BGE 101 IV 257 |
58. Urteil des Kassationshofes vom 7. November 1975 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg gegen Diaz |
Regeste |
Art. 41 StGB; bedingter Strafvollzug. |
2. Bedeutung des Bestreitens (Erw. 2, 3). |
Sachverhalt |
A.- Weil Juan Antonio Diaz im Verlauf einer Auseinandersetzung Serafin Sola vom zweistufigen Trottoir auf die Hauptgasse in Murten hinuntergestossen hatte, wobei dieser unter einen vorbeifahrenden Militärlastzug geraten und tödlich überfahren worden war, verurteilte ihn das Zuchtgericht des freiburgischen Seebezirkes wegen fahrlässiger Tötung zu 12 Monaten Gefängnis unter Verweigerung des bedingten Strafvollzuges.
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B.- Auf Beschwerde des Diaz gewährte ihm der Strafkassationshof des Kantons Freiburg am 11. Juli 1975 den bedingten Strafaufschub.
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C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Verweigerung des bedingten Strafvollzuges.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
Der Staatsanwalt macht geltend, damit gehe die Vorinstanz von einer falschen Voraussetzung aus. Die von ihr angeführte Rechtsprechung gelte nämlich ausschliesslich für das Fahren in angetrunkenem Zustand.
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Das ist ein Irrtum. Die von der Vorinstanz wiedergegebene Rechtsprechung gilt für sämtliche Straftaten, denn das Delikt als solches sagt über die Bewährungschancen des konkreten Täters noch nichts aus (BGE 98 IV 161 E. 1; BGE 101 IV 123).
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a) Nach der Rechtsprechung (BGE 94 IV 51, BGE 95 IV 120) darf daraus, dass ein Angeklagter die Auskunft verweigert, die Tat bestreitet oder Sich aufs Leugnen verlegt, nicht leichthin gefolgert werden, er lasse sich durch eine bedingt vollziehbare Strafe nicht bessern. Ein solches Verhalten kann auf sehr verschiedene Beweggründe zurückgehen, ist folglich nicht notwendigerweise ein Zeichen fehlender Reue oder mangelnder Einsicht in die Verwerflichkeit der begangenen Tat. Wer leugnet, weil er sich der Tat Schämt, die Strafe fürchtet, um seine Stellung oder das Fortkommen seiner Angehörigen bangt und ihnen Schande ersparen will, der bietet nämlich eher Gewähr für künftiges Wohlverhalten als einer, der das Verbrechen offen zugibt, es aber nicht für verwerflich hält oder sich gegenüber den Folgen seiner Tat gleichgültig zeigt. Jedenfalls sagt die Tatsache allein, dass der eine Täter die Tat leugnet und der andere sie gesteht, noch nichts darüber aus, ob und mit welchen Mitteln sie sich bessern lassen.
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Anders ist es, wenn der Angeklagte sich nicht mit dem Leugnen im eigenen oder fremden Interesse begnügt, sondern dazu übergeht, die Strafbehörden bewusst irrezuführen, die Schuld auf andere abzuschieben, Zeugen oder Geschädigte wider besseres Wissen zu belasten oder als Lügner hinzustellen. Wer mit solchen Mitteln einer Verurteilung zu entgehen sucht oder ein milderes Urteil erwirken will, bekundet Skrupellosigkeit und lässt daher in der Regel nicht erwarten, dass ihn eine bedingt aufgeschobene Strafe dauernd bessern werde.
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Gültige Schlüsse auf den Charakter und damit auf die Aussichten für das künftige Verhalten des Verurteilten können somit nicht schon aus der Tatsache des Bestreitens der Tat, sondern nur aus den Motiven gezogen werden, die den Angeklagten zum Leugnen bewegen. Der Richter muss daher zu ergründen suchen, warum ein Angeklagter bestreitet, ob aus mangelnder Einsicht in die Verwerflichkeit der Verfehlung oder aus einem anderen Grunde. Überdies hat er die dabei gewonnenen Ergebnisse im Lichte des gesamten Vorlebens des Angeklagten zu überprüfen. Nur dann lässt sich schlüssig sagen, ob der Angeklagte durch das Leugnen ein Mass von Einsichtslosigkeit bekundet habe, das eine ungünstige Voraussage rechtfertigt.
