BGE 102 IV 84
 
22. Urteil des Kassationshofes vom 14. August 1976 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen X.
 
Regeste
Art. 148 StGB. Kreditbetrug. Bedeutung von Zahlungswillen und Vermögensverhältnissen zur Zeit des Vertragsabschlusses für die Kreditwürdigkeit zur Zeit der Fälligkeit des Darlehens (Erw. 3).
Vermögensschädigung durch unwahre Angaben über Verwendungszweck des Darlehens und Vermögensverhältnisse trotz Rückzahlungsbereitschaft (Erw. 5).
 
Sachverhalt
A.- Im September 1972 nahm X. beim Bankgeschäft K. in Grosswangen ein Darlehen von Fr. 6'000.-- auf. Im Kreditgesuch vom 6. September 1972 machte er auf vorgedrucktem Formular verschiedene falsche Angaben über seine persönlichen und finanziellen Verhältnisse. So gab er u.a. an, dass er keine Schulden besitze, was in Wirklichkeit jedoch nicht zutraf. Ferner erklärte er, er brauche das Darlehen für die Anschaffung von Mobilien. Statt dessen verbrauchte er das Geld für eine Reise mit seiner Frau durch Österreich. Sodann führte er im Kreditgesuch aus, er habe ein Vermögen von Fr. 15'000.--, was nicht den Tatsachen entsprach. Ferner hinterlegte er eine Lebensversicherungspolice als Sicherheit; diese Police war jedoch bereits ausser Kraft gesetzt worden, weil keine Prämien mehr einbezahlt worden waren.
B.- Mit Urteil vom 3. Oktober 1975 erklärte das Kriminalgericht des Kantons Luzern X. schuldig des Betruges nach Art. 148 Abs. 1 StGB, begangen bei verminderter Zurechnungsfähigkeit nach Art. 11 StGB, und verurteilte ihn zu vier Monaten Gefängnis. In Anwendung von Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB und Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 StGB schob das Kriminalgericht den Strafvollzug auf und ordnete eine ambulante Behandlung an.
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern und Anschlussappellation von X. sprach das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 24. November 1975 den Verurteilten von der Anklage des Betruges frei.
C.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt die Staatsanwaltschaft, X. sei wegen Betruges zu verurteilen.
D.- X. beantragt, auf die Nichtigkeitsbeschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Das Urteil des Obergerichtes vom 24. November 1975 wurde der Staatsanwaltschaft am 5. Dezember 1975 eröffnet und am 11. Februar 1976 wurde ihr das begründete Urteil zugestellt. Am 12. Dezember 1975 hat der Staatsanwalt die Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt und sie am 27. Februar 1976 begründet. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher rechtzeitig eingelegt worden. Auf sie ist einzutreten.
2. Die Vorinstanz stellt fest, dass der Beschwerdegegner über den Verwendungszweck des Darlehens und seine Vermögensverhältnisse zur Zeit des Abschlusses des Darlehensvertrages falsche Angaben gemacht, den Darleiher getäuscht und ihn dadurch veranlasst hat, das Darlehen zu gewähren. Sie verneint aber die Täuschung. Beim Kreditgeschäft komme es nicht auf die gegenwärtige, sondern auf die künftige Zahlungsfähigkeit zur Zeit der Fälligkeit an; diese sei aber, weil in der Zukunft liegend, keine Tatsache im Sinne des Gesetzes. Ein mangelnder Rückzahlungswille zur Zeit der Vertragsabschlusses sei nicht nachgewiesen. Auch fehle ein Vermögensschaden und zumindest der Vorsatz zur Vermögensschädigung; denn der Beschwerdegegner sei zur Zeit des Vertragsschlusses rückzahlungswillig gewesen und er habe das aufgrund der damaligen Situation auch sein können, auch wenn er eine grössere Kreditwürdigkeit vorgetäuscht habe. Ob auch die weitern Tatbestandsmerkmale des Betruges wie Arglist gegeben seien, könne daher offen bleiben.
