BGE 100 IV 12 |
4. Urteil des Kassationshofes vom 19. April 1974 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Mayer |
Regeste |
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1, Ziff., 2 Abs. 2 StGB. |
Sachverhalt |
A.- Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte Mayer am 6. Dezember 1973 wegen wiederholten Raubs, wiederholten Diebstahls, wiederholter Freiheitsberaubung sowie einer Anzahl weiterer Straftaten zu 6 1/2 Jahren Zuchthaus, Fr. 100.-- Busse und 10 Jahren Landesverweisung. Ferner verfügte es: "Der Angeklagte wird während des Strafverhaftes für solange, als es ärztlich geboten erscheint, gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 letzter Satz StGB psychotherapeutisch behandelt."
|
B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des Urteils hinsichtlich der psychotherapeutischen Behandlung.
|
Der Verurteilte beantragt Abweisung der Beschwerde und stellt das Begehren um unentgeltliche Verbeiständung.
|
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
Die Behandlung in der Strafanstalt entspricht dem Geist des Gesetzes und den Grundsätzen des modernen Strafvollzugs (vgl. zum letztern die Resolution des Ersten UNO-Kongresses vom 30. August 1955 über die Verhütung von Verbrechen und die Behandlung der Straffälligen, Art. 22 und 62, und die Resolution des Ministerkomitees des Europarates vom 19. Januar 1973, Art. 82 f.). Zu den Massnahmen und Einrichtungen für das seelische, geistige und körperliche Wohl der in Anstalten Eingewiesenen (Art. 46 Ziff. 2 StGB) gehört auch psychiatrische Beobachtung und Behandlung. Psychotherapeutische Betreuung in der Strafanstalt kann die Erziehung unterstützen und die Resozialisierung fördern (Art. 37 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Auch die Berichterstattung der Anstaltsleitung an die Entlassungsbehörde (Art. 38 Ziff. 1 Abs. 3 StGB) kann vielfach nervenärztlichen Rat nicht entbehren. Es wird den Anstalten, die lange Freiheitsstrafen zu vollziehen haben, nicht zuviel zugemutet mit der Forderung, dass sie in gewissem Masse psychiatrische Hilfe ermöglichen. Allenfalls kann der Beizug eines auswärtigen Psychiaters oder die Zuführung des Gefangenen zur auswärtigen Behandlung genügen.
|
a) Gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann der Richter die ambulante Behandlung anordnen, sofern der Täter für Dritte nicht gefährlich ist. Damit wollte der Gesetzgeber lediglich verhindern, dass gefährliche Abnorme in Freiheit bleiben. Die ambulante Behandlung im Strafvollzug gemäss Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 wurde damit nicht verneint. Während des Strafvollzugs ist der Gefährdung Dritter in gleicher Weise vorgebeugt, wie wenn der Täter in eine der in Art. 43 StGB vorgesehenen Anstalten eingewiesen worden wäre.
|
b) Erweist sich die ambulante Behandlung zum vornherein als ungenügend, muss der Richter den abnormen Täter schon durch Haupturteil in eine Heil- oder Pflegeanstalt einweisen. Die Möglichkeit, die ambulante Behandlung mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu verbinden, darf nicht zur Umgehung der in Art. 43 Ziff. 1 StGB vorgesehenen Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt führen. Ob auf Strafvollzug mit ambulanter Behandlung oder auf Anstaltseinweisung zu erkennen ist, hängt vom Zustand des Täters ab. Stellt sich die ambulante Behandlung erst nachträglich als unzweckmässig oder für andere gefährlich heraus, erfordert jedoch der Geisteszustand des Täters ärztliche Behandlung oder besondere Pflege, so ordnet der Richter die Einweisung in eine Heil-oder Pflegeanstalt an (Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 StGB). Befindet sich der Verurteilte im Strafvollzug und muss die ambulante Behandlung in Anstaltsbehandlung umgewandelt werden, so kann der Richter dies ebenfalls gemäss Ziff. 3 Abs. 2 des Art. 43 verfügen. Gleichzeitig hat er in Analogie zu Ziff. 2 Abs. 1 von Art. 43 den weiteren Vollzug der Freiheitsstrafe aufzuschieben. Die Verbindung der ambulanten Behandlung mit dem Strafvollzug hindert also den Richter nicht, die Massnahme nachträglich zu ändern und dem Verurteilten die nötige Psychotherapie zu verschaffen.
|
c) Auch die Befürchtung, die ambulante Behandlung im Strafvollzug hindere deren Fortsetzung nach der Entlassung, ist unbegründet. Wie die andern Massnahmen wird die ambulante Behandlung auf unbestimmte Zeit angeordnet, ohne Rücksicht auf Art und Dauer der ausgesprochenen Strafe. Massgebend ist einzig der Zustand des Täters und die Möglichkeit seiner Auswirkung in der Begehung strafbarer Handlungen. Deshalb wird die Massnahme gemäss Art. 43 Ziff. 4 Abs. 1 StGB erst dann völlig auf gehoben, "wenn ihr Grund weggefallen ist" (SCHULTZ, Allg. Teil II S. 117). Die ambulante Behandlung ist daher, wenn der Zustand des Täters es erfordert, nach der Entlassung fortzusetzen. Gefährdet der Täter, in Freiheit gesetzt, Dritte, ist seine Verwahrung anzuordnen (Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 3 Abs. 2 des Art. 43 StGB).
