPO bestehe keine Möglichkeit, ein Urteil zu erläutern. Der Brief sei im übrigen ausser durch den Obergerichtspräsidenten durch den Obergerichtsschreiber unterzeichnet worden, der jedoch an der Berufungsverhandlung, der Urteilsberatung und der mündlichen Urteilseröffnung nicht zugegen gewesen sei und deshalb auch nicht bestätigen könne, dass der ad hoc beigezogenen Urteilsredaktorin ein Redaktionsversehen unterlaufen sei. Zudem bestehe ein erheblicher Widerspruch zwischen der mündlichen Eröffnung und dem Schreiben vom 17. Oktober 1972.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: |
1. Zur Entscheidung der Frage, ob die in der Eingabe des Obergerichtes vom 17. Oktober 1972 enthaltenen Vorbringen bei der Urteilsfindung durch den Kassationshof berücksichtigt werden dürfen oder nicht, ist davon auszugehen, dass Art. 274 BStP der kantonalen Instanz das Recht einräumt, Gegenbemerkungen zur Beschwerde einzureichen. Wie jedoch das Bundesgericht schon bei früherer Gelegenheit entschieden hat, können durch diese Gegenbemerkungen weder fehlende Urteilsgründe ersetzt noch die vorhandenen Erwägungen ergänzt werden. Die Parteien müssen nach Art. 272 Abs. 2 BStP an Hand der ihnen mitgeteilten Begründung zum Entscheid Stellung nehmen können, um darnach gemäss Art. 273 Abs. 1 BStP ihren Antrag zu stellen und diesen zu begründen, d.h. anzugeben, welche Punkte des Entscheides angefochten werden und welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie verletzt seien (nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1958 i.S. Engeli). Was das Obergericht im vorliegenden Fall in seinen - übrigens nicht gleichzeitig mit der Beschwerde und ihrem Entscheid (Art. 274 BStP), sondern erst nachträglich - eingesandten Gegenbemerkungen ausführt, geht über den Rahmen blosser Erläuterungen der im Urteil enthaltenen Gründe hinaus. Die Vorinstanz macht geltend, sie sei in der Urteilsberatung zu einer Verneinung des Strafmilderungsgrundes gelangt, weil sie die von der Verteidigung behauptete Drogenabstinenz als solche schon nicht als tätige Reue gemäss Art. 64 StGB gewertet habe. Auch habe sie die Mitarbeit von X. im "Sozialpädagogischen Kollektiv der Hydra" nicht als tätige Reue anerkennen können, weil keine konkreten Angaben über die Bekämpfung des Drogenkonsums vorgebracht und glaubhaft gemacht worden seien. Hievon ist jedoch im angefochtenen Urteil, das eine ganz andere Begründung enthält, mit keinem Wort die Rede. Diese in der Eingabe des Obergerichtes vom 17. Oktober 1972 enthaltenen Vorbringen müssen deshalb unbeachtet bleiben. Anders kann es sich dagegen bezüglich der Behauptung verhalten, es sei bei der Zitierung einer Gesetzesbestimmung ein Versehen unterlaufen. Soweit es sich dabei um einen Hinweis auf einen offensichtlichen Verschrieb handelt, hat die Rechtsprechung ihn bis anhin berücksichtigt. Ob im vorliegenden Fall dem Vorbringen der Vorinstanz dieser Charakter zukommt, wird im Zusammenhang mit der Überprüfung der im angefochtenen Urteil enthaltenen Begründung zu entscheiden sein. Unter Vorbehalt der Annahme eines solchen Versehens wird daher der Kassationshof nach dem Gesagten aufgrund der Erwägungen zu entscheiden haben, die im angefochtenen Urteil selber enthalten sind.
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2. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Verfahren vor Obergericht den Strafmilderungsgrund der aufrichtigen Reue geltend gemacht und sich dabei auf sein Verhalten nach der Tat berufen hat. Da er vom Obergericht nur wegen vollendeter Delikte verurteilt worden ist, können die Erwägungen der Vorinstanz, die sich mit jenen Vorbringen von X. befassen, an sich vernünftigerweise auch nur den Strafmilderungsgrund im Sinne des Art. 64 Abs. 5 StGB zum Gegenstand haben. Das gilt zweifellos für die Erwägung auf Seite 12 des Urteils, wo das Obergericht feststellt, der Beschwerdeführer habe zur Begründung seines Antrags "auf eine Reduktion der vom Kantonsgericht ausgesprochenen Strafe im Sinne einer Strafmilderung gemäss Art. 22 StGB" seine tätige Reue angeführt. Hier liegt in der Zitierung des Art. 22 StGB ein offensichtliches Versehen, das ohne weiteres berichtigt werden kann. Dagegen muss der auf Seite 13 des angefochtenen Urteils enthaltene Hinweis auf Art. 22 Abs. 2 StGB nicht notwendig als Versehen bewertet werden. Vielmehr könnte er nach dem Zusammenhang auch dahin verstanden werden, dass dieVorinstanz zur Auslegung von Art. 64 Abs. 5 StGB die Bestimmung des Art. 22 Abs. 2 StGB hatte heranziehen wollen. Wie es sich damit tatsächlich verhält, braucht indessen nicht entschieden zu werden, weil die Begründung der Vorinstanz in keinem Fall standhält. So gehen die rechtlichen Erwägungen in diesem Punkte an der Tatsache vorbei, dass Art. 64 Abs. 5 StGB anders als Art. 22 Abs. 2 StGB bloss von der Betätigung aufrichtiger Reue spricht, ohne ein Handeln aus eigenem Antrieb zu verlangen. Wohl hat der Kassationshof in BGE 73 IV 160 Erw. 2 als Beispiel aufrichtiger