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3. a) Die Vorinstanz führt unter Berufung auf BGE 94 IV 51 aus, das Bestreiten eines Vergehens allein genüge noch nicht, um dem Verurteilten eine ungünstige Prognose für sein künftiges Verhalten zu stellen. Trotzdem hätten die erstinstanzlichen Richter die Verweigerung des bedingten Strafvollzugs hauptsächlich auf diesen Umstand abgestützt. Dem Beschwerdeführer werde dabei besonders vorgeworfen, dass er die ihm zur Last gelegte Tat nicht nur geleugnet, sondern dazu noch immer neue Versionen über den Unfallhergang gegeben hatte. Abgesehen davon, dass der Angeklagte die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen bei der Beweiswürdigung durch das Gericht zu tragen hatte, sei unerfindlich, inwiefern das Vorbringen neuer Versionen für den Verurteilten schwerer wiegen sollte als das Leugnen der ihm vorgeworfenen Handlung. Habe der Angeklagte die Tat bestritten, so sei unter dem gleichen Gesichtspunkt auch zu verstehen, dass er keine Schuldgefühle oder Reue bekundete. Die erstinstanzlichen Richter hätten nur die Tatumstände und die damit im Zusammenhang stehenden Aussagen und Gefühle des Angeklagten herangezogen. Zur Beurteilung seiner Gesamtpersönlichkeit wäre es aber unerlässlich gewesen, auch das Vorleben des Verurteilten zu berücksichtigen, der einen guten Leumund besitze und aus dessen früherem Leben nichts Nachteiliges bekannt sei. Die erstinstanzlichen Richter hätten daher ihren Ermessensspielraum überschritten.
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b) Diesen nicht zu beanstandenden Ausführungen hat der Staatsanwalt nichts Triftiges entgegenzuhalten. Seine Behauptung, der Angeklagte habe nicht aus Angst vor einer Verurteilung geleugnet, betrifft eine Tatfrage und ist deshalb unzulässig (BGE 94 IV 53). Abgesehen davon ist die Annahme der Vorinstanz, Diaz habe aus Angst bestritten, begründet, nachdem Diaz als Ausländer sich verständlicherweise nicht bloss vor einer längeren Verurteilung, sondern auch vor einer möglichen Landesverweisung mit ihren schweren wirtschaftlichen Folgen für sich und die Seinen gefürchtet hat. Entsprechend seiner irrigen Auffassung über die Tragweite der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum bedingten Strafvollzug befasst sich der Staatsanwalt ausschliesslich mit den Tatumständen. Daraus, dass der Angeklagte über diese unrichtige Angaben gemacht hat, schliesst er kurzerhand, Diaz sei Lügen ein Bedürfnis. Für diese Behauptung fehlt aber eine tatsächliche Feststellung der Vorinstanz, weshalb sie nicht zu hören ist (Art. 273 Abs. 1 lit. b, biss Abs. 1 BStP). Aus dem Bestreiten der Tat leitet er ab, Diaz habe sich des bedingten Strafvollzuges unwürdig erwiesen. Er fällt also, zudem ohne sich mit dem von der Vorinstanz zitierten BGE 94 IV 51 auseinanderzusetzen, ein bloss moralisches Urteil. Gleich verhält es sich mit seinem weiteren Einwand, der Angeklagte habe den schwerverletzten Sola einfach am Boden liegen lassen, womit er eine solche Härte des Herzens an den Tag gelegt habe, dass anzunehmen sei, die Wohltat des bedingten Strafvollzugs sei nicht am Platz.
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4. Hingegen beanstandet der Staatsanwalt mit Recht, dass die Vorinstanz dem Verurteilten keine Probezeit bestimmt hat. Diese ist in Art. 41 Ziff. 1 StGB zwingend vorgeschrieben. Insoweit ist die Beschwerde daher gutzuheissen und die Sache zur Festsetzung der Dauer der Probezeit an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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