Wesentlich im Sinne des Art. 148 StGB ist eine irrige Vorstellung über Tatsachen, welche den Irrenden veranlassen, die vermögensschädigende Verfügung vorzunehmen. Das gilt auch für den Kreditbetrug. Für den Kreditgeber ist, neben dem Leistungswillen, die Zahlungs- bzw. Leistungsfähigkeit zur Zeit der Fälligkeit erheblich. Diese wird zwar nicht ausschliesslich aber doch auch nach den frühern und zur Zeit des Vertragsschlusses gegebenen Verhältnissen des Pflichtigen beurteilt, soweit sie einen Schluss auf die Verhältnisse des Pflichtigen zur Zeit der Fälligkeit zulassen. Die Begründung der Vorinstanz ist nicht folgerichtig, wenn sie für den Zahlungswillen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses, für die Zahlungsfähigkeit aber auf den Zeitpunkt der Fälligkeit abstellt.
Auch für die Erfüllung ist schliesslich wichtig, ob der Pflichtige in diesem Zeitpunkt willens sein wird, die geschuldete Leistung zu erbringen. Der Zahlungswille zur Zeit des Vertragsabschlusses ist für den Darleiher deshalb von Bedeutung, weil er sich sagt, der Zahlungswille werde dem Pflichtigen zur Zeit der Fälligkeit fehlen, wenn er ihn schon bei Vertragsabschluss nicht habe. Ähnlich wird der, welcher sich eine künftige Leistung versprechen lässt, oft auf die Vermögensverhältnisse zur Zeit des Vertragsabschlusses abstellen müssen, indem er mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgeht, diese würden sich bis zur Fälligkeit nicht massgeblich verändern. Die finanziellen Verhältnisse zur Zeit des Vertragsabschlusses waren aber gegenwärtige Zustände und folglich Tatsachen im Sinne des Gesetzes.
Im vorliegenden Falle stellt die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdegegner im September 1972, als er das Darlehen aufgenommen hatte, willens war, seinen Verpflichtungen zur monatlichen Rückzahlung von Fr. 300.-- nachzukommen. Die beiden ersten Raten hat er auch bezahlt. Diese Feststellungen sind tatsächlicher Natur. Sie binden den Kassationshof (Art. 277bis Abs. 1 BStP).
Der Beschwerdegegner hat aber in anderer Hinsicht falsche Angaben gemacht und eine erheblich grössere Kreditwürdigkeit vorgetäuscht, als ihm in Wirklichkeit zukam. Hätten seine Angaben gestimmt, hätte der Darleiher nach Vertragsabschluss es mit einem weit sichereren Schuldner zu tun gehabt. Dessen Vermögen hätte das gewährte Darlehen um mehr als das Doppelte überstiegen, während er in Wirklichkeit mindestens Fr. 7'000.-- Schulden hatte, die er aber in seinem Kreditgesuch verschwieg. Sie wären aber bei einem monatlichen Nettoeinkommen von Fr. 2'000.-- in Betracht gefallen. Hätte der Beschwerdegegner das Darlehen zur Anschaffung weiterer Mobilien verwendet, wie er im Kreditgesuch angab, hätte das dem Gläubiger weitere Sicherheit geboten. Schliesslich war die dem Darleiher verpfändete Lebensversicherung, weil ausser Kraft gesetzt, wertlos.
Durch diese falschen Angaben wurde der Darleiher getäuscht und zur Gewährung des Darlehens bewogen, wie die Vorinstanz ebenfalls feststellt.
Damit sind aber Täuschung, Irrtum und Vermögensverfügung sowie der Kausalzusammenhang zwischen diesen dargetan.
4. Die Vorinstanz hat den Betrug im weitern mit der Begründung verneint, der Darleiher sei durch Gewährung des Darlehens nicht geschädigt worden. Mindestens sei der Schädigungsvorsatz nicht nachgewiesen.
Kreditgeschäfte wie der vorliegende Darlehensvertrag schliessen zumeist gewisse Risiken in sich, welche der Darleiher bewusst eingeht. Dafür erhebt er regelmässig auch einen Zins, welcher diesem Risiko Rechnung trägt. Deshalb kann nicht schon in jeder Vermögensgefährdung, welche im Abschluss solcher Kreditgeschäfte liegt, eine nach Art. 148 StGB beachtliche Vermögensschädigung gesehen werden. Eine solche ist sinngemäss nur dann gegeben, wenn der Borger entgegen den beim Darleiher geweckten Erwartungen von Anfang an dermassen wenig Gewähr für eine vertragsgemässe Rückzahlung des Geldes bietet, dass die Darlehensforderung erheblich gefährdet und infolgedessen in ihrem Werte wesentlich herabgesetzt ist. In diesem Falle überschreitet der Kreditnehmer in unzulässiger Weise die Grenze des dem Kreditgeber zumutbaren Risikos (BGE 82 IV 90 /91).
