BGE 101 IV 167 - Hirschy |
43. Urteil des Kassationshofes |
vom 23. Mai 1975 |
i.S. Fink, Rubi, Zenzünen und Wild gegen Generalprokurator des Kantons Bern |
Regeste |
Regeste |
1. "Andere Beschränkung" der Handlungsfreiheit durch akustische Einwirkung (Erw. 2). |
2. Rechtswidrigkeit der Nötigung (Erw. 5). |
Sachverhalt |
A. |
Im Rahmen einer von der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern organisierten Vortragsreihe über "Sinn und Bewährung unserer Landesverteidigung" war für den 9. Februar 1973, um 18.15 Uhr im Hörsaal Nr. 31 ein öffentlicher Vortrag von Korpskommandant Hirschy, Ausbildungschef der Armee, über das Thema "L'instruction de notre armée; sa valeur éducatrice et civique" angesagt. Diese Vortragsreihe, insbesondere das Referat von Hirschy, war von einem "Aktionskomitee gegen den Militarismus" und anderen Gruppen angegriffen und kritisiert worden. Studenten organisierten Gegenvorträge, und dem Aktionskomitee wurde für den Spätnachmittag des 9. Februar die Benützung der Aula gestattet. In der dort abgehaltenen Vorversammlung, die um 16.45 Uhr unter der Leitung von Rudolf Fink begann, wurde durch Abstimmung beschlossen, gegen den angekündigten Vortrag etwas zu unternehmen. Anschliessend begaben sich die Versammlungsteilnehmer, die über das weitere Vorgehen orientiert worden waren, in den Hörsaal Nr. 31, verteilten sich den Wänden entlang und begannen Schlagworte zu skandieren. Nachdem die Gäste des Vortrags wegen Platzmangels in die Aula gebeten worden waren, begaben sich auch die Demonstranten dorthin, verteilten sich wiederum mit den Transparenten (z.B. "Hirschy nein - Giap ja!") im Saal und skandierten - unterstützt durch ein Megaphon - in grosser Lautstärke Parolen wie " Hirschy raus" usw. Während Hirschy sich noch im Senatszimmer befand, versuchte Dekan Fricker, den Referenten anzukündigen und ersuchte um Ruhe. Obwohl er sich eines Mikrophons bediente, vermochte er gegen den Lärm nicht durchzudringen. Ebensowenig konnte sich Rektor Nef Gehör verschaffen. Sobald einer der Professoren das Wort ergriff, stieg der Lärm schlagartig an. Nach fünf- bis zehnminütigen vergeblichen Versuchen schrieb der Rektor schliesslich an die Tafel, der Vortrag Hirschy finde nicht statt. Diese Mitteilung wurde von den Demonstranten mit Applaus aufgenommen.
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B. |
Auf Privatklage von Dekan Fricker sprach der Gerichtspräsident VI von Bern mit Urteil vom 11./12. Juli 1974 Rudolf Fink, Christian Rubi, Amandus Zenzünen sowie Peter Wild der Nötigung schuldig und verurteilte den ersten zu 15 Tagen und die übrigen zu 7 Tagen Gefängnis. Allen Verurteilten wurde der bedingte Strafvollzug mit einer Probezeit von drei Jahren gewährt.
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Auf Appellation der Verurteilten hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 29. Oktober 1974 den erstinstanzlichen Entscheid.
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C. |
Fink, Rubi, Zenzünen und Wild führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das vorinstanzliche Urteil zu kassieren.
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Auszug aus den Erwägungen: |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 |
Das Nötigungsmittel sieht die Vorinstanz in der akustischen Einwirkung ("andere Beschränkung" der Handlungsfreiheit); das erzwungene Verhalten darin, dass Dekan Fricker, Rektor Nef und Korpskommandant Hirschy am Sprechen gehindert wurden und die beiden ersteren überdies genötigt waren, das Referat abzusagen. Die Verhinderung des geplanten Vortrages sei ein missbräuchlicher und sittenwidriger Eingriff in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Bürger und daher rechtswidrig.
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Erwägung 2 |
2.- Wenn Art. 181 StGB neben Gewalt und Androhung ernstlicher Nachteile die Generalklausel "oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit" verwendet, so ist damit gemeint, dass der Täter mit anderen, im Gesetz nicht näher umschriebenen Mitteln auf das Opfer einwirkt. Dabei ist nicht erforderlich, dass die betreffenden Nötigungsmittel das Opfer völlig widerstandsunfähig machen. Im Gegensatz zu den Art. 139, 187 und 188 StGB, deren Auslegung hier offen bleiben kann (vgl. dazu BGE 100 IV 164), lässt es Art. 181 StGB genügen, dass die Handlungsfreiheit beschränkt wird ("Beschränkung", "en l'entravant", "o intralciando"), ohne dass sie vollständig ausgeschlossen sein müsste (siehe E. HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, S. 94; V. SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Nr. 628 c und d; E. SCHMIDT, Die Nötigung als selbständiger Tatbestand und als Tatbestandselement im Strafgesetzbuch, Diss. Bern 1969, S. 65 und 95 ff. mit Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte). Trotz des an sich niedrigen Strafminimums kann aber nicht jeder noch so geringfügige Druck auf die Entscheidungsfreiheit eines andern zu einer Bestrafung führen. Vielmehr muss das verwendete Zwangsmittel das üblicherweise geduldete Mass der Beeinflussung in ähnlicher Weise eindeutig überschreiten, wie es für die vom Gesetz ausdrücklich genannte Gewalt oder die Androhung ernstlicher Nachteile gilt. Unter die Generalklausel fallen demnach nicht nur Narkose, Betäubung, schwerer Rausch, Hypnose und ähnliche Zustände, an welche der Gesetzgeber in erster Linie gedacht haben dürfte, sondern ebenso die Blendung mit Licht sowie die Ausnützung von Verblüffung oder Erschrecken. Der Kassationshof hat diese Mittel selbst hinsichtlich der enger umschriebenen Art. 139, 187 und 188 StGB genügen lassen (BGE 70 IV 207, 78 IV 36 E. 2 und 81 IV 226).