Reue u.a. das Verhalten des Diebes erwähnt, der dem Bestohlenen die Sache "aus eigenem Antrieb" zurückbringt. Damit wollte jedoch nicht für alle Fälle der eigene, innere Antrieb des Handelns als zwingende Voraussetzung aufrichtiger Reue bezeichnet werden. In der Regel wird hierin zwar ein entscheidendes Merkmal reuigen Verhaltens zu erblicken sein. Je nach den Umständen des Falles kann indessen aufrichtige Reue auch der Täter bekunden, der von dritter Seite dazu veranlasst worden ist (nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes i.S. Schuppli vom 11. März 1970). Des weiteren verkennt der angefochtene Entscheid, dass Art. 64 Abs. 5 StGB von der Vollendung der Tat ausgeht und daher nicht die Verhinderung des Erfolgs der eigenen deliktischen Tätigkeit voraussetzt. Auch verlangt die genannte Bestimmung nicht, dass aufrichtige Reue in jedem Fall durch Wiedergutmachung des gerade dem Geschädigten zugefügten Schadens bekundet werden müsse. Soweit das Gesetz die zumutbare Leistung von Schadenersatz erwähnt, geschieht dies im Sinne eines Beispiels. Dieses ist zwar als Hinweis darauf zu werten, dass im Regelfall der Täter seine aufrichtige Reue durch Wiedergutmachung des durch die strafbare Handlung angerichteten Schadens bekunden muss. Wo solches aber nicht möglich ist, bleibt nach Wortlaut und Sinn der Bestimmung auch für eine andere Art reuigen Verhaltens Raum, das nicht unmittelbar auf den Geschädigten Bezug haben muss. Voraussetzung ist bloss, dass es deutlich mit dem beurteilten Delikt in Zusammenhang steht, als durch dieses veranlasst erscheint und nicht bloss auf taktischen Gründen beruht; denn aufrichtige Reue verlangt vom Täter eine besondere Anstrengung, zu der er sich nicht nur vorübergehend und unter dem Druck eines drohenden oder hängigen Strafverfahrens herbeilässt (BGE 96 IV 110). Es ist deshalb denkbar, dass ein Motorfahrzeugführer, der in angetrunkenem Zustand einen Fussgänger, der keine näheren Angehörigen hatte, überfahren und getötet hat, seine Reue über die Tat dadurch bekundet, dass er sich nicht nur zur Abstinenz verpflichtet - was nach Art. 64 Abs. 5 StGB nicht genügen würde -, sondern überdies seine Kräfte unter Erbringung persönlicher Opfer für längere Zeit einer Organisation zur Verfügung stellt, die sich die Betreuung und Resozialisierung von Alkoholikern zur Aufgabe gemacht hat.
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Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz aufrichtige Reue verneint, weil der Beschwerdeführer den Schaden, den er bei seinen jungen Kollegen verursacht habe, indem er sie zum Drogenkonsum verleitet und möglicherweise in die Drogenabhängigkeit geführt habe, an diesen Geschädigten nicht gutmachen könne. Diese Unmöglichkeit schliesst nach dem Gesagten die Bekundung aufrichtiger Reue nicht zum vorne herein aus. Die Vorinstanz durfte deshalb in ihrem Urteil über das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht hinweggehen, wonach dieser seit einem Jahr drogenfrei gelebt und unter Verzicht auf ein einträgliches Einkommen seine ganze Existenz als Mitglied der "Hydra" in den Kampfgegen die Droge gestellt habe. Denn ähnlich wie in dem zuvor erwähnten Beispiel des angetrunkenen Motorfahrzeugführers wird man auch im Fall eines drogensüchtigen Täters, der andere zum Drogenkonsum veranlasst hat, als Betätigung aufrichtiger Reue gelten lassen m üssen, wenn er aus innerer Umkehr und nicht bloss aus taktischen Gründen sich während längerer Dauer von den Drogen abgewendet hat und ernsthaft am Kampf gegen den Drogenmissbrauch teilnimmt. Dabei genügt freilich nicht schon der Anschluss an irgend eine Organisation, die vorgibt, Drogensüchtige von ihrem Übel befreien und einer gesunden Lebensweise zuführen zu wollen. Ein solches Unternehmen muss das Vertrauen verdienen, das angegebene Ziel ernsthaft anzustreben. Entscheidend ist aber in jedem Fall das Verhalten des Täters selbst. Leistet er unter eigenen Opfern während längerer Zeit nützliche Arbeit in der Bekämpfung der Drogensucht und bekundet er damit seine Reue über die begangene Tat, dann steht der Annahme des Milderungsgrundes von Art. 64 Abs. 5 StGB nichts im Wege.
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Da sich aus dem angefochtenen Urteil nicht ergibt, wie es sich diesbezüglich im vorliegenden Fall verhalten hat, ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Frage der aufrichtigen Reue im Sinne der vorgenannten Erwägungen prüfe. Sollte sie dabei zum Ergebnis gelangen, dass der Beschwerdeführer durch sein Verhalten nach der Tat aufrichtige Reue bekundet hat, so wäre sie deswegen noch nicht ohne weiteres zur Herabsetzung der Strafe nach Art. 65 StGB verpflichtet. Denn Art. 64 StGB stellt es ins Ermessen des Sachrichters, ob er bei Vorliegen gewisser in dieser Bestimmung aufgezählter Voraussetzungen die Strafe mildern will (BGE 97 IV 81).
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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