Wie schon dargelegt (Erw. 3), täuschte der Beschwerdegegner eine weit grössere Kreditwürdigkeit vor, als es den Tatsachen entsprach. Wären seine Angaben wahr gewesen, hätte die Darlehensforderung nach Abschluss des Vertrages einen viel höheren Wert gehabt. Sie hätte vom Darleiher bedeutend leichter und besser an einen Dritten verpfändet oder abgetreten werden können. Damit war aber der Darleiher schon durch den Abschluss des Vertrages geschädigt, nicht erst durch die nicht vertragsgemässe Rückzahlung. Selbst die vertragsgemässe Rückzahlung hätte die schon durch Vertragsschluss eingetretene Vermögensverminderung nicht ungeschehen machen können. Denn auch eine bloss vorübergehende Schädigung genügt für den Betrug (BGE 76 IV 96/7, 230; BGE 82 IV 90, BGE 84 IV 14).
5. Die Vorinstanz hat zusätzlich den Schädigungsvorsatz verneint. Sie begründet es sinngemäss damit, der Beschwerdegegner habe bei Vertragsschluss den Rückzahlungswillen gehabt und er habe angesichts der personellen und finanziellen Umstände auch nicht ernsthaft mit der Möglichkeit einer (spätern) mangelnden Rückzahlungsbereitschaft rechnen müssen. Denn selbst wenn er aus objektiven Gründen wie Zahlungsunfähigkeit, die ihm aus irgendwelchen Gründen nicht bekannt sein konnten und mussten, von Anfang an dermassen wenig Gewähr geboten hätte, dass die Darlehensforderung erheblich gefährdet gewesen wäre, hätte der Beschwerdegegner diese objektiv bestehende Vermögensschädigung nicht in Kauf genommen. Angesichts seines begründeten Rückzahlungswillens im obgenannten Sinne hätte sich ihm die Vermögensschädigung nicht als so wahrscheinlich aufgedrängt, dass sein Darlehensvertragsabschluss vernünftigerweise nicht anders als ein Inkaufnehmen der Vermögensschädigung ausgelegt werden könnte.
Die Vorinstanz geht auch hier von einem falschen Begriff der Vermögensschädigung aus. Die Vermögensschädigung lag nicht erst darin, dass der Beschwerdegegner später hinzugetretene Umstände wie Rückfall in die Trunksucht, Ehezerfall und seelische Depressionen bis zum Selbstmordversuch nicht voraussah und infolge dieser Umstände seine vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr erfüllte. Die Vermögensschädigung trat schon mit Vertragsabschluss ein, weil damals der Darleiher für sein Geld eine Darlehensforderung erhielt, die trotz der subjektiven Rückzahlungsbereitschaft bedeutend weniger wert war, als sie es gewesen wäre, wenn die Angaben des Beschwerdegegners über Verwendungszweck des Darlehens und die Vermögensverhältnisse der Wahrheit entsprochen hätten. Nur dies ist rechtlich auch Gegenstand des Schädigungsvorsatzes, nicht der zur Zeit des Vertragsabschlusses mehr oder weniger begründete Glaube des Beschwerdegegners, er könne und wolle seinen Rückzahlungsverpflichtungen auch unter den zur Zeit des Vertragsabschlusses wirklich bestehenden und voraussehbaren Verhältnissen nachkommen. Die Feststellung, dem Beschwerdegegner habe der Vorsatz zur Vermögensschädigung gefehlt, ist daher, weil sie von einer falschen rechtlichen Fragestellung ausgeht, ebenfalls aufzuheben. Die Vorinstanz wird zu prüfen haben, ob der Beschwerdegegner die Bedeutung seiner falschen Angaben, die er in seinem Darlehensgesuch anführte, für die Sicherheit und den Wert der Darlehensforderung verkannt hat.
Die Vorinstanz muss sich ferner über die weiteren Tatbestandsmerkmale, wie beispielsweise die Arglist, über die sie noch nicht erkannt hat, aussprechen, und im Falle ihrer Bejahung die Rechtsfolgen festsetzen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts - II. Kammer - des Kantons Luzern vom 24. November 1975 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.