BGE 103 IV 87
 
24. Urteil des Kassationshofes vom 6. Mai 1977 i.S. x. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen
 
Regeste
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB.
 
Sachverhalt
A.- X. bestellte Frau M. durch Vertrag vom 11. Oktober 1972 als Sicherheit für ein Darlehen von Fr. 50'000.--, das später auf Fr. 60'000.-- erhöht wurde, zwei Schuldscheine mit Grundpfandverschreibung, lautend auf C. als Gläubiger und lastend im 3. und 4. Rang auf der dem H. gehörenden Liegenschaft Z. in N. Am 28. Februar 1973 verlangte X. von Frau M. die Aushändigung der im 4. Rang stehenden Grundpfandverschreibung über Fr. 36'000.--, damit er diese durch C. grundbuchamtlich erneuern und auf seinen Namen eintragen lassen könne. Frau M. überliess X. die Grundpfandverschreibung am 14. März 1973 mit dem Begehren um baldige Rückgabe. X. erstattete in der Folge die fragliche Grundpfandverschreibung Frau M. nicht zurück, sondern übergab sie am 28. April 1973 an S. als Sicherheit für verschiedene ihm von diesem gewährte Darlehen von insgesamt Fr. 20'000.--. Als S. die Liegenschaft Z. in N. am 1. November 1974 käuflich erwarb, liess er die fragliche Grundpfandverschreibung löschen.
B.- Das Bezirksgericht St. Gallen sprach X. am 9./16. März 1976 wegen dieses Vorfalls der Veruntreuung sowie anderer, hier nicht interessierender strafbarer Handlungen schuldig und verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von 12 Monaten, bei Gewährung des bedingten Strafvollzuges und Ansetzung der Probezeit auf 4 Jahre.
Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte am 17. Januar 1977 den Schuldspruch hinsichtlich der Veruntreuung; es verurteilte X. ebenfalls zu einer bedingt vollziehbaren zwölfmonatigen Gefängnisstrafe, setzte aber die Probezeit auf 3 Jahre herab.
C.- X. führt eidg. Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, das Urteil des Kantonsgerichtes St. Gallen insoweit aufzuheben, als es ihn der Veruntreuung schuldig erkläre, und die Sache zu seiner Freisprechung an dieses zurückzuweisen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Als "anvertrautes Gut" ("chose fongible", "cosa fungibile") gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB gelten nach ständiger Rechtsprechung nur vertretbare Sachen (BGE 90 IV 193 mit Verweisen). Diese Auffassung ist im Schrifttum zwar nicht unwidersprochen geblieben (vgl. SCHWANDER, Schweiz. Strafrecht, 2. Aufl. Nr. 558; STRATENWERTH, I S. 176). Dennoch besteht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Die dagegen vorgetragenen Argumente vermögen nichts daran zu ändern, dass, wie in BGE 90 IV 180 ff. einlässlich dargelegt wurde, unter die fragliche Bestimmung nach der Entstehungsgeschichte entsprechend dem französischen und dem italienischen Gesetzestext nur vertretbare Sachen fallen sollen, und eine über diese Beschränkung hinausgehende Auslegung gestützt auf den in seiner Bedeutung unklaren Begriff "anvertrautes Gut" (HAFTER, II/1 S. 240) sich nicht aufdrängt.
Das Strafgesetzbuch umschreibt den Begriff der Sache, den es bei den Aneignungsdelikten (Art. 137-141), andern Vermögensdelikten (Art. 143-145, 147) und bei den Betreibungs- und Konkursdelikten im Tatbestand des Verstrickungsbruches (Art. 169) verwendet, nicht näher. Nach der in Literatur und Rechtsprechung vorherrschenden und vom Kassationshof in BGE 81 IV 158 bei der Auslegung des Hehlereitatbestandes (Art. 144) übernommenen Auffassung sind darunter nur körperliche Gegenstände zu verstehen, nicht auch Forderungen, soweit diese nicht in einem Wertpapier verkörpert sind. Sowohl der herkömmliche Wortsinn wie die Ansicht des historischen Gesetzgebers beruhen auf dem Sachbegriff, wie ihn das Zivilrecht (Art. 713 ZGB) geprägt hat.
Im vorliegenden Fall stellt die von Frau M. zurückverlangte Grundpfandverschreibung eine Schuldanerkennung des Beschwerdeführers dar. Diese Urkunde enthält die Schuldanerkennung des Hypothekarschuldners und zugleich die Bescheinigung über die Eintragung der Grundpfandverschreibung im Grundbuch. Da es sich bei ihr nicht um einen gesetzlichen Urkundentyp handelt, ist sie nur dann ein Wertpapier, wenn sie im Einzelfall das Versprechen des Schuldners enthält, nicht ohne Vorweisung der Urkunde zu leisten (JÄGGI, Art. 965 OR, N. 285). Das wird im vorliegenden Fall weder behauptet noch ist solches den Akten zu entnehmen. Sie ist deshalb als schlichte Beweisurkunde zu betrachten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.