|
Das Urteil der Vorinstanz schliesst diese Möglichkeit nicht aus. Ziff. 2 des Dispositivs verfügt lediglich, dass die Behandlung "während des Strafverhaftes" erfolgen solle, womit der Aufschub der Strafe ausgeschlossen wurde. Dass sie nach dem Vollzug nicht fortgesetzt werden könne, steht weder im Urteilsspruch noch in der Begründung. Im Zweifel ist aber ein Urteil gesetzeskonform auszulegen.
|
3. a) Der Beschwerdegegner hat nach Feststellung der Vorinstanz die Verbrechen und Vergehen, derentwegen er verurteilt wurde, im Zustande leicht verminderter Zurechnungsfähigkeit verübt. Er ist auch dringend behandlungsbedürftig; die Vorinstanz sieht in einer Behandlung die einzige Möglichkeit, eine gewisse Resozialisierung des Täters zu erreichen. Damit sind die Voraussetzungen für Massnahmen im Sinne des Art. 43 StGB erfüllt.
|
b) Welche der in Art. 43 vorgesehenen Massnahmen anzuordnen ist und ob eine ambulante Behandlung im Strafvollzug durchgeführt werden soll, ist Ermessensfrage, die der Sachrichter entscheidet. Der Kassationshof kann nur eingreifen, wenn der kantonale Richter sein Ermessen überschreitet, von rechtlich unzulässigen Erwägungen ausgeht oder es unterlässt, sich gemäss Art. 43 Ziff. 1 Abs. 3 gutachtlich beraten zu lassen.
|
Im vorliegenden Fall hat das gerichtliche Gutachten zur Frage der Behandlung Stellung genommen. Dass es ohne ausdrückliche Expertenfrage geschah, ist unerheblich, sofern das Gutachten die Behandlungsbedürftigkeit hinreichend erörtert und der Richter es in Erwägung zieht.
|
Das Gutachten findet, in Regensdorf, wo der Beschwerdegegner die Strafe verbüsst, könne die Behandlung nur beschränkt durchgeführt werden. Zudem sei Mayers psychischer Zustand derart, dass er die Hafterstehungsfähigkeit immer wieder in Frage stelle. Von der Einweisung in eine psychiatrische Klinik sei vorerst abgesehen worden, weil der Beschwerdegegner sie eher ablehne. Der Strafanstalt könne die Betreuung des Beschwerdegegners auf die Dauer nicht zugemutet werden. Von einer Verwahrung im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 StGB sei aber abzusehen.
|
Zu diesen Bedenken äussert sich die Vorinstanz nicht. Zwar beurteilt sie den Geisteszustand des Beschwerdegegners weit günstiger als der Sachverständige. Sie sagt aber nicht, weshalb sie die ambulante Behandlung im Strafvollzug anderen Massnahmen vorzieht.
|
Trotz dieses Mangels kann die Nichtigkeitsbeschwerde nicht geschützt werden. Die Staatsanwaltschaft beantragt einzig, die Anordnung der ambulanten Behandlung aufzuheben. Der Kassationshof würde im Widerspruch zu Art. 277bis BStP über die Anträge der Beschwerdeführerin hinausgehen, wenn er die Vorinstanz prüfen hiesse, ob statt der ambulanten Behandlung im Vollzuge eine andere der in Art. 43 StGB vorgesehenen Massnahmen anzuordnen sei. Die Beschwerde könnte nur gutgeheissen werden, wenn die ambulante Behandlung in der Strafanstalt sich sachlich nicht rechtfertigen liesse. Davon kann nicht die Rede sein. Die Behandlungsbedürftigkeit steht fest, sodass es unverantwortlich wäre, den Strafvollzug ohne besondere Betreuung durchzuführen. Geht man mit der Vorinstanz davon aus, dass die Zurechnungsfähigkeit des Täters weit weniger herabgesetzt war, als der Experte angenommen hat, so vergrössert sich die Aussicht auf erfolgreiche Behandlung in der Anstalt umso mehr, als der Verurteilte selber diese Behandlungsweise vorzieht. Sollte sich aber die psychotherapeutische Behandlung in der Strafanstalt als undurchführbar erweisen, ermöglicht es dem Richter gerade die ursprünglich angeordnete ambulante Behandlung, die Massnahme gemäss Art. 43 Ziff. 3 StGB zu ändern. Das könnte er nicht, wenn die ambulante Behandlung ohne Ersatzmassnahme aufgehoben würde.
|
Demnach erkennt das Bundesgericht:
|