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b) Ferner bestreitet die Beschwerde den Tatbestand der Nötigung, weil davon auszugehen sei, dass nur die fünf Angeklagten geschrien hätten; das Brüllen der anderen Teilnehmer könne sie nichts angehen; sonst hätte die Untersuchung gegen alle Teilnehmer angehoben werden müssen; dass gegenüber anderen Demonstranten nicht vorgegangen worden sei, sei willkürlich. Diese Einwände gehen fehl. Im angefochtenen Urteil wird verbindlich festgestellt, dass zahlreiche Demonstranten - unter ihnen auch die Beschwerdeführer - geschrien haben und dass jedesmal, wenn ein Professor das Wort ergriff, der Lärm schlagartig angestiegen ist. Da sie durch ihr Schreien zum allgemeinen Lärm beitrugen, müssen die Beschwerdeführer als Mittäter der begangenen Nötigung betrachtet werden, unabhängig davon, ob neben ihnen noch andere Demonstranten strafrechtlich erfasst worden sind. Dass die Beschränkung des Strafverfahrens auf einzelne Demonstranten willkürlich sei, kann nicht mit der Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden; ein derartiger Vorwurf müsste vielmehr in einer staatsrechtlichen Beschwerde erhoben werden (Art. 269 Abs. 2 BStP).
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Erwägung 3 |
Ebenso verhält es sich bezüglich des angekündigten Vortrages. Korpskommandant Hirschy war genötigt, auf sein Referat zu verzichten. Zwar stand er nicht direkt unter der Wirkung des Lärms; aber den Äusserungen und dem Verhalten der Demonstranten ("Hirschy raus") war zu entnehmen, dass die Lärmstörungen auch beim Versuch, den Vortrag zu halten, fortgesetzt worden wären. Wie aber die Aussicht auf Fortsetzung der Gewaltanwendung der Gewaltanwendung gleichsteht, muss auch die Aussicht, der fortgesetzten Wirkung eines andern die Freiheit beschränkenden Zwangsmittels unterworfen zu sein, dessen unmittelbarer Anwendung gleichgestellt werden (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch, 16. Auflage, N. 11 vor §§ 234 ff.).
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Demnach steht auch fest, dass zwischen dem Schreien der Beschwerdeführer und der Verhinderung ein Kausalzusammenhang besteht. Die in der Beschwerde dagegen erhobenen Einwände betreffen Feststellungen tatsächlicher Natur, welche im vorliegenden Verfahren nicht gerügt werden können (BGE 98 IV 173 E. 2).
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Erwägung 4 |
Erwägung 5 |
Durch organisiertes und mit Megaphon verstärktes Brüllen und Rufen verhinderten die Beschwerdeführer den von der Universität organisierten Vortrag. Sie hinderten damit ebenfalls das Publikum, das erschienen war, um den Referenten anzuhören, dessen Ansicht zur Kenntnis zu nehmen. Ein solcher Eingriff in die Freiheit der die Versammlung veranstaltenden Professoren, des Referenten sowie der Zuhörer stellte einen rechtswidrigen Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit dar. Denn auch wenn die Meinungsäusserungsfreiheit, die von der Praxis als ungeschriebenes Grundrecht anerkannt wird (BGE 97 I 896 E. 4 und 96 I 592 f. mit Verweisungen), primär die Beziehungen zwischen dem Bürger einerseits und dem Staat andererseits betrifft, so müssen ihr doch auch Wirkungen im horizontalen Verhältnis (d.h. zwischen den Bürgern) zuerkannt werden. Hierfür besteht gerade im Hinblick auf die demokratische Willensbildung ein berechtigtes Interesse.
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Die Beschwerdeführer berufen sich zur Rechtfertigung ihres Verhaltens ebenfalls auf die Meinungsäusserungsfreiheit. Zu Unrecht. Sie hatten am Nachmittag des 9. Februar Gelegenheit, ihre Meinung in der von ihnen organisierten Vorversammlung, wofür ihnen die Aula zur Verfügung gestellt worden war, ungestört zu äussern. Aber auch abgesehen davon gibt das genannte Grundrecht niemandem die Befugnis, die Durchführung einer Veranstaltung zu sabotieren und deren Teilnehmer daran zu hindern, die angekündeten Vorträge zu halten bzw. anzuhören. Ein Freiheitsrecht kann nur unter Respektierung der Freiheit der andern ausgeübt werden (BGE 97 I 896 E. 4).
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Entscheid: |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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